Auktion: 535 / Evening Sale mit Sammlung Hermann Gerlinger am 09.12.2022 in München Lot 30

 

30
Alfred Kubin
Orientalische Phantasie (Türkischer Heerbann), 1904/5.
Kohlestift und Tuschfederzeichnung, teils lavie...
Schätzung:
€ 100.000
Ergebnis:
€ 100.000

(inklusive Aufgeld)
Orientalische Phantasie (Türkischer Heerbann). 1904/5.
Kohlestift und Tuschfederzeichnung, teils laviert und weiß gehöht.
Rechts unten signiert. Auf chamoisfarbenem Papier. 31 x 24,8 cm (12,2 x 9,7 in). [JS].

• Seltene "orientalische Phantasie" des meisterhaften Schöpfers träumerischer Parallelwelten.
• Wunderbar durchkomponiertes Blatt, das exemplarisch für Kubins zeichnerische Meisterschaft steht.
• Geheimnisvolle Symbiose aus orientalischer Märchenwelt und kriegerischer Bedrohung.
• Aus der bedeutenden Sammlung Serge Sabarsky, New York.
• Zeichnungen vergleichbarer Qualität befinden sich in bedeutenden internationalen Sammlungen, wie u. a. dem Museum of Modern Art, New York, dem Leopold Museum, Wien, der Albertina Wien und der Städtischen Galerie im Lenbachhaus, München
.

Wir danken Dr. Annegret Hoberg, ehemals Leiterin Kubin-Archiv im Lenbachhaus, München, für die wissenschaftliche Beratung.

PROVENIENZ: Wolfdietrich Hassfurther, Wien (bis März 1987).
Serge Sabarsky Gallery, New York (vom Vorgenannten erworben).

AUSSTELLUNG: Alfred Kubin 1877-1959, Auktionshaus, Galerie und Antiquariat für Kunst und Wissenschaft Wolfdietrich Hassfurther, Wien, 13.11.-20.12.1986, S. 20, Kat.-Nr. 97 (m. SW-Abb. Tafel 27).
From Klimt to Klee: Masterworks from the Serge Sabarsky Collection, Neue Galerie, New York, 15.10.2009-15.2.2010.
Alternative Histories: Celebrating 75 Years of Galerie St. Etienne, New York, 15.1.2014-11.4.2015.

"Der richtige Betrachter, wie ich ihn mir wünsche, würde sich meine Blätter nicht nur genießend oder kritisch ansehen, sondern, wie durch geheime Berührung angeregt, müsste sich seine Aufmerksamkeit auch der bilderreichen Dunkelkammer des eigenen träumerischen Bewusstseins zuwenden."
Alfred Kubin, Zur Eröffnung einer Kubin-Ausstellung, 1927, zit. nach: Ulrich Riemerschmidt, Alfred Kubin. Aus meiner Werkstatt, München 1973, S. 26.

Gerade in seinem Frühwerk ist Kubin ein besessener Zeichner einzigartiger symbolistisch-fantastischer Traumwelten. Oft entwirft er in seinen meisterlich durchkomponierten Zeichnungen bedrohlich-faszinierende Albtraumszenarien oder entfesselte sexuelle Fantasien, in denen uns fantastische Kunstwesen, Symbiosen aus Mensch und Tier in surrealen Landschaften gegenübertreten. Neben diesen dunklen Fantasien ist Kubin aber auch von weniger bedrohlichen Märchenwelten und einer Begeisterung für das orientalisch Fremde besessen, die in unserer außergewöhnlichen Zeichnung aus dem faszinierenden Frühwerk im Fokus steht. Durchweg figürlich, aber keineswegs realistisch ist Kubins fesselndes zeichnerisches Œuvre, es ist immer ganz das Produkt zahlreicher literarischer Anregungen und einer geradezu überbordenden künstlerischen Fantasie. In einem Brief vom 14. Juni 1911 hat unter anderem Wassily Kandinsky die melancholisch-labile Seelendisposition als grundlegend für die einzigartige symbolistisch-visionäre Schaffenskraft Kubins beschrieben: "Lieber Kubin! [..] Versuchen Sie doch, energisch die dunklen Gedanken zu verjagen, sie unterzukriegen. Sie sind doch ein Mensch von feinen Gefühlen, feiner Empfindlichkeit. [..] Ich bin Ihnen im voraus für das Exemplar der Nachtstücke sehr dankbar. Sie wissen doch, wie gerade ich Ihre Sachen liebe. [..] – Ihr Kandinsky." (zit. nach: Paul Raabe (im Auftrag von Dr. Kurt Otte, Kubin-Archiv Hamburg, zusammengestellt), Alfred Kubin. Leben – Werk – Wirkung, Hamburg 1957, S. 36/37). Weit im Vorfeld zu den späteren Zeichnungen Kubins für die 1911 publizierte illustrierte Ausgabe der orientalischen Märchenwelten Wilhelm Hauffs, hat der Künstler im vorliegenden Blatt eine "Orientalische Phantasie" geschaffen, die nicht nur aufgrund ihrer fremdländischen Motivik und dem von rechts ins Bild schreitenden Elefanten begeistert, sondern uns darüber hinaus aufgrund der nahezu unübertroffenen zeichnerischen Meisterschaft Kubins in ihren Bann zieht. Es ist eine träumerische Parallelwelt, die auch in diesem Blatt – wenn auch nur subtil – dunkle Fantasien und Gedanken in sich trägt: Sei es der unrealistisch groß und bedrohlich ins Bild gesetzte Elefant, dem die darunter angeordneten Lastenträger gerade bis zur Rüsselspitze reichen, oder der Reiter im Hintergrund, der den Zug der turbantragenden Männer begleitet und als osmanischer Reiter Gedanken an eine historische Bedrohung heraufbeschwört. In Böhmen geboren und ab 1906 schließlich in Österreich lebend, wird für Kubin das Bild einer orientalischen Karawane zwangsläufig auch immer mit der historischen Bedrohung und der verheerenden kriegerischen Auseinandersetzung der Türkenkriege verbunden sein, die in den Ländern der Österreich-Ungarischen Monarchie bis ins 20. Jahrhundert hinein das kollektive Gedächtnis prägten. [JS]



30
Alfred Kubin
Orientalische Phantasie (Türkischer Heerbann), 1904/5.
Kohlestift und Tuschfederzeichnung, teils lavie...
Schätzung:
€ 100.000
Ergebnis:
€ 100.000

(inklusive Aufgeld)