Auktion: 600 / Evening Sale am 05.12.2025 in München
Lot 125000933

125000933
Ernst Ludwig Kirchner
Leuchtturm hinter Bucht, 1912.
Öl auf Leinwand
Schätzpreis: € 700.000 - 900.000
Informationen zu Aufgeld, Steuern und Folgerechtsvergütung sind ab vier Wochen vor Auktion verfügbar.
Leuchtturm hinter Bucht. 1912.
Öl auf Leinwand.
Rechts unten signiert. Verso auf der Leinwand mit dem Nachlassstempel (Lugt 1570 b) mit der Bezeichnung "Be / Aa 4". 102,5 x 77 cm (40,3 x 30,3 in).
Das Gemälde ist in Ernst Ludwig Kirchners "Photoalbum I" als Fotografie Nr. 346 zu finden. [CH].
• Expressive Fehmarn-Landschaft von kapitalem Format.
• Auf Fehmarn schafft Kirchner in den Sommern 1912–1914 nach eigener Aussage Werke "von absoluter Reife".
• Aus der bedeutendsten Schaffensphase der Berliner "Brücke"-Jahre.
• Seit über 65 Jahren Teil einer amerikanischen Privatsammlung.
• Vergleichbare Darstellungen der 1912 entstandenen kleinen Reihe an Gemälden zum Leuchtturm von Fehmarn befinden sich in musealen Sammlungen, darunter das Museum Folkwang, Essen, und das Carnegie Museum of Art, Pittsburgh.
Dieses Werk ist im Ernst Ludwig Kirchner Archiv, Wichtrach/Bern, dokumentiert.
PROVENIENZ: Nachlass des Künstlers (Davos 1938, Kunstmuseum Basel 1946, verso mit dem handschriftlich nummerierten Nachlassstempel).
Stuttgarter Kunstkabinett Roman Norbert Ketterer, Stuttgart (1954 vom Vorgenannten erworben).
Privatsammlung New York (1959 vom Vorgenannten erworben).
Seitdem in Familienbesitz.
AUSSTELLUNG: Vierte Gesamtausstellung, Galerie Neue Kunst - Hans Goltz, München, August bis Oktober 1916, Kat.-Nr. 54 (m. d. Titel "Bucht beim Leuchtfeuer Staberhuk").
LITERATUR: Donald E. Gordon, Ernst Ludwig Kirchner, München 1968, S. 84f. u. S. 309, WVZ-Nr. 250 (m. SW-Abb., S. 309).
- -
Stuttgarter Kunstkabinett, Stuttgart, 34. Auktion, 20.11.1959, S. 65, Los 308 (m. Farbtafel, Nr. 20, m. d. Titel "Leuchtturm auf Fehmarn").
Öl auf Leinwand.
Rechts unten signiert. Verso auf der Leinwand mit dem Nachlassstempel (Lugt 1570 b) mit der Bezeichnung "Be / Aa 4". 102,5 x 77 cm (40,3 x 30,3 in).
Das Gemälde ist in Ernst Ludwig Kirchners "Photoalbum I" als Fotografie Nr. 346 zu finden. [CH].
• Expressive Fehmarn-Landschaft von kapitalem Format.
• Auf Fehmarn schafft Kirchner in den Sommern 1912–1914 nach eigener Aussage Werke "von absoluter Reife".
• Aus der bedeutendsten Schaffensphase der Berliner "Brücke"-Jahre.
• Seit über 65 Jahren Teil einer amerikanischen Privatsammlung.
• Vergleichbare Darstellungen der 1912 entstandenen kleinen Reihe an Gemälden zum Leuchtturm von Fehmarn befinden sich in musealen Sammlungen, darunter das Museum Folkwang, Essen, und das Carnegie Museum of Art, Pittsburgh.
Dieses Werk ist im Ernst Ludwig Kirchner Archiv, Wichtrach/Bern, dokumentiert.
PROVENIENZ: Nachlass des Künstlers (Davos 1938, Kunstmuseum Basel 1946, verso mit dem handschriftlich nummerierten Nachlassstempel).
Stuttgarter Kunstkabinett Roman Norbert Ketterer, Stuttgart (1954 vom Vorgenannten erworben).
Privatsammlung New York (1959 vom Vorgenannten erworben).
Seitdem in Familienbesitz.
AUSSTELLUNG: Vierte Gesamtausstellung, Galerie Neue Kunst - Hans Goltz, München, August bis Oktober 1916, Kat.-Nr. 54 (m. d. Titel "Bucht beim Leuchtfeuer Staberhuk").
LITERATUR: Donald E. Gordon, Ernst Ludwig Kirchner, München 1968, S. 84f. u. S. 309, WVZ-Nr. 250 (m. SW-Abb., S. 309).
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Stuttgarter Kunstkabinett, Stuttgart, 34. Auktion, 20.11.1959, S. 65, Los 308 (m. Farbtafel, Nr. 20, m. d. Titel "Leuchtturm auf Fehmarn").
Großstadt und Naturidyll
Schon während der Dresdener "Brücke"-Jahre arbeitet Ernst Ludwig Kirchner, gemeinsam mit Erich Heckel und Hermann Max Pechstein, regelmäßig an den Moritzburger Teichen in der Nähe von Dresden. In direktem Gegensatz und als Ausgleich zum Alltag in der modernen, industrialisierten und immer bevölkerungsreicheren Stadt ist es den Künstlern hier möglich, nackt und ungezwungen in der Natur zu wandeln, zu baden und auf der Suche nach Einheit von Kunst und Natur direkt vor Ort zu malen.
In den Berliner Schaffensjahren zwischen 1911 und 1917, in denen auch die hier angebotene Arbeit entsteht, ist es dann insbesondere die Ostsee-Küste, die für E. L. Kirchner in den Sommermonaten sowohl zum favorisierten Rückzugsort fernab Berlins als auch zur schier unerschöpflichen Inspirationsquelle wird.
Die Motivik seines Schaffens dieser Jahre vor dem Ersten Weltkrieg fokussiert sich somit auf zwei geradezu gegensätzliche Themenbereiche: zum einen auf die Großstadt und die urbane Bevölkerung nach der Jahrhundertwende, die Kirchner ab 1913 in den so berühmten "Straßenszenen" porträtiert, und zum anderen auf die Landschaft und die Einheit zwischen Mensch und Natur. Das künstlerische Wirken folgt somit einer gewissen, auch jahreszeitlich bedingten Rhythmik zwischen Stadt- und Landleben, Vergnügungskultur und Natursehnsucht, Nachtlokal und Steilküste. Laut Dr. Wolfgang Henze, Leiter des E. L. Kirchner-Archivs, kommt "das von Kirchner auf Fehmarn geschaffene Werk dem des gleichzeitig in Berlin entstandenen an Umfang und Bedeutung gleich [und ist] diesem komplementär gegenübergestellt" (zit nach: Ausst.-Kat. E. L. Kirchner. Eine Ausstellung zum 60. Todestag, Kunstforum Wien, 1998, S. 41).
Die Ostseeinsel Fehmarn
1908 reist Kirchner gemeinsam mit den Geschwistern Emy und Hans Frisch zum ersten Mal auf die Ostseeinsel Fehmarn, lernt die dortige Landschaft und das einfache, völlig andere Leben fernab der lauten, hektischen und anonymen Großstadt Berlin kennen und schätzen. In den darauffolgenden Schaffensjahren erhebt er die noch sehr ursprüngliche, raue Landschaft zu einem wichtigen Hauptmotiv seines künstlerischen Schaffens. Die von Touristen noch nicht überlaufene Natur, die steilen Klippen, das Rauschen des Meeres, die Ungezwungenheit der im Meer Badenden, den schönen, weiten Sandstrand, die manchmal stürmischen Winde, hohen Wellen und schäumende Gischt, die Weite des Horizonts, die andersartige Vegetation aus Silberpappeln, Weiden und Dünengras und die dazwischen aufragenden großen Findlinge empfindet der Maler als Kraft spendend und als große Inspirationsquelle.
Im Sommer 1912 wird E. L. Kirchner (wie auch in den darauffolgenden beiden Jahren) von seiner neuen Lebensgefährtin Erna Schilling begleitet, die er kurz zuvor in einem Tanzlokal in Berlin kennenlernt. Ende Juni verlassen sie Berlin und reisen mit dem Zug, vermutlich über den gerade neu erbauten Lübecker Bahnhof, nach Fehmarn. Wohl bis Ende August weilen sie nun im Südosten der Insel im Haus des Leuchtturmwärters Lüthmann am 1903 erbauten Leuchtturm "Staberhuk". Familie Lüthmann lebt hier mit acht Kindern und hat für das unverheiratete Paar ein Giebelzimmer frei gemacht, wo sich die Gäste aus der Großstadt mit einem kleinen Esbitkocher selbst versorgen. Gefrühstückt wird oftmals gemeinsam, ansonsten genießt man die Natur, das einfache Leben und die Abgeschiedenheit: Der nächste Bauernhof ist etwa zwei Kilometer entfernt, bis zum nächstgelegenen Staberdorf sind es ganze vier Kilometer. Abwechslung bringt der Besuch von Kirchners "Brücke"-Kollegen Erich Heckel und dessen Lebensgefährtin, der Tänzerin Sidi Riha, die mit Kirchner und Erna im selben Zimmer nächtigen.
"Leuchtturm hinter Bucht"
Die meiste Zeit ist der Künstler jedoch ganz für sich allein und konzentriert sich voll und ganz auf seine Kunst. Den größten Teil des Tages verbringt er an der frischen Luft, beim Baden, Schwimmen, Spazierengehen und Malen und auch Schnitzen am Strand unterhalb der Steilküste – an dem Ort, an dem auch die hier angebotene Arbeit entsteht. Von ebendiesem Blickwinkel entstehen Bleistiftskizzen und Aquarelle, aber auch einzelne weitere Gemälde mit unterschiedlichen Blickwinkeln. Größeren Großformaten widmet sich der Künstler erst im September nach seiner Rückkehr in Berlin.
Vorbereitende Bleistiftskizzen für unser Gemälde zeugen bereits von Kirchners letztendlichem Bildaufbau. Steine und Küstenformation bilden die Vorhut für den im Hintergrund emporragenden Leuchtturm, den der Künstler in einer aquarellierten Zeichnung überraschenderweise einmal gänzlich übergeht, um sich auf die Komposition des Vordergrunds und den Entwurf einer Farbigkeit zu konzentrieren.
Das finale, hier angebotene Gemälde zeigt dann jedoch ein meisterliches Spiel mit dem variantenreichen Formenkanon, den Architektur und Landschaft dem Expressionisten offenbaren.
Vom Strand aus zeigt Kirchner hier – in einer Vielzahl fein abgestimmter und doch kräftiger Farben – den direkten Blick in Richtung des Leuchtturms von Staberhuk, seines damaligen Domizils, der hoch über der mit kräftig-grüner Vegetation bewachsenen und von großen Felsbrocken, sog. Findlingen, bevölkerten Küstenlandschaft, über Sandstrand, Klippen und Meer vor dem abendlichen Himmel emporragt. Statt eines klassischen Querformats wählt Kirchner für seine Landschaft ein Hochformat, das die längliche Form des dargestellten Leuchtturms wiederholt und diesen damit zusätzlich in den Fokus rückt. Dargestellt wird nicht allein die vorgefundene Realität, sondern eine durch den Künstler mitgestaltete, fast paradiesische Szene.
Der Sommer 1912: Bilder "von absoluter Reife"
Die gezeigte Landschaft wird Kirchner nicht nur in diesem Sommer, sondern auch in den zwei darauffolgenden Jahren zu einer besonders fruchtbaren künstlerischen Schaffensphase verhelfen, in der Arbeiten von zentraler Bedeutung für sein gesamtes Œuvre und die expressionistische deutsche Kunst entstehen. In einem Aufsatz über sein damaliges Werk notiert Kirchner später rückblickend: "1912 bis 1914 verbrachte ich mit Erna die Sommermonate auf Fehmarn. Hier lernte ich die letzte Einheit von Mensch und Natur gestalten und vollendete das, was ich in Moritzburg angefangen hatte. Die Farben wurden milder und reicher, die Formen strenger und ferner von der Naturform." (E. L. Kirchner, in: Eberhard W. Kornfeld, Ernst Ludwig Kirchner. Nachzeichnung seines Lebens, Ausst.-Kat., Basel 1979, S. 337)
Während sich bei einigen Gemälden nicht mit eindeutiger Sicherheit sagen lässt, ob sie im Sommer 1912 oder im Sommer 1913 entstanden sind, zeigt sich in den eindeutig dem zweiten Fehmarn-Aufenthalt im Jahr 1912 zuzuordnenden Werken bereits eine deutliche Weiterentwicklung seiner Malerei. Die verspielte Leichtigkeit der früheren Arbeiten aus den Dresdener "Brücke"-Jahren weicht klareren, bestimmteren Formen und reiferen, spannungsvolleren Kompositionen sowie besonders reizvollen Bildlösungen. Auch der Künstler selbst erkennt diesen Fortschritt. In einem Brief an seinen Förderer Gustav Schiefler schreibt er 1912: "Wie Sie wohl wissen, war ich diesen Sommer nach 5 jähriger (sic!) Pause wieder auf Fehmarn. Ich will nächstes Jahr wieder hin. Der ganz starke Eindruck des ersten Dortseins hat sich vertieft und ich habe dort Bilder gemalt von absoluter Reife, soweit ich das selbst beurteilen kann. Ocker, blau, grün sind die Farben von Fehmarn, wundervolle Küstenbildung, manchmal von Südseereichtum […]." (E. L. Kirchner, 1912, zit. nach: Staatsgalerie Stuttgart, www.staatsgalerie.de/de/sammlung-digital/ins-meer-schreitende)
Fehmarn bietet Kirchner den größtmöglichen Kontrast zur Metropole Berlin. Gemeinsam mit seiner neuen Lebensgefährtin kann er hier seine Sehnsucht nach der Einheit von Mensch und Natur verwirklichen, selbst erleben und künstlerisch erfassen. Glücklich ob dieser Möglichkeit, voller Tatendrang und künstlerischer Schaffenskraft und außerdem verliebt, lebt Kirchner einige wenige Wochen in Harmonie mit seiner Umwelt, zunächst befreit von seinen schweren Depressionen, von denen er noch im Vorjahr berichtet.
Erinnerung an glückliche Sommer
Dieser und die darauffolgenden beiden Fehmarn-Sommer hinterlassen tiefe Eindrücke und beschäftigen den Künstler nachhaltig. Noch 1916, inmitten des Ersten Weltkriegs und in einer für den Künstler gesundheitlich herausfordernden Zeit, sehnt er sich nach Fehmarn zurück. Kurz vor seinem dritten Aufenthalt im Sanatorium Dr. Kohnstamm in Königstein im Taunus schreibt er in einem Brief an den Sammler Karl Ernst Osthaus: "Ich will bald wieder herauf nach Königstein. Lieber ginge ich hinauf nach Fehmarn, aber dort ist gesperrt." (E. L. Kirchner, 1916, in: Dietrich Reinhardt, Brücke-Almanach. Ernst Ludwig Kirchner auf Fehmarn, S. 43)
Die Sehnsucht nach Fehmarn und nach seinen dort verlebten, glücklichen Sommern verarbeitet der Künstler wenig später im Sanatorium in eindrucksvollen, monumentalen Wandbildern mit Badeszenen und an Fehmarn angelegten Motiven (von den Nationalsozialisten zerstört, vermutl. 1938).
Selbst nach ihrer Übersiedlung in die Schweiz in den 1920er Jahren senden Erna Schilling und E. L. Kirchner der Familie des Leuchtturmwärters Lüthmann regelmäßig nahrhafte Pakete, aus Dank für die schönen und künstlerisch wie mental so stimulierenden Sommer-Aufenthalte.
Ein Großteil der in diesen wichtigen Sommern auf Fehmarn entstandenen Werke befindet sich heute in Museumsbesitz, darunter das LWL Museum für Kunst Kultur, Münster, die Bremer Kunsthalle, das Osthaus Museum Hagen, die Staatsgalerie Stuttgart, das Städel Museum, Frankfurt am Main, die Hamburger Kunsthalle, das Folkwang Museum, Essen, die Nationalgalerie der Staatlichen Museen zu Berlin, das Aargauer Kunsthaus, Aarau, das Kunstmuseum Liechtenstein, die Art Gallery of New South Wales, Sydney, das Carnegie Museum of Art in Pittsburgh und das Detroit Institute of Arts. Eine Tatsache, welche die Bedeutung dieser Schaffensperiode sicherlich zusätzlich unterstreicht. [CH]
Schon während der Dresdener "Brücke"-Jahre arbeitet Ernst Ludwig Kirchner, gemeinsam mit Erich Heckel und Hermann Max Pechstein, regelmäßig an den Moritzburger Teichen in der Nähe von Dresden. In direktem Gegensatz und als Ausgleich zum Alltag in der modernen, industrialisierten und immer bevölkerungsreicheren Stadt ist es den Künstlern hier möglich, nackt und ungezwungen in der Natur zu wandeln, zu baden und auf der Suche nach Einheit von Kunst und Natur direkt vor Ort zu malen.
In den Berliner Schaffensjahren zwischen 1911 und 1917, in denen auch die hier angebotene Arbeit entsteht, ist es dann insbesondere die Ostsee-Küste, die für E. L. Kirchner in den Sommermonaten sowohl zum favorisierten Rückzugsort fernab Berlins als auch zur schier unerschöpflichen Inspirationsquelle wird.
Die Motivik seines Schaffens dieser Jahre vor dem Ersten Weltkrieg fokussiert sich somit auf zwei geradezu gegensätzliche Themenbereiche: zum einen auf die Großstadt und die urbane Bevölkerung nach der Jahrhundertwende, die Kirchner ab 1913 in den so berühmten "Straßenszenen" porträtiert, und zum anderen auf die Landschaft und die Einheit zwischen Mensch und Natur. Das künstlerische Wirken folgt somit einer gewissen, auch jahreszeitlich bedingten Rhythmik zwischen Stadt- und Landleben, Vergnügungskultur und Natursehnsucht, Nachtlokal und Steilküste. Laut Dr. Wolfgang Henze, Leiter des E. L. Kirchner-Archivs, kommt "das von Kirchner auf Fehmarn geschaffene Werk dem des gleichzeitig in Berlin entstandenen an Umfang und Bedeutung gleich [und ist] diesem komplementär gegenübergestellt" (zit nach: Ausst.-Kat. E. L. Kirchner. Eine Ausstellung zum 60. Todestag, Kunstforum Wien, 1998, S. 41).
Die Ostseeinsel Fehmarn
1908 reist Kirchner gemeinsam mit den Geschwistern Emy und Hans Frisch zum ersten Mal auf die Ostseeinsel Fehmarn, lernt die dortige Landschaft und das einfache, völlig andere Leben fernab der lauten, hektischen und anonymen Großstadt Berlin kennen und schätzen. In den darauffolgenden Schaffensjahren erhebt er die noch sehr ursprüngliche, raue Landschaft zu einem wichtigen Hauptmotiv seines künstlerischen Schaffens. Die von Touristen noch nicht überlaufene Natur, die steilen Klippen, das Rauschen des Meeres, die Ungezwungenheit der im Meer Badenden, den schönen, weiten Sandstrand, die manchmal stürmischen Winde, hohen Wellen und schäumende Gischt, die Weite des Horizonts, die andersartige Vegetation aus Silberpappeln, Weiden und Dünengras und die dazwischen aufragenden großen Findlinge empfindet der Maler als Kraft spendend und als große Inspirationsquelle.
Im Sommer 1912 wird E. L. Kirchner (wie auch in den darauffolgenden beiden Jahren) von seiner neuen Lebensgefährtin Erna Schilling begleitet, die er kurz zuvor in einem Tanzlokal in Berlin kennenlernt. Ende Juni verlassen sie Berlin und reisen mit dem Zug, vermutlich über den gerade neu erbauten Lübecker Bahnhof, nach Fehmarn. Wohl bis Ende August weilen sie nun im Südosten der Insel im Haus des Leuchtturmwärters Lüthmann am 1903 erbauten Leuchtturm "Staberhuk". Familie Lüthmann lebt hier mit acht Kindern und hat für das unverheiratete Paar ein Giebelzimmer frei gemacht, wo sich die Gäste aus der Großstadt mit einem kleinen Esbitkocher selbst versorgen. Gefrühstückt wird oftmals gemeinsam, ansonsten genießt man die Natur, das einfache Leben und die Abgeschiedenheit: Der nächste Bauernhof ist etwa zwei Kilometer entfernt, bis zum nächstgelegenen Staberdorf sind es ganze vier Kilometer. Abwechslung bringt der Besuch von Kirchners "Brücke"-Kollegen Erich Heckel und dessen Lebensgefährtin, der Tänzerin Sidi Riha, die mit Kirchner und Erna im selben Zimmer nächtigen.
"Leuchtturm hinter Bucht"
Die meiste Zeit ist der Künstler jedoch ganz für sich allein und konzentriert sich voll und ganz auf seine Kunst. Den größten Teil des Tages verbringt er an der frischen Luft, beim Baden, Schwimmen, Spazierengehen und Malen und auch Schnitzen am Strand unterhalb der Steilküste – an dem Ort, an dem auch die hier angebotene Arbeit entsteht. Von ebendiesem Blickwinkel entstehen Bleistiftskizzen und Aquarelle, aber auch einzelne weitere Gemälde mit unterschiedlichen Blickwinkeln. Größeren Großformaten widmet sich der Künstler erst im September nach seiner Rückkehr in Berlin.
Vorbereitende Bleistiftskizzen für unser Gemälde zeugen bereits von Kirchners letztendlichem Bildaufbau. Steine und Küstenformation bilden die Vorhut für den im Hintergrund emporragenden Leuchtturm, den der Künstler in einer aquarellierten Zeichnung überraschenderweise einmal gänzlich übergeht, um sich auf die Komposition des Vordergrunds und den Entwurf einer Farbigkeit zu konzentrieren.
Das finale, hier angebotene Gemälde zeigt dann jedoch ein meisterliches Spiel mit dem variantenreichen Formenkanon, den Architektur und Landschaft dem Expressionisten offenbaren.
Vom Strand aus zeigt Kirchner hier – in einer Vielzahl fein abgestimmter und doch kräftiger Farben – den direkten Blick in Richtung des Leuchtturms von Staberhuk, seines damaligen Domizils, der hoch über der mit kräftig-grüner Vegetation bewachsenen und von großen Felsbrocken, sog. Findlingen, bevölkerten Küstenlandschaft, über Sandstrand, Klippen und Meer vor dem abendlichen Himmel emporragt. Statt eines klassischen Querformats wählt Kirchner für seine Landschaft ein Hochformat, das die längliche Form des dargestellten Leuchtturms wiederholt und diesen damit zusätzlich in den Fokus rückt. Dargestellt wird nicht allein die vorgefundene Realität, sondern eine durch den Künstler mitgestaltete, fast paradiesische Szene.
Der Sommer 1912: Bilder "von absoluter Reife"
Die gezeigte Landschaft wird Kirchner nicht nur in diesem Sommer, sondern auch in den zwei darauffolgenden Jahren zu einer besonders fruchtbaren künstlerischen Schaffensphase verhelfen, in der Arbeiten von zentraler Bedeutung für sein gesamtes Œuvre und die expressionistische deutsche Kunst entstehen. In einem Aufsatz über sein damaliges Werk notiert Kirchner später rückblickend: "1912 bis 1914 verbrachte ich mit Erna die Sommermonate auf Fehmarn. Hier lernte ich die letzte Einheit von Mensch und Natur gestalten und vollendete das, was ich in Moritzburg angefangen hatte. Die Farben wurden milder und reicher, die Formen strenger und ferner von der Naturform." (E. L. Kirchner, in: Eberhard W. Kornfeld, Ernst Ludwig Kirchner. Nachzeichnung seines Lebens, Ausst.-Kat., Basel 1979, S. 337)
Während sich bei einigen Gemälden nicht mit eindeutiger Sicherheit sagen lässt, ob sie im Sommer 1912 oder im Sommer 1913 entstanden sind, zeigt sich in den eindeutig dem zweiten Fehmarn-Aufenthalt im Jahr 1912 zuzuordnenden Werken bereits eine deutliche Weiterentwicklung seiner Malerei. Die verspielte Leichtigkeit der früheren Arbeiten aus den Dresdener "Brücke"-Jahren weicht klareren, bestimmteren Formen und reiferen, spannungsvolleren Kompositionen sowie besonders reizvollen Bildlösungen. Auch der Künstler selbst erkennt diesen Fortschritt. In einem Brief an seinen Förderer Gustav Schiefler schreibt er 1912: "Wie Sie wohl wissen, war ich diesen Sommer nach 5 jähriger (sic!) Pause wieder auf Fehmarn. Ich will nächstes Jahr wieder hin. Der ganz starke Eindruck des ersten Dortseins hat sich vertieft und ich habe dort Bilder gemalt von absoluter Reife, soweit ich das selbst beurteilen kann. Ocker, blau, grün sind die Farben von Fehmarn, wundervolle Küstenbildung, manchmal von Südseereichtum […]." (E. L. Kirchner, 1912, zit. nach: Staatsgalerie Stuttgart, www.staatsgalerie.de/de/sammlung-digital/ins-meer-schreitende)
Fehmarn bietet Kirchner den größtmöglichen Kontrast zur Metropole Berlin. Gemeinsam mit seiner neuen Lebensgefährtin kann er hier seine Sehnsucht nach der Einheit von Mensch und Natur verwirklichen, selbst erleben und künstlerisch erfassen. Glücklich ob dieser Möglichkeit, voller Tatendrang und künstlerischer Schaffenskraft und außerdem verliebt, lebt Kirchner einige wenige Wochen in Harmonie mit seiner Umwelt, zunächst befreit von seinen schweren Depressionen, von denen er noch im Vorjahr berichtet.
Erinnerung an glückliche Sommer
Dieser und die darauffolgenden beiden Fehmarn-Sommer hinterlassen tiefe Eindrücke und beschäftigen den Künstler nachhaltig. Noch 1916, inmitten des Ersten Weltkriegs und in einer für den Künstler gesundheitlich herausfordernden Zeit, sehnt er sich nach Fehmarn zurück. Kurz vor seinem dritten Aufenthalt im Sanatorium Dr. Kohnstamm in Königstein im Taunus schreibt er in einem Brief an den Sammler Karl Ernst Osthaus: "Ich will bald wieder herauf nach Königstein. Lieber ginge ich hinauf nach Fehmarn, aber dort ist gesperrt." (E. L. Kirchner, 1916, in: Dietrich Reinhardt, Brücke-Almanach. Ernst Ludwig Kirchner auf Fehmarn, S. 43)
Die Sehnsucht nach Fehmarn und nach seinen dort verlebten, glücklichen Sommern verarbeitet der Künstler wenig später im Sanatorium in eindrucksvollen, monumentalen Wandbildern mit Badeszenen und an Fehmarn angelegten Motiven (von den Nationalsozialisten zerstört, vermutl. 1938).
Selbst nach ihrer Übersiedlung in die Schweiz in den 1920er Jahren senden Erna Schilling und E. L. Kirchner der Familie des Leuchtturmwärters Lüthmann regelmäßig nahrhafte Pakete, aus Dank für die schönen und künstlerisch wie mental so stimulierenden Sommer-Aufenthalte.
Ein Großteil der in diesen wichtigen Sommern auf Fehmarn entstandenen Werke befindet sich heute in Museumsbesitz, darunter das LWL Museum für Kunst Kultur, Münster, die Bremer Kunsthalle, das Osthaus Museum Hagen, die Staatsgalerie Stuttgart, das Städel Museum, Frankfurt am Main, die Hamburger Kunsthalle, das Folkwang Museum, Essen, die Nationalgalerie der Staatlichen Museen zu Berlin, das Aargauer Kunsthaus, Aarau, das Kunstmuseum Liechtenstein, die Art Gallery of New South Wales, Sydney, das Carnegie Museum of Art in Pittsburgh und das Detroit Institute of Arts. Eine Tatsache, welche die Bedeutung dieser Schaffensperiode sicherlich zusätzlich unterstreicht. [CH]
125000933
Ernst Ludwig Kirchner
Leuchtturm hinter Bucht, 1912.
Öl auf Leinwand
Schätzpreis: € 700.000 - 900.000
Informationen zu Aufgeld, Steuern und Folgerechtsvergütung sind ab vier Wochen vor Auktion verfügbar.
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