Auktion: 374 / Moderne Kunst am 04.12.2010 in München Lot 38

 
Ernst Ludwig Kirchner - Nervöse beim Diner


38
Ernst Ludwig Kirchner
Nervöse beim Diner, 1916.
Holzschnitt
Schätzung:
€ 30.000
Ergebnis:
€ 128.100

(inkl. Käuferaufgeld)
Holzschnitt
Dube H 276 II (von II). Signiert und schwer leserlich bezeichnet "Eigendruck 3 Druck". Auf Kupferdruckpapier. 41,1 x 27,5 cm (16,1 x 10,8 in)Papier: 56,5 x 38,6 cm (22,2 x 15,1 in).
Laut freundlicher Auskunft von Herrn Prof. Dr. Günther Gercken ist ein neuer 1.Zustand (Städel Museum, Frankfurt a.M.) bekannt geworden.
Höchst seltener Holzschnitt, in den letzten 25 Jahren ist er nur zweimal auf dem internationalen Auktionsmarkt aufgetaucht. (Quelle: artnet.com).

PROVENIENZ: Aus dem Nachlass des Künstlerkollegen Walter Röhricht.

Nach dem Abschluss eines Architekturstudiums in Dresden, während dessen Ernst Ludwig Kirchner Fritz Bleyl, Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff kennenlernt und mit diesen bereits künstlerisch zusammenarbeitet, entscheidet sich Ernst Ludwig Kirchner gegen den Wunsch seines Vaters ganz für die Malerei. Der intensive Austausch der vier Freunde führt 1905 zur Gründung der Künstlergemeinschaft "Brücke" - mit dem Ziel "alle revolutionären und gärenden Kräfte an sich zu ziehen" (Schmidt-Rottluff). Die Künstler beginnen mit den "Viertelstundenakten", den Zeichnungen nach Aktmodellen im Atelier oder in der Natur. Die Gruppe orientiert sich zunächst an Künstlern des Spätimpressionismus. Die Entdeckung der Fauves, der Südsee-Kunst und van Goghs führt die Maler zum Expressionismus. Infolge der Begegnung mit der Kunst der italienischen Futuristen verändert sich der Malstil der Gruppe um 1910, er wird "härter". Ernst Ludwig Kirchner studiert die Plastik im Dresdner Völkerkundemuseum. Unter diesem Eindruck haut und schneidet er selbst Holzplastiken. 1911 übersiedelt Kirchner nach Berlin. Die Großstadt bietet ihm eine Fülle neuer Motive, die er in vereinfachten, scharf konturierten Formen, expressiven Zügen und grellen Farbkontrasten umsetzt. Diese Großstadtbilder werden zu Inkunabeln des Expressionismus und machen Ernst Ludwig Kirchner zu einem der bedeutendsten deutschen Künstler des 20. Jahrhunderts. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges und die folgenden Jahre bedeuten einen Wendepunkt in Kirchners Leben. Die Kriegsereignisse und der Militärdienst stürzen ihn in existenzielle Angst, führen letztlich zu Krankheit und langen Sanatoriumsaufenthalten. Um so bemerkenswerter ist seine künstlerische Produktion in dieser Zeit. Es entstehen Werke wie der Holzschnitt "Frauen am Potsdamer Platz", die "Bilder zu Chamissos Peter Schlemihl", die Selbstporträts und Holzschnittbildnisse aus den Sanatorien, die zu den Höhepunkten seines Œuvres zählen.

Die Arbeit am Holzschnitt "Nervöse beim Diner" fällt in die Zeit von Kirchners erstem Sanatoriumsaufenthalt bei Dr. Kohnstein im Taunus 1915/16. Die vertikale, dicht gedrängte Staffelung der drei Figuren, ihre steife Haltung, der starre Blick und die skelettartigen Hände, mit denen sie mit Messern und Gabeln speisen, geben einen Eindruck von Kirchners Gefühlsleben in dieser Atmosphäre. "Es ist natürlich eine furchtbar schwere Sache, so viel am Tage unter fremden Menschen zu sein. Vielleicht kann ich aber doch neues sehen und gestalten. Vorläufig hätte ich gerne mehr Ruhe und absolute Abgeschlossenheit." (Kirchner in einem Brief an Hagemann, Januar 1916).

1917 lässt sich Ernst Ludwig Kirchner in Frauenkirch bei Davos nieder. Den Großstadtbildern folgen nun Gebirgslandschaften und Darstellungen ländlichen Lebens. Um 1920 beruhigt sich seine expressive Malweise, die Bilder erhalten eine teppichhafte Flächigkeit. Daneben entsteht ein bedeutendes grafisches Werk in Form von Holzschnitten, Lithografien und Federzeichnungen. 1923 zieht Ernst Ludwig Kirchner in das "Haus auf dem Wildboden" am Eingang zum Sertigtal, wo er bis zu seinem Freitod im Jahr 1938 lebt und arbeitet. [DB].




38
Ernst Ludwig Kirchner
Nervöse beim Diner, 1916.
Holzschnitt
Schätzung:
€ 30.000
Ergebnis:
€ 128.100

(inkl. Käuferaufgeld)