Auktion: 540 / Evening Sale am 09.06.2023 in München Lot 5

 

5
Sean Scully
Samar, 1990.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 180.000
Ergebnis:
€ 406.400

(inklusive Aufgeld)
Samar. 1990.
Öl auf Leinwand.
Verso auf der Leinwand signiert, datiert, betitelt und mit den Maßangaben bezeichnet. Auf dem Keilrahmen zusätzlich signiert, datiert und betitelt. 76,5 x 76,5 cm (30,1 x 30,1 in).

• Ein Jahr vor Entstehung des hier angebotenen Werks wird Scully für den renommierten Turner-Preis nominiert und die Londoner Tate Gallery erwirbt ein farblich vergleichbares, monumentales Gemälde (1988) für ihre Sammlung.
• Signature Piece: Mit bewusster Imperfektion und großem malerischen Können verleiht der Künstler seinem Werk in maximal reduzierter Farbigkeit eine größtmögliche sinnliche Qualität.
• Durch die matt-glänzende Materialität der Farbe, den malerischen Pinselduktus und die Lebendigkeit der Oberfläche entsteht ein Gemälde von nahezu skulpturaler Wirkung
.

PROVENIENZ: Galerie Karsten Greve, Köln (auf dem Keilrahmen mit dem typografisch bezeichneten Galerieetikett).
Privatsammlung Großbritannien (1990 vom Vorgenannten erworben).
Seitdem in Familienbesitz.

"Without doubt one recognizes them from a greater distance, as one identifies at once works by Rothko, Newman, Malevich, and Mondrian. Here as there, every fresh encounter becomes a new experience [..]."
Armin Zweite über die Werke Sean Scullys, in: Ausst.-Kat. Sean Scully. Gemälde, Pastelle, Aquarelle, Fotografien 1990-2000, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf / Haus der Kunst, München / IVAM, Valencia, 2001/2002, S. 55.

"Ich bin überzeugt, dass Abstraktion dazu da ist und war, tiefe Emotion zu verkörpern. Ich glaube, das ist ihre Aufgabe in der Geschichte der Kunst. Die Ränder der Elemente und Formen in meinen Bildern sollen aneinander und beieinander liegen, komplex und mit emotionaler Tiefe. Natürlich spürt man Zeit in meinem Werk, weil es aus Schichten besteht. Es wird wiederholt übermalt, in verschiedenen Farben und mit unterschiedlichen Gewichten der Farben, immer durch mich selbst, bis irgendwie alles, so elegant oder ungelenk wie es eben ist, am richtigen Platz ist und dort lebt."
Sean Scully in einem Gespräch mit Kevin Power, zit. nach: Kelly Grovier (Hrsg.), Inner, Berlin 2018, S. 104.

Schon seit den Anfängen seiner Malerei in den 1970er Jahren bestehen Scullys Werke aus verschiedenfarbigen, vertikal und horizontal verlaufenden, unterschiedlich breiten und langen Streifenkompositionen sowie rechteckigen Farbflächen, mit denen der Künstler seine Bildfläche füllt. Seine Arbeit an einem Werk beginnt zunächst mit einer Aufteilung und Gliederung der zu bemalenden Fläche, einer genauen Anordnung der Streifen und Farbfelder. Scully wählt aus einem schier unendlichen Reichtum kompositorischer Möglichkeiten und unterteilt die rechteckige Form der Bildfläche zunächst in mehrere kleinere rechteckige Elemente oder Streifen. Doch die Rigidität der scheinbar streng orthogonalen oder auch parallelen Gliederung wird durch die nun mit breitem Pinsel in zahlreichen, sich überdeckenden und teils pastosen Schichten aufgetragenen Farbe zunichte gemacht. Und genau darin liegt die visuelle Stärke der Arbeiten Sean Scullys.

Auf den zweiten Blick entpuppt sich der rationale, fast architektonische Bildaufbau aus geometrischen Formen, aus Horizontalen und Vertikalen als ein Meisterwerk der perfekten Inszenierung, als ausgewogenes Spektakel aus Harmonie und Dissonanzen: Die Ränder der einzelnen Farbfelder sind nicht mit dem Lineal gezogen, sondern uneben, die Farbstreifen haben ganz unterschiedliche Längen und Breiten, sind nicht wie ein Mosaik akkurat zusammengesetzt und treffen nicht exakt aufeinander, sondern prallen hier und da gegen in die entgegengesetzte Richtung verlaufende Farbbalken. Zudem zeigt jedes Farbfeld eine ganz unterschiedliche malerische Struktur und Oberflächenbeschaffenheit. Die Spuren des breiten Pinsels sind deutlich sichtbar, die Farbe ist nicht überall gleichmäßig, sondern sehr malerisch und in variierender Deckkraft aufgetragen. Sie erzeugt so eine faszinierende, opulente Stofflichkeit und eine dadurch sehr sinnliche Lebendigkeit, die von den geometrischen Formen und rechten Winkeln der Darstellung im Grunde 'im Zaum gehalten' werden muss.

Durch die fehlende Exaktheit entstehen an den Übergängen der einzelnen Farbfelder schmale Zwischenräume, die das Geheimnis des Gemäldes und von Scullys Malerei schließlich lüften: Hier blitzen unter dem teils subtil glänzenden Schwarz und stark kontrastierenden Hellgrau versteckte Farbschichten hervor, die eine ganz andere Palette offenbaren, als die zurückhaltende Monochromie des ersten Eindrucks suggerierte. Diese reduzierte Farbigkeit ermöglicht nun die Fokussierung auf das Darunterliegende und zunächst Verborgene: kräftiges Rot, warmes Gelb, kühles Grün und Blau ist dort zu sehen und verändert nun die gesamte Bildwirkung. In Verbindung mit dem so malerischen Pinselduktus offenbart das Gemälde so den intensiven Malprozess des Künstlers, seine in das Bild investierte kreative Energie. Das bereits Übermalte, die Vergangenheit wird sichtbar und ein längst vergangener Zustand kommt wieder zum Vorschein. "I think there is a lot of melancholia in my paintings. There is a sense of loss. [..] It seems that one of the worst things about the human condition is that it is not really possible to go back in your life. As you live your life, it is simultaneously being taken away from you, and this is a kind of tyranny that we live under. [..] You never get a second chance to do anything, to even breathe the same breath again. It's gone as soon as you've done it, and somehow this is reflected in my work. The paintings are an attempt to stop that process. They have a lot of process in them, but it's all frozen in time." (Sean Scully in einem Gespräch mit Hans-Michael Herzog, New York, 13.12.1998)

Die hier angebotene Arbeit versieht der Künstler wie so oft in seinem Œuvre mit einem geografischen Titel: "Samar" ist die viertgrößte Insel der Philippinen. In ihrer nur vermeintlich monochromen Farbigkeit und dem Aufbau der Streifenkompositionen ähnelt das Werk vergleichbaren Werken der späten 1980er und frühen 1990er Jahre, u. a. der Monotypie "New York #5" (1989, Museum of Modern Art, New York), aber insbesondere den Gemälden "Durango" (1990, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf), "Hammering" (1990, Kunsthalle Bielefeld) oder "White Window" (1988, Tate Gallery, London), die zu den bedeutendsten Werken des Künstlers zählen. Die Entstehungszeit und die Jahre um 1990 folgen auf Scullys großen Durchbruch in den Vereinigten Staaten und markieren Scullys wachsenden Erfolg in Europa. 1989 widmen ihm der Palacio Velázquez in Madrid und die Städtische Galerie im Lenbachhaus in München eine erste Einzelausstellung auf dem europäischen Festland. Heute gehört Sean Scully mit seinen auf den ersten Blick streng geometrischen, aber sehr sinnlichen Werken zu den bedeutendsten Künstlern seiner Generation. Seine Arbeiten befinden sich weltweit in den renommiertesten internationalen Sammlungen, darunter das Museum of Modern Art, das Metropolitan Museum of Art und das Solomon R. Guggenheim Museum in New York, die National Gallery of Art, Washington, D.C., die Londoner Tate Gallery, die Albertina in Wien und das Guangdong Museum of Art, Guangzhou. Insbesondere seine Erfolge der letzten Jahre zeigen, dass sich Scullys Schaffen bereits einen festen Platz in der europäischen Kunstgeschichte des ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts erobert hat und die Entwicklungen der zeitgenössischen Abstraktion auch weiterhin nachhaltig beeinflusst. 2013 wird er Mitglied der Royal Academy of Arts, 2014/15 wird Scully als erster westlicher Künstler überhaupt mit einer umfassenden, retrospektiven Überblicksschau in China geehrt, die sowohl in Schanghai als auch in Peking gezeigt wird. Allein in den vergangenen beiden Jahren werden seine Arbeiten in mehr als einem Dutzend Einzelausstellungen in Dänemark, Deutschland, Großbritannien, Irland, Italien, Kroatien, Österreich, Polen, und den Vereinigten Staaten gezeigt, u. a. in der groß angelegten Werkschau "Sean Scully. The Shape of Ideas" im Philadelphia Museum of Art, mit einem Überblick über die vergangenen 50 Schaffensjahre des Künstlers. [CH]



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Sean Scully
Samar, 1990.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 180.000
Ergebnis:
€ 406.400

(inklusive Aufgeld)