Auktion: 530 / Evening Sale / Sammlung Hermann Gerlinger am 10.06.2022 in München Lot 34

 

34
Karl Schmidt-Rottluff
Afrikanische Schale, 1926.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 200.000
Ergebnis:
€ 275.000

(inklusive Aufgeld)
Afrikanische Schale. 1926.
Öl auf Leinwand.
Grohmann S. 210. Rechts oben signiert. 66,5 x 74 cm (26,1 x 29,1 in).
Verso vom Künstler überstrichenes Bild (wahrscheinlich von 1913, da dieses Format erstmals 1912 und dann ausschließlich 1913 vorkommt). [KT].

• Einzigartiges Zeugnis der für die europäische Moderne und insbesondere den Expressionismus so bedeutsamen Inspiration durch afrikanische Kunst und Formensprache.
• Gemälde mit "afrikanisch" anklingender Motivik werden äußerst selten auf dem internationalen Auktionsmarkt angeboten.
• Das Werk ist Teil zweier bedeutender internationaler Sammlungen - Kurz nach Entstehung kauft das Städel in Frankfurt das Werk an, nach dem Krieg gehört es zur Sammlung des Guggenheim Museum, New York.
• Schicksalhafte Werkhistorie mit der Beschlagnahmung im Rahmen der Aktion "Entartete Kunst" 1937 im Städel Museum, die die Bedeutung des Gemäldes um welt- und kunstgeschichtliche Dimensionen erweitert
.

Wir danken Megan Fontanella, Solomon R. Guggenheim Museum, New York, und Dr. Iris Schmeisser, Städel Museum, Frankfurt am Main, für die freundliche wissenschaftliche Beratung.

Das Werk ist im Archiv der Karl und Emy Schmidt-Rottluff Stiftung, Berlin dokumentiert.

PROVENIENZ:
Städel'sches Kunstinstitut, Frankfurt am Main (1927 direkt vom Künstler erworben - 1937).
Staatsbesitz (1937 vom Vorgenannten beschlagnahmt, EK-Nummer 16121).
Buch- und Kunsthandlung Karl Buchholz, Berlin (am 13.12.1940 vom Vorgenannten erworben).
Buchholz Gallery - Curt Valentin, New York (1941 durch Übernahme vom Vorgenannten).
Nierendorf Gallery, New York.
Nachlass Karl Nierendorf, New York (1947-1948).
Solomon R. Guggenheim Museum, New York (1948 aus dem Nachlass Karl Nierendorf erworben - 1975: Sotheby's New York, 23.1.1975. Auf der Rahmenrückpappe mit zwei Inventar-Etiketten).
Frankfurter Kunstkabinett Hanna Bekker vom Rath, Frankfurt am Main (1976).
Sammlung Hermann Gerlinger, Würzburg (mit dem Sammlerstempel Lugt 6032).

AUSSTELLUNG:
Karl Schmidt-Rottluff, Galerie Ernst Arnold, Dresden, 1927, Nr. 27 (m. Abb.).
Entartete Kunst, Hofgarten-Arkaden, München, 19.7.-30.11.1937, ohne Kat.
Karl Schmidt-Rottluff zum 100. Geburtstag. Verzeichnis der ausgestellten Werke, Schleswig-Holsteinisches Landesmuseum, Schloß Gottorf, Schleswig, 3.6.-12.8.1984, Kat.-Nr. 55.
Karl Schmidt-Rottluff, Retrospektive Kunsthalle Bremen, 16.6.-10.9.1989; Städtische Galerie im Lenbachhaus, München, 27.9.-3.12.1989, Kat.-Nr. 276 (m. Abb; u. Taf. 95).
ReVision: die Moderne im Städel, Städelsches Kunstinstitut, Frankfurt am Main, 26.9.1991-12.1.1992, Kat.-Nr. 27.
Schleswig-Holsteinisches Landesmuseum Schloß Gottorf, Schleswig (Dauerleihgabe aus der Sammlung Hermann Gerlinger, 1995-2001).
Kunstmuseum Moritzburg, Halle an der Saale (Dauerleihgabe aus der Sammlung Hermann Gerlinger, 2001-2017).
Karl Schmidt-Rottluff. Landschaften und Stillleben, Saarlandmuseum, Saarbrücken, 6.11.2010-23.1.2011, Kat.-Nr. 23.
Expressionismus im Rhein-Main-Gebiet: Künstler - Händler - Sammler, Museum Giersch, Frankfurt am Main, Kat.-Nr. 119.
Brückenschlag: Gerlinger - Buchheim, Buchheim Museum der Phantasie, Bernried am Starnberger See, 28.10.2017-25.2.2018, S. 376 (m. Farbabb.).
Schmidt-Rottluff. Form, Farbe, Ausdruck, Buchheim Museum, Bernried am Starnberger See, 29.9.2018-3.2.2019, S. 268-269 (m. Abb.).
Buchheim Museum, Bernried (Dauerleihgabe aus der Sammlung Hermann Gerlinger, 2017-2022).

LITERATUR:
www.geschkult.fu-berlin.de/e/db_entart_kunst/datenbank (EK-Nr. 16121).
Korrespondenz des Städel’schen Kunstinstituts mit dem Künstler zum Ankauf von 1927, Archiv des Städel-Museums, Sig. 623.
Brief, Karl Buchholz - Propagandaministerium, 22.5.1940, Händlerakte Buchholz, Bundesarchiv, Berlin, R55/21017.
Liste, Bestand in Schönhausen, 1939, Händlerakte Gurlitt, Bundesarchiv, Berlin, R55/21015, Bl. 49, Nr. 765.
Will Grohmann, Karl Schmidt-Rottluff, Stuttgart 1956, S. 111 (m. Abb. S. 210).
Sotheby's Parke Bernet, New York, 23.10.1975, Los 296.
Andreas Hüneke, Schmidt-Rottluff und die Aktion "Entartete Kunst", in: Expressionismus. Zeiterscheinung, Zeitproblem. Karl Schmidt-Rottluff, Karl-Marx-Stadt 1984, S. 47-54, hier S. 53.
Franz Roh, "Entartete" Kunst. Kunstbarbarei im Dritten Reich, Hannover 1962, S. 186.
Nationalsozialismus und "Entartete Kunst", hrsg. von Peter Schuster, Ausst.-Kat. Staatsgalerie Moderner Kunst, München, München 1987, S. 152 (mit Ausstellungsansicht).
Angriff auf die Kunst. Der faschistische Bildersturm vor fünfzig Jahren, Kunstsammlungen zu Weimar 1988, S. 103.
Entartete Kunst - Das Schicksal der Avantgarde im Nazi-Deutschland, hrsg. von Stephanie Barron, Ausst.-Kat. Los Angeles County Museum of Art / Altes Museum, Berlin, Los Angeles/Berlin 1992, S. 343 (mit Ausstellungsansicht).
Christoph Zuschlag, "Entartete Kunst". Ausstellungsstrategien im Nazi-Deutschland, Worms 1995, S. 195.
Heinz Spielmann (Hrsg.), Die Maler der Brücke. Sammlung Hermann Gerlinger, Stuttgart 1995, S. 409, SHG-Nr. 733 (m. Abb.).
Hermann Gerlinger, Katja Schneider (Hrsg.), Die Maler der Brücke. Bestandskatalog Sammlung Hermann Gerlinger, Halle (Saale) 2005, S. 110-11, SHG-Nr. 247 (m. Abb.).
Uwe Fleckner, Max Hollein (Hrsg.), Museum im Widerspruch. Das Städel und der Nationalsozialismus, Berlin 2011, S. 52, 216, 307.
Anja Tiedemann, Die "entartete" Moderne und ihr amerikanischer Markt. Karl Buchholz und Curt Valentin als Händler verfemter Kunst, Berlin 2013: Schriften der Forschungsstelle "Entartete Kunst", Bd. 8, S. 401.
Brückenschlag: Gerlinger - Buchheim! Museumsführer durch die "Brücke"-Sammlungen von Hermann Gerlinger und Lothar-Günther Buchheim, Feldafing 2017, S. 376 (m. Abb., S. 377).

Für die "Brücke"-Künstler bildet die außereuropäische Kunst eine wichtige Inspirationsquelle. Auf der Suche nach einer neuen Ästhetik im Ausdruck entdecken sie in den Masken und fremdartigen Kulturobjekten aus Afrika oder der Südsee, die Anfang des 20. Jahrhunderts aus den Kolonialgebieten nach Europa kommen, den Schlüssel für eine neue Ursprünglichkeit in der Kunst. Auch Schmidt-Rottluff ist begeistert von der emotionalen Kraft der sogenannten primitiven Kunst. Er fühlt in der Plastik aus Afrika und der Südsee eine magische Stärke, die er für seine Malerei nutzen möchte. Viele der geschnitzten oder gemalten Gesichter und Objekte finden sich in seinen Holzschnitten und Plastiken, in seinen Stillleben und sogar in seiner Porträtmalerei wieder, wo die Gesichter Physionomien afrikanischer Masken adaptieren. Noch vor dem Ersten Weltkrieg beginnt Schmidt-Rottluff mit dem Sammeln von exotischem Gebrauchsgut, Artefakte, die er zum Teil im Hamburger Ethnographika-Handel erwirbt und die vielfach seine Motive beleben. Die ersten Beispiele stellt Schmidt-Rottluff noch vor dem Ersten Weltkrieg zu imposanten Stillleben zusammen. (Abb.) Nach langer Pause, so scheint es, erinnert sich der Künstler erneut an das Faszinosum des Fremden und malt 1926 dieses beeindruckende Stillleben "Afrikanische Schale". Diese Schale steht auf einem kleinen Tisch im Zentrum, dicht gedrängt mit schlichten Vasen und zwei großen Äpfeln. Das Beiwerk unterscheidet sich deutlich von der Schale mit dem geschnitzten Fuß, welches von einem feinen, freundlichen Gesicht – so die Interpretation des Künstlers – dominiert ist. "In der Schale der afrikanischen Plastik", berichtet der 90-jährige Künstler dem Sammler Hermann Gerlinger, "habe er immer seine Schlüssel und Geldbörse aufbewahrt und auf dem Ofen [das Ofenrohr im Hintergrund rechts markiert den Ort] Bratäpfel zubereitet. Die Vasen standen dort zum Einstellen von Blumensträußen bereit."

Noch im Jahr der Entstehung zeigt die Dresdner Galerie Arnold das Stillleben. Als sich wenig später das renommierte Städel’sche Kunstinstitut in Frankfurt am Main mit einer Ankaufsbitte an den Künstler wendet, teilt dieser mit, er könne das vorliegende Gemälde "mit gutem Gewissen vorschlagen – allerdings netto 2000.-" (Schreiben vom 8. Juli 1927). Die durchaus beträchtliche Kaufsumme kann das Frankfurter Museum schließlich auftreiben, so dass das Bild 1927 vom Künstler ins Museum wechselt.

Doch die Kunst der Moderne, um die man sich 1927 noch so sehr bemüht, gilt bald nicht mehr als museumswürdig: Fast auf den Tag genau ein Jahrzehnt nach dem ersten Angebot, am 7. Juli 1937, beschlagnahmt das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda das Gemälde, gemeinsam mit vielen weiteren Werken der progressiven Moderne. Von den Nationalsozialisten als "Entartete Kunst" diffamiert, wird es ab dem 19. Juli 1937 in der gleichnamigen Münchener Femeausstellung gezeigt. (Abb.) Da Schmidt-Rottluffs Stillleben von den NS-Kunstschergen als "verwertbar" eingestuft wird, entgeht es dem Schicksal der Vernichtung - zum Glück für die Kunstgeschichte. Der Berliner Buch- und Kunsthändler Karl Buchholz, einer der vier mit der "Verwertung" der beschlagnahmten Kunstschätze beauftragten Händler, erwirbt das Gemälde am 13. Dezember 1940 und überführt es sogleich in seine New Yorker Filiale, die Buchholz Gallery Curt Valentin. Aus dem Nachlass des ebenfalls nach New York geflohenen Kunsthändlers Karl Nierendorf gelangt das Stillleben mit afrikanischer Schale schließlich 1948 in das renommierte Guggenheim Museum in New York. Von dort kommt es in den 1970er Jahren nach Deutschland zurück und findet seinen Weg in die Sammlung Hermann Gerlinger. [MvL]



34
Karl Schmidt-Rottluff
Afrikanische Schale, 1926.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 200.000
Ergebnis:
€ 275.000

(inklusive Aufgeld)