Auktion: 525 / Evening Sale am 10.12.2021 in München Lot 232

 

232
Alexej von Jawlensky
Frauenkopf mit Blumen im Haar, Um 1913.
Öl auf Malpappe
Schätzung:
€ 2.500.000
Ergebnis:
€ 2.905.000

(inklusive Aufgeld)
Frauenkopf mit Blumen im Haar. Um 1913.
Öl auf Malpappe.
Links oben signiert. Auf der Rückseite der Malpappe mit Beschriftungen durch Emmy "Galka" Scheyer: "1. Frauenkopf. mit Blumen im Haar" (um 1920). Auf der Rückseite des originalen Künstlerschmuckrahmens mit der Adressbezeichnung "Giselastr.", einem Etikett der Galerie Commeter in Hamburg sowie einer Aufschrift der Galerie Ernst Arnold in Dresden. 53,5 x 49,3 cm (21 x 19,4 in).


• Sensationelle Wiederentdeckung. Seit 100 Jahren im selben Familienbesitz.
• Eines der schönsten und charaktervollsten Bildnisse aus der Werkgruppe der Köpfe vor dem Ersten Weltkrieg.
• Mutig gesetzte Farbkontraste kulminieren in einem expressiven Farbenrausch.
• Keine – in Qualität und Expressivität – vergleichbare Arbeit wurde in den letzten Jahren auf dem internationalen Auktionsmarkt angeboten
.

Mit einer Bestätigung des Alexej von Jawlensky-Archiv S.A., Locarno, vom 18.8.2017.

Für dieses Gemälde liegt eine Leihanfrage des Kunstmuseums Moritzburg, Halle an der Saale, vor.

Für weitere Informationen beachten Sie bitte unseren Sonderkatalog.

Nicola Gräfin Keglevich berät Sie umfassend und exklusiv:
n.keglevich@kettererkunst.de
+49(0)89 552 44 - 175
.

PROVENIENZ: Atelier des Künstlers (bis 1920).
Emmy "Galka" Scheyer, Wiesbaden (in Kommission aus dem Eigentum des Künstlers, ab 1920, verso mit der handschriftlichen Betitelung).
Privatsammlung Baurat H.L.V. Rheinland-Pfalz (wohl in den 1920er Jahren erworben, bis 1957).
Privatsammlung H.V. (1957 durch Erbschaft vom Vorgenannten, bis 1976).
Privatsammlung H.W. (seit 1976, durch Schenkung vom Vorgenannten).

AUSSTELLUNG: Alexej von Jawlensky, Wanderausstellung 1920/21 (Stationen u.a. Berlin, Galerie Fritz Gurlitt; Hamburg, Galerie Commeter; München, Galerie Hans Goltz; Hannover, Kestner-Gesellschaft; Stuttgart, Württembergischer Kunstverein; Frankfurt, Kunstsalon Ludwig Schames; Wiesbaden, Neues Museum; Wuppertal-Barmen, Ruhmeshalle; Mannheim, Kunsthalle, Galerie Ernst Arnold, Dresden u. a.; wechselnde Werkzusammenstellung (verso auf dem originalen Künstlerschmuckrahmen mit dem Etikett der Galerie Commeter, Hamburg sowie einer Aufschrift der Galerie Ernst Arnold, Dresden).
Kunstmuseum Moritzburg, Halle (Saale), Dauerausstellung, August 2017 - Oktober 2021, Teil der Sammlungspräsentation "Wege der Moderne. Kunst in Deutschland im 20. Jahrhundert".

LITERATUR: Galka Scheyer, Alexej von Jawlensky, Ausst.-Kat. zur Wanderausstellung, 1920/21, darin vermutlich als "Kopf 1913".
Kunstmuseum Moritzburg, Halle (Saale), Malerei der Moderne 1900 bis 1945, Bd. 20, München 2017, S. 50 (mit Farbabb.).
Alexej von Jawlensky-Archiv S.A., Locarno (Hg.), Bild und Wissenschaft. Forschungsbeiträge zu Leben und Werk A. v. Jawlenskys, Bd. 4 (erscheint 2022).

Forschung:

Eine Untersuchung des Schmuckrahmens zu „Frauenkopf mit Blumen im Haar“ erbringt die Erkenntnis, dass es sich um den originalen Künstlerrahmen aus der Wohnung des Künstlers handelt. Die Adresse von Jawlenskys Atelierwohnung bis 1920 - „Giselastr.“ - ist handschriftlich in Sütterlin von fremder Hand in Bleistift auf der unteren Leiste notiert. Ein Etikett der Hamburger Galerie Commeter verweist zudem auf die von Galka Scheyer für die Jahre von 1920/21 organisierte Wanderausstellung. Darüber hinaus ist eine Aufschrift in Fettkreide mit einer Nummernfolge und einem Kürzel zu finden. Diese Aufschrift kann unsere Provenienz-Forschung der Dresdner Galerie Ernst Arnold zuweisen. Folgerecherchen ergeben schließlich den Nachweis, dass die oben genannte Wanderausstellung im April 1921 tatsächlich auch in eben dieser Galerie Station macht: in der von Paul Westheim herausgegebenen, monatlich erscheinenden Zeitschrift „Das Kunstblatt“ annonciert im April 1921, Heft 4, S. 127 die Ausstellung „Jawlensky“ in deren Räumlichkeiten. Damit kann die bisherige Lücke in der Ausstellungsfolge der Wanderausstellung zwischen der Station in Barmen (März 1921) und der Station in Düsseldorf (Mai/Anfang Juni 1921) geschlossen werden

Jawlensky und das Bildnis
Der menschliche Kopf ist Jawlenskys wichtigstes Thema, mit dem er vor dem Ersten Weltkrieg seinen neuartigen, expressiven Stil entwickelt. Die bis 1914 entstehenden Bildnisse begründen seinen Ruhm und zählen heute ebenso wie zu Lebzeiten des Künstlers zu seinen gefragtesten und berühmtesten Arbeiten. Mit diesen starkfarbigen und expressiv vorgetragenen Köpfen scheint Jawlensky auf individualisierte Bildnisse zu verzichten, aber gleichzeitig eine stilisierte Monumentalität neu zu denken: Köpfe, die er seiner radikalen Vortragsweise unterstellt, zeigen Physiognomien aus seinem selbst entwickelten Baukasten, mit wie magisch anziehenden Augen, kräftigen Brauen, klar gesetzten Nasenrücken, strichartig umrandeten Mündern, betontem Haaransatz und buntfarbigem Wangenrot: „großflächige Zusammenstellung rein und energetisch klingender Farben, die durch Einklang mit der zeichnerischen Form besonders gehoben werden“, wie Kandinsky es so treffend charakterisiert. (zit. nach: Annegret Hoberg, Jawlensky und Werefkin - Im Kreis der Neuen Künstlervereinigung München und des Blauen Reiters, in: Lebensmenschen - Alexej von Jawlensky und Marianne von Werefkin, München 2019, S. 200-220, hier S. 203).
Im Sommer 1911 reist Jawlensky nach Prerow an der Ostsee und malt dort, wie er sich später erinnert, „meine besten Landschaften und große figurale Arbeiten in sehr starken, glühenden Farben, absolut nicht naturalistisch und stofflich. Ich habe sehr viel Rot genommen, Blau, Orange, Kadmiumgelb, Chromoxydgrün. Die Formen waren sehr stark konturiert mit Preußischblau und gewaltig aus einer inneren Ekstase heraus“ (zit. nach: Ausst.-Kat. Alexej von Jawlensky. Reisen, Freunde, Wandlungen, Museum am Ostwall, Dortmund, 1998, S. 114).
Die wohl in Prerow an der Ostsee gemalten Bildnisse betitelt Jawlensky etwa „Helene mit blauem Turban“, „Blonde Frau“, „Bucklige“, „Russin“, „Frau mit roter Bluse“. Es ist nicht überliefert, ob der Künstler für seine „figuralen Figuren“ nach der Rückkehr nach München jenen charakteristischen Modellen begegnet ist oder ob er sie gleichsam aus einem Ur-Kopf entwickelt und den Variationen der verschiedenen Charaktere typenimmanente Titel verleiht. Viele der weiblichen, bisweilen auch männlich anmutenden Köpfe aber sind auch gar nicht als individualisierte Porträts gedacht, sondern, wie ihre Titel andeuten, exotische „Typenporträts“ anderer Kulturkreise: „Asiatin“, „Französin“, „Frau aus Turkestan“, „Sizilianerin mit grünem Schal“, „Spanisches Mädchen“, „Kreolische Frau“, „Byzantinische Frau“ oder „Ägyptische Frau“ , „Barbarenfürstin“. Es sind aussagekräftige, ikonenhafte Bildnisse, die den Versuch Jawlenskys seit etwa 1911 belegen, vom Individuellen zum Allgemeinen zu abstrahieren, die Form der Köpfe zu vereinheitlichen, das Motiv aber malerisch und erzählerisch großartig auszuschmücken.

Ein mystisches Schlüsselbild
Vergleicht man „Frauenkopf mit Blumen im Haar“ mit diesen wenig zuvor entstandenen expressiven Köpfen, so wird deutlich, welch enormen Schritt Jawlensky im Jahr 1913 geht. „Frauenkopf mit Blumen im Haar“ ist ein Schlüsselbild innerhalb dieser bemerkenswerten künstlerischen Entwicklung, die Karl Schmidt-Rottluff noch 1934 gegenüber Jawlensky treffend zusammenfasst: „Ich bekenne Ihnen Bewunderung für das Werk, das Sie in all den Jahren geschaffen haben, das mit den starken, blutvollen Farben beginnt und das Sie zu den stillen, vergeistigten Bildern gebracht hat, die ich als wahrhaft moderne Heiligenbilder bezeichnen möchte. Es will mir scheinen, daß in diesen ein alter Ikonenmaler Ihres Volkes wieder lebendig geworden ist – so echt und gläubig und versunken, wie es nirgends heute etwas Ähnliches gibt.“ (zit. nach: Roman Zieglgänsberger, Alexej von Jawlensky, Köln 2016, S. 4).
Woher dieses „Neue“ kommt, macht „Frauenkopf mit Blumen im Haar“ visuell unmittelbar deutlich. Jawlensky verbindet seine offensichtliche Hinwendung zu östlicher Mystik und Religiosität mit seinem inzwischen ausgeprägten expressiven Malstil. Richart Reiche, der Jawlensky Ende 1921 in der Ruhmeshalle Barmen umfänglich ausstellt, erkennt, wie sehr der Künstler von den byzantinisch geprägten Bildwelten beeinflusst ist (Feuer: Monatsschrift für Kunst und künstlerische Kultur, 3.1921/ 1922, S. 27). Wie naheliegend diese Vermutung gerade und im Besonderen bei „Frauenkopf mit Blumen im Haar“ ist, zeigt nicht nur das Gemälde selbst mit dieser der ostkirchlichen Formensprache entlehnten Andeutung eines „Goldgrundes“.

Maskeraden und Modelle
Auffallend bei dem Bildnis „Frauenkopf mit Blumen im Haar“ ist nicht zuletzt das Dekorum: Drei große, üppige Blüten, Pfingstrosen vielleicht, schmücken das schwarze, streng gescheitelte Haar der Dargestellten. Das schwarze Kleid ist mit einem hellen Spitzenkragen besetzt. Diese Kombination aus Blüten und Spitzen ist bekannt: Jawlensky setzt sie ab 1911 besonders ein in der neuen Motivgruppe der „Spanierinnen“. Aber vielleicht ist es kein weibliches Modell, sondern der Tänzer Alexander Sacharoff, der schon für diese Bilder der „Spanierinnen“ Modell steht, wie Elisabeth Erdmann-Macke überliefert: „Er malte damals großformatige starkfarbige Bilder, als Modell saß ihm oft der Tänzer Sacharoff, den er zu diesem Zweck als Frau und Spanierin mit Fächer und Mantilla verkleidete.“ (zit. nach: Elisabeth Erdmann-Macke, Erinnerung an August Macke, Stuttgart 1962, S. 191). Diese weitere Fantasien eröffnende Entdeckung, von einer Zeitzeugin explizit beschrieben, lässt ein vergleichbares Vorgehen des Künstlers durchaus auch für das Bildnis „Frauenkopf mit Blumen im Haar“ annehmen. Zwischen Jawlensky und Sacharoff entwickelt sich ab Anfang 1905 eine intensive Freundschaft. Der gebürtige Ukrainer studiert 1903/04 in Paris Malerei und lässt sich anschließend in München als Tänzer ausbilden. Im Münchner Odeon bringt Sacharoff 1910 seine ersten aufsehenerregenden Ausdruckstänze in selbstentworfenen Kostümen auf die Bühne. Folgt man der Kunsthistorikerin Annegret Hoberg, eine intime Kennerin der Münchner Kunstszene vor 1914, so wird Sacharoff neben Helene Nesnakomoff, der Mutter von Jawlenskys Sohn Andreas, zum beliebtesten Modell für den Künstler. Beide stehen Modell für die expressiven Porträts und farbigen Köpfe, die sich zur zentralen Gattung seiner Vorkriegsmalerei entwickeln: „Auch für zahlreiche weitere ,weibliche‘ Bildnisse bis 1913, etwa die ,Spanierin‘, saß der entsprechend kostümierte und geschminkte Tänzer Sacharoff Modell, während sich Helene in typisierten Rollen zur Asiatin oder Barbarenfürstin verwandelte und die Bildnisse etwa zu Turandot I sich vollkommen von einem realen Vorbild unabhängig machten.“ (Annegret Hoberg, zit. nach: Lebensmenschen - Alexej von Jawlensky und Marianne von Werefkin, München 2019, S. 207). Gerade der intensive Blick des androgyn auftretenden Tänzers fasziniert den Maler. Er lässt den Tänzer in Rollen schlüpfen, die seiner expressiven Mentalität entsprechen. So ist Sacharoff bereits im Jahr 1909 Akteur in den großartigsten Gemälden Jawlenskys, wie das „Bildnis des Tänzers Alexander Sacharoff“ mit weiß geschminktem Gesicht in zinnoberrotem Kostüm. So mimt der Tänzer im Gemälde „Die weiße Feder“ eine Japanerin in fantasievollem Kostüm und zeigt der Maler den Tänzer mit höchst erotischer Geste in dem Bildnis „Rote Lippen“. Drei Gemälde, mit denen Jawlensky nicht nur der Verkleidungskunst des Tänzers zwischen den Geschlechtern huldigt, sondern auch dessen wandelbare Mimik als Motiv für seine Bildniswelt entdeckt.

Jawlensky und Lola Montez
Jawlensky zeichnet sich gerade in den wichtigen Jahren vor dem Ersten Weltkrieg durch seinen offenen Geist aus, durch seine genuine Fähigkeit, vorurteilsfrei die verschiedensten Impulse zu verarbeiten und zu ganz Eigenem zu verwandeln. Wie ein Schwamm saugt Jawlensky in diesen Jahren verschiedenste Inspirationen auf, und eine dieser Inspirationen scheint auf ganz andere Art die Skandalgeschichte um Lola Montez gewesen zu sein. Reflexe sind in dem Bildnis „Frauenkopf mit Blumen im Haar“ unverkennbar, sie machen einmal mehr die beeindruckende Vielschichtigkeit und Vielsprachigkeit dieses Gemäldes deutlich. Es ist eine Geschichte, die Jawlenskys Vorliebe für Skurriles bezeugt. Lulu, wie der Maler von Freunden bezugnehmend auf die anzügliche Hauptfigur in Frank Wedekinds „Erdgeist“ genannt wird, liebt schließlich die Frauen ebenso wie die Maskerade, das Theater, den Tanz, das Geheimnis und auch den Skandal. Ein Ereignis, das vergleichbare Anzüglichkeiten auf sich vereint und zur Entstehungszeit von „Frauenkopf mit Blumen im Haar“ in Schwabing einmal mehr in aller Munde ist, ist dem Künstler sicher nicht entgangen: die Person der Lola Montez. Elizabeth Rosanna Gilbert, bekannt als Lola Montez, ist eine weltgewandte Hochstaplerin, die als skandalträchtige Mätresse Ludwigs I. zum politischen Mühlstein wird. Seit Anfang der 1840er Jahre gibt sie sich zunächst in London und nach ihrer Flucht auch in München als spanische Tänzerin aus Sevilla aus.
1911, als Jawlensky beginnt, die Serie der „Spanierinnen“ zu malen, jährt sich ihr Todestag zum 50. Mal. Im folgenden Jahr, 1912, erscheint im Berliner Verlag von Richard Bong der historische Roman „Lola Montez“ des österreichischen Schriftstellers Joseph August Lux, dessen Auflage schnell die 30 Tausend überspringt. Dieser große Erfolg wir auch im Kreis um Jawlensky ein Thema gewesen sein, nicht zuletzt, da Lux, der dem „Werkbund“ eng verbunden ist, wie Jawlensky zur „Schwabinger Bohème“ gehört. Seit 1910 wohnt er in München, 1913 zieht er vom Lehel in die Schwabinger Adelheidstraße 35. Dass man sich mindestens aus der Ferne kennt, erscheint naheliegend. Lux beschreibt Lola Montez nicht etwa als die skandalöse Witzfigur, die sie in der Karikatur längst geworden ist. Lux zeichnet von ihr auch ein anderes Bild als die Politkomödie „Die Morgenröte“ von Josef Ruederer, zu deren Münchner Uraufführung in der „Allgemeinen Zeitung“ vom 15. März 1913 der Kritiker schreibt, Ruederer würde Lola zur „Dirne niedrigsten Ranges“ herabsetzen. Für Lux ist die Montez vielmehr eine „Sphinx“, ein geheimnisvolles, kam fassbares Zwitterwesen: „Eine heilig-schöne Sündhaftigkeit, eine verruchte Heilige, eine Mischung von Weib und Kind, von Hetäre und Jungfrau, liederlich und madonnenhaft sittsam, verwegen und furchtsam, […], lasterhaft und ehrbar, egoistisch, selbstlos und hingebungsvoll […] – kein Wunder also, dass ihretwegen die Männer einander mordeten“ (Lux, Lola Montez, S. 3).
Die gerade um 1912/13 herum also ganz enorme Präsenz eines mehr als 60 Jahre zurückliegenden Skandals wird dem Salon der „Giselisten“ um Werefkin und Jawlensky jedenfalls nicht entgangen sein, und es ist wohl auch kein Zufall, dass eines der „Spanierinnen“-Porträts von Jawlensky, sogar als „Lola“ betitelt ist. Der ganze Habitus dieser Spanierinnen“, mit Spitzenschleier und Blume im schwarzen Haar, mit durchdringendem Blick, verbindet Jawlenskys Werkgruppe mit Lola Montez, die diesen Typus nachhaltig prägte und bis heute prägt.
Stieler charakterisiert die strenge und zugleich geheimnisvolle, verführerisch wirkende Person mit einem auffallend weißen Spitzenkragen über dem enganliegenden, schwarzen Kleid, wie es die spanische Hofmalerei unter Velasquez vorgibt, bemerkt einen Hauch von schwarzem Schleier, der das Kopfhaar bedeckt und endet neben weiteren schmückenden Details schließlich mit den markant roten Blüten, seitlich in das gerichtete Haar gesteckt. Stellt man nun dieses Bild der Montez neben Jawlenskys „Mädchen mit Blumen im Haar“, so wird die Nähe durchaus augenscheinlich. Und das betrifft nicht nur die Attribute, sondern das so eigentümlich und in hellem Kontrast leuchtende Blau der melancholischen Augen zum schwarzen Haar, das daran erinnern mag, was man sich über den magischen Blick der Lola Montez erzählt: „die großen schwermütigen Augen breiten einen blauen Glanz aus; es schien, als hätte niemand Augen außer ihr: solche blaublickende [sic] Augen, die behexen konnten.“ (Lux, Lola Montez, S. 7).

Die Flucht
Als der Erste Weltkrieg ausbricht, werden die Münchner Exilrussen Jawlensky und Werefkin zu Angehörigen der „Feindesmacht“ erklärt. Hals über Kopf, binnen gerade einmal 48 Stunden, müssen sie fliehen und alles in der Giselastraße zurücklassen. Lily Klee und der Maler Adolf Erbslöh kümmern sich ab Herbst 1914 um die Wohnung. Was aber geschieht mit den zahlreichen Kunstwerken, die Jawlensky 1914 zurücklassen muss? An diesem Punkt hat eine weitere wichtige Frau in seinem Leben ihren großen Auftritt: Emmy ‚Galka‘ Scheyer.

Die Agentin
Emmy Scheyer, Tochter eines Braunschweiger Konservenfabrikanten, lernt Alexej von Jawlensky im Jahr 1916 in Lausanne anlässlich einer Ausstellung kennen. Sie, die 27-jährige Kunststudentin, er, der 52jährige Maler, der ihr später den Spitznamen „Galka“ (Dohle) gibt. Begeistert von Jawlenskys Gemälde „Der Buckel“ beschließt sie, die eigene Malerkarriere aufzugeben und stattdessen ihre Energie für die professionelle Vermarktung von Jawlenskys Œuvre zu verwenden, in Ausstellungen und Publikationen, Verkäufe und Verhandlungen zu investieren. Ein Vertrag zwischen Galka Scheyer und Alexej von Jawlensky regelt alle Details. Erstmals reist Galka Scheyer 1919 nach München, ist in der Wohnung in der Giselastraße und sichtet die zurückgelassenen Kunstwerke. Nach der Wohnungsauflösung 1920 lagern die Kisten voller Gemälde schließlich bei Emmy Scheyer, die inzwischen wieder im elterlichen Haus in Braunschweig lebt.

„Frauenkopf mit Blumen im Haar“ und die Wanderausstellung
Voller Tatendrang plant Galka Scheyer schon bald nach der ersten Bestandssichtung, das Werk Jawlenskys in einer großangelegten Wanderausstellung durch Deutschland dem Publikum wieder in Erinnerung zu rufen. Enthusiastisch schildert sie Jawlensky, wie sie die Bilder auspackt, in Gruppen unterteilt und auf die Rückseiten Etiketten mit den Titeln klebt oder direkt beschreibt, und sie wird auch Werke umrahmen. Auf die Rückseite unseres Gemäldes schreibt Galka Scheyer die Bezeichnung: „A. von Jawlensky“ und weiter etwas versetzt: „1. Frauenkopf. mit Blumen im Haar“, wobei der Zusatz „mit Blumen im Haar“ wohl in einem zweiten Schritt hinzugefügt wird.
Auch ein neuer Rahmen, den Scheyer aus der Wohnung Jawlenskys mitnimmt, wird angebracht. Auf diesem Rahmen, in dem sich das Werk „Frauenkopf mit Blumen im Haar“ bis heute befindet, ist nicht nur in Sütterlin von fremder Hand die Anschrift „Giselastr.“ zu lesen, er trägt auch die Nachweise zweier Stationen der großen und vielbeachteten Wanderausstellung, auf der demnach auch das vorliegende Werk gezeigt wird. Zu finden ist ein Etikett der Galerie Commeter in Hamburg sowie eine Aufschrift in Fettkreide der Dresdner Galerie Arnold – beides Stationen der Wanderausstellung. Diese nämlich macht, was der Forschung bisher nicht bekannt war, offenbar auch in der Dresdner Galerie Arnold Station. „Das Kunstblatt“ jedenfalls annonciert im April 1921, Heft 4, S. 127 die Ausstellung „Jawlensky“ in deren Räumlichkeiten.
Zur Wanderausstellung sind zwei verschiedene Kataloge bekannt, der eine mit 100, der andere mit 136 Nummern. Die Angaben auf der Werkliste sind gleichwohl so rudimentär, dass eine zweifelsfreie Zuordnung einzelner Gemälde nur ausnahmsweise möglich ist. Hinzu kommt, dass die Werkzusammenstellung je nach Station variiert. Galka Scheyer legt die Auswahl der auszustellenden Werke mit den Ausstellungs-Stationen fest und ergänzt sie, je nach Verkaufsquote, durch weitere Gemälde. So fährt sie persönlich nach Frankfurt und besucht den Galeristen Ludwig Schames, nimmt in Hannover Kontakt zu Paul Erich Küppers auf, dem Direktor der 1916 gegründeten Kestner-Gesellschaft, verhandelt mit Richart Reiche, dem Leiter der Ruhmeshalle in Barmen (Wuppertal). Beginnen aber wird die Wanderausstellung im Sommer 1920 in der Galerie von Fritz Gurlitt in Berlin und wird nach verschiedenen Stationen auch sehr erfolgreich in Wiesbaden zu sehen sein. Hierüber berichtet Scheyer an Jawlensky: „20 Bilder verkauft 2 noch in Unterhandlung … Fast alle sind aus der Reserve gekauft“, was so viel bedeutet wie: außer Katalog! Jawlensky ist ihr zutiefst dankbar und bedankt sich am 21. April 1921 bei Emmy Scheyer: „Ich habe meine Kunst in Ihre Hände gelegt und werde noch steigern, um Ihnen zu zeigen, daß ich leben möchte, um immer weiter zu gehen“. Und ein paar Tage später am 27. April formuliert der beindruckte Künstler: „Gott und Schicksal haben mir auf meinem Weg Sie, Emmy, gegeben. Und ich bin Ihnen so dankbar für alles was Sie für mich machen. Gott wird Sie belohnen.“ (Zit. nach: Angelica Jawlensky in: Ausst.-Kat. Die Blaue Vier, Bern, 1997, S. 70)

Provenienz. Ein wiederentdecktes Meisterwerk
Zu welchem Zeitpunkt Jawlenskys „Frauenkopf mit Blumen im Haar“ nach der großen Ausstellungstournee den Besitzer wechselt, lässt sich heute nicht mehr mit Bestimmtheit feststellen. Der Käufer war als Architekt in den 1920er Jahren im Stil der „Neuen Sachlichkeit“ und im Bereich Siedlungsbau tätig. Zahlreiche seiner Bauten sind heute noch im Ursprung erhalten und in der „Denkmaltopographie der Bundesrepublik Deutschland“ beschrieben. Vielleicht sieht er damals sogar die erste Einzelausstellung des Künstlers, die Jawlensky-Schau in der Barmer Ruhmeshalle im Jahr 1911 – beruflich ist der Baumeister zu dieser Zeit in unmittelbarer Nähe tätig. Später lässt er sich im Frankfurter Umkreis nieder, wo er seine modernistischen Ideale Ende der 1920er Jahre in seiner eigenen Villa im Stil der neuen Sachlichkeit umsetzt. Man kann sich lebhaft vorstellen, wie ergreifend sich der tief durchgeistigte „Frauenkopf mit Blumen im Haar“ in diesem Ambiente ausgemacht haben muss.

„Frauenkopf mit Blumen im Haar“ verbleibt durch Erbgänge und Schenkung immer innerhalb der Familie. Dies mag der Grund dafür sein, dass dieses Gemälde Clemens Weiler, dem Verfasser des ersten Werkverzeichnisses, nicht bekannt war und es nicht vor 2017 im Jawlensky Archiv verzeichnet wurde. Und so gleicht die überaus erfreuliche Wiederentdeckung des Gemäldes „Frauenkopf mit Blumen im Haar“ einer kleinen Sensation. Dass wir heute in der Lage sind, dieses großartige Kunstwerk gemeinsam kennenzulernen, ist eine große Bereicherung für die Kunstgeschichte. „Wem das Glück zuteil geworden ist, ein Bild von Jawlensky zu besitzen, dem gebe ich den Rat, es gewöhnlich mit einem Vorhang zu verschließen und nur in Feierstunden sich dem Eindruck auszusetzen. Sie wollen betrachtet sein wie die kostbarsten Heiligenbilder in den Schreinen der alten Flügelaltäre. Nur an Festtagen sollen sie erscheinen.“ (W. A. Luz, A. von Jawlensky. Neue Bildnisse, in: Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers 13.1921, S. 684–689, hier S. 689)

Dr. Mario von Lüttichau, Dr. Agnes Thum


Zitat:
„Der ‚Frauenkopf mit Blumen im Haar‘ gehört zur bedeutendsten Werkphase des Künstlers kurz vor dem Ersten Weltkrieg. Obwohl Jawlensky in dieser Periode ausgesprochen kraftvoll und expressiv arbeitet, versteht er es zugleich immer auch subtile Stimmungen sinnlich einzufangen. Hier ist es eine verhaltene Melancholie, die über dem gesamten Bild wie ein angenehmer Schleier liegt und den besonderen Reiz ausmacht. Nicht zuletzt deshalb ist das bislang unbekannte Gemälde mit seinem furios gemalten, rotwarmen Haarschmuck und den wogenden mintkühlen Kragenstreifen als große Entdeckung zu bezeichnen.“
Dr. Roman Zieglgänsberger, Museum Wiesbaden



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Alexej von Jawlensky
Frauenkopf mit Blumen im Haar, Um 1913.
Öl auf Malpappe
Schätzung:
€ 2.500.000
Ergebnis:
€ 2.905.000

(inklusive Aufgeld)