Lexikon
Art Nouveau in Frankreich

Die dem Jugendstil eigene Verbindung zwischen Kunst und Leben wurde auch in Frankreich etwa seit den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts gepriesen. Dort hieß die neue künstlerische Bewegung, die zugleich als geistige Erneuerung verstanden wurde, einfach und programmatisch "Art Nouveau". Diese Bezeichnung entstammt allerdings dem Namen der erst 1895 in Paris eröffneten Galerie "La Maison de L’Art Nouveau", die von dem Hamburger Händler Samuel (oder Siegfried) Bing geführt wurde. Bing gilt als eine der Schlüsselfiguren in der Entstehung und Verbreitung der Bewegung in Frankreich. Er machte das Pariser Publikum mit den Werken internationaler Künstler, wie etwa des amerikanischen Designers und Innenarchitekten Louis Comfort Tiffany, vertraut und unterstützte die neue französische Kunst. Samuel Bings Ideale entsprachen den Grundgedanken des britischen "Arts and Crafts Movement". So sah er das Ziel der modernen Kunst und des modernen Kunstgewerbes in der Gestaltung funktionaler Gebrauchsgegenstände, die das menschliche Lebensumfeld wohnlicher und zugleich schöner machen. Bing trug außerdem wesentlich zur Verbreitung der "Japanmode" in Frankreich bei und handelte bereits seit 1871 mit ostasiatischer Kunst. Da die japanische Kunst der Formensprache des "Art Nouveau" entscheidende Impulse gab, ist diese Verbindung naheliegend.
Dem englischen Ursprung der Bewegung trägt ein anderer Name des "Art Nouveau", der "Style Anglais", Rechnung. Auch in Frankreich waren zudem Bezeichnungen wie "Style 1900" und "Style naturiste" üblich. Letztere bezieht sich auf die Vorliebe des "Art Nouveau" für organische Formen. In seiner französischen Ausprägung erreichte der Stil einen Höhepunkt an asymmetrischer Komplexität und verspielter Linienführung, der keine Entsprechung in England oder im deutschsprachigen Raum findet. Eine weitere Eigenheit des französischen "Art Nouveau" ist die teilweise feststellbare Verbindung des Kunstgewerbes zum literarischen Symbolismus, was besonders in der Vorliebe der Schmuckkunst für schwingende Frauenköpfe, Insekten, Fische, Schwäne und Blüten wahrnehmbar ist.
Zu den wichtigsten Vertretern des "Art Nouveau" in Frankreich zählen René Lalique, Eugène Gaillard, Georges de Feures, Edouard Colonna, Jules Chéret und Henri de Toulouse-Lautrec. Neben Möbeln, Schmuck und Innenausstattungsgegenständen sind die Plakatkunst und die Métro-Stationen von Hector Guimard (1867-1942), die den Namen "Style Métro" prägten, als besondere Leistungen des französischen "Art Nouveau" hervorzuheben.