Auktion: 479 / Klassiker des 20. Jahrhunderts I am 08.12.2018 in München Lot 825

 

825
Asger Jorn
Untitled, 1964.
Collage. Verschiedene Papiere auf dünnem bräunl...
Schätzung:
€ 20.000
Ergebnis:
€ 30.000

(inkl. Käuferaufgeld)
Untitled. 1964.
Collage. Verschiedene Papiere auf dünnem bräunlichem Karton, auf Holz.
Rechts unten signiert und zweifach datiert. 50,5 x 65,5 cm (19,8 x 25,7 in), Blattgröße. [SM].

Die Arbeit ist im Jorn Archiv, Silkeborg (Museum Jorn), registriert.

PROVENIENZ: Galerie Birch, Kopenhagen.
Privatsammlung Holland.
Christie´s Amsterdam, 1.12.1988.
Andrew Kalman, Crane Kalman Gallery, London.
Privatsammlung Mailand.

Das Erscheinungsbild der Straße ist entscheidend für das, was in ihr passiert. Um dem wilden Plakatieren Einhalt zu gebieten, hatte die Stadt Paris mit dem „Loi du 29 Juillet 1881“ ein Gesetz erlassen, das die Nachrichten auf Häuserwänden, Abbruchruinen, Zäunen und Palisaden in geordnete Bahnen lenken sollte. Ein müder Versuch mit Spätfolgen. Schon Ende der 1940er Jahre erkennen Raymond Hains und Jacques de la Villeglé, die jüngste Generation der Künstler im Paris der Nachkriegszeit, das Potenzial dieser „Überreste des Alltäglichen“ für ihre Kunst. Zunächst filmen sie die spannenden Funde vor Ort, lassen kleine Souvenirs mitgehen, aber schon gegen Ende der 50er Jahre sind sie dann soweit: Auf der ersten Biennale des Jeunes Artistes 1959 räumt Raymond Hains eine 27-teilige Palisade mit abgerissenen Plakaten in den Ausstellungsraum. Der Skandal ist den bald als „Affichisten“ oder „Lacérateurs“ bekannten Gruppe von Künstlern gewiss, und so entwickeln sie in der Folge auch im Dunstkreis der Nouveaux Réalistes ihre Fundstücke zu veritablen Variationen von „Tafelbildern“ weiter. Heute gehören die Werke von Hains, Villeglé, Dufrêne, Rotella und Aeschbacher längst zum unangreifbaren Repertoire der Kunst der 60er Jahre.
Als Asger Jorn – mit den neuesten Tendenzen der Pariser Künstler bestens vertraut und selten um geschliffene Kommentare verlegen – im Frühjahr 1964 in der Galerie Rive Gauche eine Ausstellung mit „Plakatabrissen“ ausrichtet, will er der künstlerischen Idee „en vogue“ eine andere Wendung abgewinnen. Was auf den ersten Blick wie eine weitere Position im Feld der Affichisten und damit der „Décollage“ erscheint, erweist sich auf den zweiten Blick fast als ihr Gegenteil, als Resultat der „Entwendung der Methode“. Auch wenn Jorns Arbeiten mit Papier oft als Décollagen bezeichnet werden – ein Begriff, den auch Wolf Vostell seit den späten 50er Jahren in Deutschland zu popularisieren suchte – unterliegt ihnen als Bild ein anderes Prinzip. Leicht erkennbar besteht das Ausgangsmaterial aus abgerissenen Papieren, starkfarbigen Überresten von in den Straßen verklebten Plakaten. Aber Jorn macht die Ausnahme zur Regel. Er benutzt die „gefundenen“ Stücke als „freie Teile“, aus denen er fingerfertig ein neues Bild aufbaut, eine Anhäufung (dän. „Ophobning“). Aus den gerissenen Papierstücken entsteht erst durch ihre Schichtung das unerwartete Resultat, eine „Figuration libre“. Als Unterlage dienen ihm Kartons, Masonitplatten oder sogar die Rückseiten abgerissener Plakate, auf denen Leim, Schmutz und Regen ihre Spuren als Furchen tief ins Papier geprägt haben.
Mit dem Ausstellungstitel „Reforme de la Publicité“ unterstreicht Jorn die konzeptionelle Methode seines Ansatzes. Er zitiert zwar „oberflächlich“ betrachtet das Erscheinungsbild „Décollage“ der Affichisten, bewirkt aber durch den additiven Aufbau des Werks tatsächlich eine „Reform“, eine grundlegende Veränderung des Ergebnisses. Was vermeintlich als direkte Übernahme aus den Resten der „Gesellschaft des Spektakels“ (Guy Debord) erscheint, ist längst wieder frei erspieltes Bild. Eine nuancierte Wendung, ein bewusst gemachtes Détournement der gerade so erfolgreichen „Oberflächen“ der Kollegen. 1967 wird Jorn eine weitere Ausstellung in der Galerie Jeanne Bucher unter dem Titel „Au pied du mur“ (Am Fuße der Mauer) folgen lassen. François Dufrêne, sein Freund und ein Hauptvertreter der Affichisten, kommentiert im begleitenden Katalog: „Ich denke, dass man in meinen Bildern viel mehr Buchstaben findet als bei Jorn; sie sind auf der Rückseite und meistens verändert; es sind Zeichen jedoch ohne jede Bedeutung, versprenkelte Flecken von intellektuellem Blut.“ Ob man die hier im Bild lesbaren Wortreste „maison de“ und „vie“ als Ausgangspunt für Assoziationen nutzen will, bleibt den Betrachtern überlassen.
Das hier gezeigte Werk, Ohne Titel, von 1963/64 war Teil der ersten Ausstellung, die dieser Werkgruppe vorbehalten war, bei Rudy Augustinci in der Galerie Rive Gauche in Paris. Wie einige der Abrisscollagen dieser ersten Serie ist sie von Jorn direkt auf die Holzplatte aufgelegt worden. Im vorläufigen Verzeichnis dieser Abrisscollagen im Katalog „Ganz schön gerissen“ (Hrsg. v. Katharina Henkel, Kunsthalle Emden 2014) ist sie unter Nr. 27 (S. 166) aufgeführt.



825
Asger Jorn
Untitled, 1964.
Collage. Verschiedene Papiere auf dünnem bräunl...
Schätzung:
€ 20.000
Ergebnis:
€ 30.000

(inkl. Käuferaufgeld)