Auktion: 550 / Evening Sale am 07.06.2024 in München Lot 123001983

 

123001983
Ernst Ludwig Kirchner
Männerbildnis L. Schames, 1922.
Öl auf Leinwand
Schätzpreis: € 400.000 - 600.000
Informationen zu Aufgeld, Steuern und Folgerechtsvergütung sind ab vier Wochen vor Auktion verfügbar.
Männerbildnis L. Schames. 1922.
Öl auf Leinwand.
Verso auf der Leinwand signiert und betitelt "Männerbildnis L Schames" sowie mit dem Nachlassstempel des Kunstmuseums Basel (Lugt 1570 b) und der handschriftlichen Registriernummer "KN Da/Ba 12". 150 x 90 cm (59 x 35,4 in).
Das Werk ist im Photoalbum des Künstlers enthalten (Fotografien außerhalb der Alben I-IV, Abb. 729). [CH].

• Seltenes ganzfiguriges Charakterporträt in kapitalem Format.
• Entstanden im Todesjahr von Kirchners wichtigstem Kunsthändler Ludwig Schames (1852–1922).
• Wenige Jahre nach dem heute so berühmten Holzschnitt "Kopf Ludwig Schames" (1918) inszeniert Kirchner dessen Sohn und Nachfolger vor einigen Meisterwerken seines Schaffens.
• Bereits 1923 Teil der ersten Einzelausstellung E. L. Kirchners in der Schweiz (Kunsthalle Basel).
• Zuletzt 2010 in der umfassenden Kirchner-Retrospektive im Städel Museum in Frankfurt am Main ausgestellt
.

Dieses Werk ist im Ernst Ludwig Kirchner Archiv, Wichtrach/Bern, dokumentiert.

PROVENIENZ: Nachlass des Künstlers (Davos 1938, Kunstmuseum Basel 1946, verso a. d. Leinwand m. d. Nachlassstempel).
Stuttgarter Kunstkabinett Roman Norbert Ketterer, München (1954, auf dem Keilrahmen mit dem handschriftlich bezeichneten Etikett).
Galerie Michael Haas, Berlin (2005).
Galerie Thomas, München.
Privatsammlung Deutschland (vom Vorgenannten erworben).

AUSSTELLUNG: Ernst Ludwig Kirchner, Kunsthalle Basel, 1923 (m. d. Titel "Porträt Schames").
Ernst Ludwig Kirchner, Galerie Paul Cassirer, Berlin, 1923.
Das Werk Ernst Ludwig Kirchners (Malerei, Grafik, Plastik, Zeichnung), Galerie Roman Norbert Ketterer, Campione d'Italia, 6.2.-2.3.1980, Kat.-Nr. 18 (m. Abb., S. 28).
Ernst Ludwig Kirchner, Museo d'Arte Moderna della Città, Lugano, Villa Malpensata, Lugano, 19.3.-2.7.2000, S. 140 u. Kat.-Nr. 70 (m. Abb., S. 145, auf dem Keilrahmen m. d. Ausstellungsetikett).
E. L. Kirchner. Die Deutschlandreise 1925-1926, Kunstsammlungen Chemnitz, 13.5.-5.8.2007, Kat.-Nr. 15 (m. ganzs. Abb., S. 94).
Ernst Ludwig Kirchner. Retrospektive, Städel Museum, Frankfurt a. Main, 23.4.-25.7.2010 (außer Kat., aber ausgestellt).

LITERATUR: Donald E. Gordon, Ernst Ludwig Kirchner. Mit einem kritischen Katalog sämtlicher Gemälde, München/Cambridge (Mass.) 1968, S. 127, 136 u. 380, WVZ-Nr. 729 (m. SW-Abb.).
- -
Gerd Presler (Hrsg.), Roman Norbert Ketterer: Legenden am Auktionspult. Die Wiederentdeckung des deutschen Expressionismus, München 1999, S. 278.
Hans Delfs (Hrsg.), Ernst Ludwig Kirchner. Der Gesamte Briefwechsel ("Die absolute Wahrheit, so wie ich sie fühle"), Zürich 2010, Nr. 1104, 1111, 1193, 1240 u. 1242.

"Neulich war der Sohn Schames bei mir. [..] So will Schames erst in Belgien, dann in Holland Bilder von mir zeigen. Allein, ohne andere, nur so ist es für mich ausführbar."
E. L. Kirchner in einem Brief an Henry van de Velde vom 5. November 1922.

"Morgens Leon gesehen. [..] Mittag bei Schames. [..] Abends bei Schames. [..] Leon ist beim Abschied sehr herzlich und nett."
E. L. Kirchner, Tagebuch, 21. Dezember 1925, zit. nach: Lothar Grisebach (Hrsg.), Ernst Ludwig Kirchners Davoser Tagebuch, Wichtrach/Bern 1997, S. 114.

"Zu Beginn der zwanziger Jahre leuchtete Kirchners Stern in keiner anderen Stadt so hell wie in Frankfurt am Main.“
Zit. nach: Ausst.-Kat. E. L. Kirchner. Die Deutschlandreise 1925-1926, Chemnitz, 13.5.-5.8.2007.

Kirchners Händler Ludwig Schames
Das Gemälde zeigt Leon Schames (1882–1956). Er ist der Sohn des mit Kirchner eng befreundeten Frankfurter Kunsthändlers Ludwig Schames (1852–1922). Für Kirchner ist der Verstorbene nicht nur als Kunsthändler von größter Bedeutung. In seinem "Kunstsalon" in der Boersenstraße 2 in Frankfurt beginnt er schon früh, sich der Moderne zu öffnen, Künstler des deutschen Expressionismus und später auch Max Beckmann zu fördern. Bereits 1916 zeigt er eine erste große Ausstellung mit Werken von Kirchner. Durch weitere umfangreiche Präsentationen in der Frankfurter Galerie wird der Künstler vor allem in Deutschland bekannt und erhält Kontakt zu wichtigen Sammlern wie Ludwig und Rosi Fischer, die zwischen 1916 und 1919 viele seiner Werke kaufen, und auch Dr. Carl Hagemann, der Kirchner bis zu dessen Tod 1938 sammelt und darüber hinaus dessen Frau Erna unterstützt. Noch im Februar 1922 eröffnet Ludwig Schames die Ausstellung zu Kirchners "Schweizer Arbeiten", für den Künstler von eminentem Rang: Der Berliner Kunstkritiker und Sammler Paul Westheim widmet der Ausstellung und dem Künstler in seiner von ihm monatlich herausgegebenen Zeitschrift "Das Kunstblatt" im März sogar ein Sonderheft.
Ludwig Schames stirbt am 3. Juli 1922 und Kirchner fühlt sich von der Nachricht sehr betroffen. Er schreibt an Martha Marx, die Tochter des Verstorbenen, am 19. Juli 1922: "Glauben Sie mir, mir ist als hätte ich einen Vater verloren, einen Vater und Freund. Seine so selbstlose feine Art machte sonst unangenehme Dinge schön. In der ganzen langen Zeit unseres Zusammenarbeitens kam nicht ein einziges Missverständnis vor. Ich habe ihn nur wenig gesehen, aber sein Bild stand und steht so lebendig in mir, dass ich das Gefühl hatte, mich mit ihm zu unterhalten, wenn ich an ihn schrieb. […] Ich habe nie einen edleren und feineren Menschen getroffen und es ist schwer, heute doppelt, einen solchen zu verlieren." (Hans Delfs, Ernst Ludwig Kirchner, Der gesamte Briefwechsel, 2010, Nr. 1015)

Leon Schames im Porträt
Noch im Juli 1922 besucht der Sohn Leon Schames Kirchner in Davos. Er ist studierter Physiker und publiziert etwa in der Zeitschrift für Physik im August 1920 die "Vorläufige Notiz über eine alle Aggregatzustände umfassende Zustandsgleichung und das Wirkungsgesetz der Moleküle". Wohl schon deshalb ist er eher nicht daran interessiert, die Galerie des Vaters weiterzuführen, gleichwohl er Zeit seines Lebens mit bildender Kunst über seinen Vater in Verbindung steht und auch seinem Vetter Manfred Schames, Neffe des Galeriegründers, der den Kunstsalon übernimmt, helfend nahesteht und diesen unterstützt.
Während Leon Schames' Besuch im Haus "In den Lärchen" entsteht nicht nur dieses ungewöhnliche und wegen seiner inszenierten 'Schrägheit' sogleich faszinierende Gemälde, sondern auch ein nicht minder auffallender Farbholzschnitt. (Abb.) Das Gemälde wie auch der Holzschnitt erzählt die Situation von der geräumigen 'Halle' im ersten Stock des Hauses, wo nicht nur die Bauern nach Musik aus dem Grammophon tanzen, Nina Hard sich nur mit einem Bastrock bekleidet in weiträumiger Geste bewegt (Abb.), und auch hier, so ist der Hintergrund zu erklären, Kirchner seinem Besuch eine Auswahl an die Wand gelehnter Gemälde präsentiert. Kirchner schildert eine eher offizielle, ihn beeindruckende Begegnung mit dem Frankfurter in dem auf einer weitläufigen Alm liegenden Bauernhaus. Er beschreibt Leon Schames in goldbraunem, rötlich changierendem Doppelreiher mit Fliege, das Haar streng gescheitelt, der Bart gepflegt, die Hände auf dem Rücken verschränkt. Leon Schames wirkt wie in Gedanken verloren, reserviert trotz eines milden Gesichtsausdrucks, aber doch stocksteif von Kirchner in den Raum auf den farbkräftigen Teppich mit dominantem Muster gestellt, vor den skizzierten, prunkvoll gerahmten Gemälden. Um welche Motive es sich handelt, lässt Kirchner im Angedeuteten:ein schmales Format mit für Kirchner zu vermutenden, typischen Darstellungen von Akten im Atelier links und eine Landschaft, möglicherweise Kirchners "Alpweg" aus dem Jahr 1921 im quadratischen Format. (Abb.) Darüber rechts lässt sich die heute in der Hamburger Kunsthalle befindliche Atelierszene "Maler und Modell" aus den Dresdner Jahren ausmachen, jene selbstbewusste Inszenierung als Maler-Genie des deutschen Expressionismus. (Abb.)

Die Fortführung des Kunstsalons
Nach dem Tode des alten Ludwig Schames am 5. Juli 1922 übernimmt also sein Neffe Manfred Schames die Leitung des "Kunstsalons Ludwig Schames" in Frankfurt und zieht mit der Galerie in neue Räume in der Junghofstraße. Er zeigt weiterhin Ausstellungen mit Werken von Kirchner. Im Jahr 1933 wird die Galerie aufgrund der zunehmenden Repressalien der Nationalsozialisten geschlossen, 1939 wandert Schames nach Israel aus und stirbt dort als Besitzer einer Hühnerfarm. An Gustav Schiefler, den Hamburger Richter, Kunstsammler, Mäzen, Kunstkritiker und Verfasser von Katalogen der grafischen Werke von Emil Nolde, Ernst Ludwig Kirchner, Max Liebermann und Edvard Munch, schreibt Kirchner über Manfred Schames am 1. Januar 1925: "Schames kommt vermutlich nach Hamburg [um mit der Galerie Commeter über eine Übernahme der Kirchner-Ausstellung bei Cassirer Ende 1923 zu verhandeln] und wird Sie da sehen. Er ist ein Mann, der volles Vertrauen verdient. Seit den bald 17 Jahren meiner Verbindung mit ihm, habe ich nur Gutes von ihm erfahren. Ich bin sehr froh, dass ich ihn habe. Nach seinem Besuch sind wir uns auch menschlich näher getreten und ich hoffe, dass wir Freunde sind und bleiben. Er ist wie sein Onkel strenggläubiger Jude. Bekam im Kriege das Eiserne Kreuz und ist ein voller ganzer Mensch, warmherzig und voll Empfinden für die Kunst." (Wolfgang Henze, Kirchner an Gustav Schiefler, Briefwechsel, Zürich 1990).
Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist, dass auch Erich Heckel 1923 Leon Schames in den Räumen der Frankfurter Galerie vor Gemälden porträtiert: Links von ihm selbst "Zwei Männer beim Bad am Strand" von 1916 (Galerie Neue Meister, Dresden) und rechts Otto Muellers "Liebespaar" aus dem Jahr 1919 (Museum der bildenden Künste, Leipzig). Hieraus kann man schließen, dass Leon Schames neben seiner Tätigkeit als Physiker durchaus im Galeriealltag zugegen ist und Kirchner diese Tatsache aus Chemnitz am 17. Januar 1926, er ist gerade auf einer ausgedehnten Deutschlandreise unterwegs, gegenüber Erna bestätigend verlauten lässt: "Die Schamesse sind gewiss nicht schlecht, aber sie sind entsetzlich faule Kerle, die gar nichts tun ausser dem bisschen kaufmännischen Geschäft führen." (Hans Delfs, Ernst Ludwig Kirchner, Der gesamte Briefwechsel, 2010, Nr. 1641).
Leon Schames, 1882 in Paris geboren, gelingt es während des aufkommenden Nationalsozialismus in der Schweiz Fuß zu fassen. Er stirbt daselbst 1956. Begraben ist er auf dem Jüdischen Friedhof Veyrier bei Genf. Im vergangenen Jahr 2023 veröffentlichte die Freie Universität in Berlin im Fachbereich Physik eine Bachelorarbeit mit dem Titel: "Eine Aufarbeitung der Arbeit 'Zur Lösung des Problems der Zustandsgleichung' von Leon Schames". [MvL]



123001983
Ernst Ludwig Kirchner
Männerbildnis L. Schames, 1922.
Öl auf Leinwand
Schätzpreis: € 400.000 - 600.000
Informationen zu Aufgeld, Steuern und Folgerechtsvergütung sind ab vier Wochen vor Auktion verfügbar.