Auktion: 470 / Kunst nach 1945 I am 09.06.2018 in München Lot 864

 

864
Asger Jorn
Danseuse impertinente, 1955.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 60.000
Ergebnis:
€ 93.750

(inkl. Käuferaufgeld)
Danseuse impertinente. 1955.
Öl auf Leinwand.
Auf dem Keilrahmen rückseitig von fremder Hand bezeichnet und mit dem Künstlernamen. 64 x 49,5 cm (25,1 x 19,4 in).
[EH].

Das Werk ist im Museum Jorn, Silkeborg, verzeichnet.

AUSSTELLUNG: Christian Dotremont avec COBRA, Galerie Taptoe, Brüssel 1956.
Casino Knokke, Knokke-Heist, 1956.
Brakke Grond Centre Culturel Flamand, Amsterdam 1988.
Galerie D'Huysser, Brüssel (verso mit einem Etikett).

LITERATUR: Guy Atkins, Asger Jorn, The crucial years 1954-1964, Abb. Nr. 918.
„Man sagt, meine Kunst habe diese nordischen Züge: Die wogende Linie, die verschnörkelten Formen, die magischen Masken und starrenden Augen, die Mythen und die Volkskunst. Das mag sein. Mein Interesse am Jugendstil gehört wohl auch dazu [..]“
Asger Jorn, zit. nach: Retrospektive, ARKEN Museum for Moderne Kunst, Ishoj u.a. 2002/2003. Deutsches Beiheft der Kunsthalle zu Kiel, S.43f.

1955 gilt als „annus mirabilis“ im reichhaltigen Schaffen von Asger Jorn. Anfang 1954 ist er in Albisola Marina an der ligurischen Küste gestrandet, in den Bildern dieses Frühjahrs zeigt sich erstmals jene luzide Leichtigkeit, die, als spezifische Mischung zwischen vandalischer Erbschaft und mediterraner Verheißung, Jorns fundamentaler Beitrag zur europäischen Malerei der zweiten Jahrhunderthälfte werden wird. Bestimmend für das Erscheinungsbild der Bilder dieser ersten Monate in Italien ist ein „anderer“ Umgang mit Farbe als in der Malerei der lyrischen Abstraktion. Es ist Jorns tägliche Beschäftigung mit den Möglichkeiten der experimentellen Keramik, die sich unmittelbar auf die Anlage der Bilder auswirkt. Die Farbe wird als „matière première“ begriffen und dementsprechend eingesetzt. In schneller Folge entstehen jetzt die Meisterwerke, die Guy Atkins, der Autor von Jorns Werkverzeichnis, im Rückblick als Ausdruck der „crucial years“ stilisieren wird. Jorn war nicht unvorbereitet nach Albisola, seit den 1920er Jahren ein Zentrum der Künstlerkeramik, gekommen. Mitte der 50er Jahre war Oberitalien mit seinen Kunstzentren Mailand, Venedig und Turin aktiver Schmelztiegel verschiedenster progressiver Strömungen. Lucio Fontana hatte hier seine Idee des „Spazialismo“, des erweiterten Bildraumes, entwickelt, Enrico Baj die „arte nucleare“ ausgerufen, und Alberto Burri hatte mit seinen, dem städtischen Müll entrissenen „Sacchi“ die Wirklichkeit der Welt zur Realität des Bildes gemacht. – Und die Sonne scheint. Jorn bezieht am Pozzo Garitta, dem Platz der Hexen, das alte Atelier von Fontana und wirft alle praktischen Erkenntnisse, die er seit den späten 30er Jahren in Paris und nach dem Krieg umherziehend in Europa gesammelt hatte, buchstäblich in die Töpfe. Die Malerei, sie war durch die Materie selbst, durch das Erspüren der Form aus der Formlosigkeit neu zu gewinnen. Jorn entwickelt eine Methode, die sich als „Choreographie des Augenblicks“ beschreiben lässt. Angeregt und bestärkt durch die Lektüre des französischen Philosophen Gaston Bachelard lässt er die Momente des Machens, das Motiv, die Malerei aus einer Art Rückkopplungssystem zwischen experimenteller Aktion mit offenem Ausgang, philosophischer Reflexion und den Bedingungen der Malerei selbst entstehen. „Es liegt mehr Wahrheit in der Tiefe eines Bildes als im Himmel der ästhetischen Theorie“, hatte ihm der belgische Dichter Christian Dotremont einst in eines seiner Bilder geschrieben.Die Bilder, die 1955/56 in rasanter Abfolge entstehen, verdanken ihre Souveränitat einer neuen Figuration, einer individuellen „Figur-Erfindung“, die Jorn noch in Skandinavien in seiner Serie „Auf der stummen Mythe“ als archaische Bilder zu entwickeln begonnen hatte. Jenseits des Surrealismus hatte er eine Welt des Kreatürlichen entworfen, die von Metamorphosen und Transformation bestimmt ist. In Albisola gelingt ihm der entscheidende Wurf, die Stilisierung der Figur aus der Materie selbst zu entwickeln. „Danseuse Impertinente“ ist eines der paradigmatischen Werke dieser Bildvorstellung. Das Gemälde zeigt nicht nur die Tänzerin, eine „rasende Mänade“, in ihrer aktiven Bewegung, sondern zugleich wird die „Idee von Bewegung“ durch die Anlage des Bildes und seinen Entstehungsprozess wie von selbst durch den Auftrag der Farben anschaulich erzeugt. [AH]



864
Asger Jorn
Danseuse impertinente, 1955.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 60.000
Ergebnis:
€ 93.750

(inkl. Käuferaufgeld)