Auktion: 470 / Kunst nach 1945 I am 09.06.2018 in München Lot 861

 

861
Asger Jorn
Untitled, 1955.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 50.000
Ergebnis:
€ 62.500

(inkl. Käuferaufgeld)
Untitled. 1955.
Öl auf Leinwand.
Atkins, 1977, Nr. 909. Rechts oben signiert und datiert. 65,5 x 58 cm (25,7 x 22,8 in).

Das Werk ist im Museum Jorn, Silkeborg, verzeichnet.

Im Frühjahr 1954 hatte Asger Jorn sich mit seiner Familie an der ligurischen Küste in Albisola Marina einen neuen Stützpunkt für sein europäisches Unterwegssein geschaffen. Bereits in den 20er Jahren hatte Tullio Mazzotti den kleinen Ort mit der jahrhundertlangen Tradition des keramischen Handwerks zu einem Zentrum der Avantgarde gemacht. Für viele Künstler des Futurismus war Albisola zur Produktionsstätte ihrer avancierten keramischen Objekte geworden. Als Jorn von einer schweren Tuberkulose genesend in den Süden kommt, gewinnt er unter den Töpfern und Bewohnern der Kleinstadt viele Freunde, ist mit seiner Familie bald stadtbekannt. Für Albisola wird er die Verbindung zur Welt – aus ganz Europa lädt er seine Freunde ein und schon im Sommer 1954 organisiert er vor Ort den ersten internationalen Kongress für experimentelle Keramik. Im Herbst des gleichen Jahres beginnt er mit einer fulminanten Serie von kleineren Formaten, die als „Dream Pictures“ bekannt werden. In ihnen interpretiert er sein bis dahin gesammeltes Formenrepertoire neu und führt damit auch die erzählerische Lesbarkeit seiner Figurationen zu einem vorläufigen Abschluss. „Zuhause“ in Dänemark organisiert sein Kopenhagener Galerist Borge Birch eine Ausstellung für diese Bilderserie, und es wird der erste wirklich große Erfolg in Jorns Karriere. Im darauffolgenden Frühjahr beginnt Jorn mit neuem Elan systematisch die Erkenntnisse, die er durch den direkten Zugriff auf die Materie, durch das Arbeiten mit Ton, Glasuren und Engobe gewonnen hat, auch für seine Malerei nutzbar zu machen. Die Figurenkonstellationen, die bis dahin Variationen von metaphorisch aufgeladenen Themen waren, löst er jetzt zugunsten von Assoziationsketten auf. Die Titel seiner Bilder werden spielerischer und streifen alsbald Sprichwörter, Filmtitel und paradoxe Wortspiele des Alltags. Das Kreatürliche entsteht aus der Materie des Bildes. Die Farbe ist nicht als Lokalfarbe Träger der Bedeutung, sondern wird zur Spur eines Entstehungsprozesses und gleichbedeutend mit ihrer Form. Das heuschreckenartige Tier, auf dem einige kleine Wesen reiten, das im Zentrum des hier gezeigten Bildes steht, verleugnet nicht die Verwandtschaft zu den „Aganaks“, jenen Jorn’schen Mischwesen, die halb Mensch halb Tier, seine Bildwelt seit den 40er Jahren bevölkern. Mit der Erfindung der „Aganaks“ hatte er seinem Figurenrepertoire eine ganz eigene gutartige Spezies hinzugefügt. Phantasiewesen mit insektenhaften Zügen, die sich kontinuierlich verwandeln, zwischen Himmel und Erde angesiedelt sind und doch gleichzeitig dem Dasein zugewandt – denn es gibt nur diese Welt. An Constant, seinen Freund und Malerkollegen, hatte Jorn schon 1950 in einem Brief geschrieben: „In Märchen und Mythen spricht man von Ungeheuern, von fantastischen Tieren und Zeichen. Das sind stets Symbole, die die Menschen sich von realen Phänomenen gemacht haben. […] Wir sollen keine Beschreibung des Menschen als Tier geben. Aber sollen uns selbst als Tier beschreiben. Das ist unser Weg.“ (zit. nach Uwe M. Schneede, Cobra 1948-51, Ausst.-Kat., Kunstverein Hamburg, Hamburg 1982, S. 138.) Das fein ausgeführte und durch seine Figurenfülle überraschende Bild von 1955 ist eines der luftigsten und fröhlichsten Zeugnisse aus dem neugefundenen Paradies, eine Szene des heiteren Spiels im Irgendwo, am unbekannten Ufer der Zukunft. [EH/ AH]



861
Asger Jorn
Untitled, 1955.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 50.000
Ergebnis:
€ 62.500

(inkl. Käuferaufgeld)