Lexikon
Künstlerkolonie Nidden

Das Dörfchen Nidden, das heutige Nida, einsam und von Dünen umgeben auf der Kurischen Nehrung an der Ostsee gelegen, war bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert Anziehungspunkt für Maler. Am Anfang steht Heinrich Krüger (1863-1901), der als Tiermaler besonders an Elchen interessiert war und in den 1880er Jahren gemeinsam mit den Freunden Eduard Andersen und Ernst Bischoff aus Culm (Ernst Bischoff-Culm) die Gegend erkundete. Letztgenannter studierte in Paris und Berlin den Impressionismus, um am Ende des Jahrhunderts mit neuen Ideen nach Nidden zurückzukehren.
Auch Lovis Corinth hat schon im späten 19. Jahrhundert in Nidden gemalt und das düster-stimmungsvolle Bild "Friedhof in Nidden" (1893) hinterlassen. Wie viele seiner Malerkollegen wohnte wohl auch Lovis Corinth im Gasthof von Hermann Blode, in dem sich die Künstlerkolonie Nidden zu formieren begann.
Um die Jahrhundertwende waren es vielfach die Lehrer von der Königsberger Akademie wie Georg Knorr, die es nach Nidden zog und die sich bei Blode versammelten. Knorr zählte wie Emil Neide (1842-1908) zu den frühen Stammgästen, den beiden folgten weitere Königsberger Lehrer: Otto Heichert, zeitweise Karl Storch, Karl Albrecht und Heinrich Wolff. Lebhafte Diskussionen in Blodes Künstlerzimmer oder auf der Veranda der Gaststätte einten den Niddener Kreis, dem neben Ernst Bischoff-Culm und den bereits Genannten auch Hans Beppo Borschke, Alfred Helberger, Bertha Schütz und zahlreiche weitere Künstler angehörten.
Der vorherrschende Stil jener Jahre war dem Impressionismus verpflichtet, die größte Bedeutung aber erlangte Nidden im Zusammenhang mit dem frühen Expressionismus, namentlich mit den Malern der Brücke.
Max Pechstein (1881-1955) hatte im Sommer 1909 zum ersten Mal Nidden besucht. Hier fand er, vom Licht und den Formen der Dünenlandschaft inspiriert, zur expressiven Flächigkeit. 1911 und 1912 folgten zwei weitere Aufenthalte in Nidden. Auch Karl Schmidt-Rottluff (1884-1976) kam nach der Selbstauflösung der Brücke im Mai 1913 nach Nidden, und auch er entwickelte seine Kunst in der Abgeschiedenheit des Dorfes weiter. Die Niddener Künstlerkolonie blieb von den Expressionisten, besonders von Max Pechstein, nicht unbeeindruckt, wie die Werke von Hans Beppo Borschke, Bertha Schütz und Arthur Gehrmann belegen.
Der Krieg unterbrach diese Entwicklung, viele der Maler wurden eingezogen und kehrten nicht mehr zurück. Nach Kriegsende kam so eine neue Generation, nun vorrangig Schüler der Königsberger Akademie, nach Nidden: Eduard Bischoff, Ernst Mollenhauer, der später das Haus Blode übernehmen und weiterführen sollte, Georg Kolm und zahlreiche weitere sind zu nennen. Auch Max Pechstein kehrte 1919 zurück und blieb zwei Sommer lang, von der Tatkraft der Jugend infiziert.
1920 geriet Nidden unter französische Verwaltung und fiel 1923 an Litauen, so dass nun seltener Fremde kamen. Oskar Moll, der zum Bekanntenkreis Schmidt-Rottluffs gehörte, soll unter den Besuchern der 1920er Jahre gewesen sein. Eine Phase romantisierender Neusachlichkeit ist mit Fritz Burmann (1892-1945) verbunden, der 1926 an die Königsberger Akademie berufen wurde. Vergleichbares schuf auch Richard Theodor Birnstengel, der seit 1930 regelmäßig nach Nidden kam. Der Zweite Weltkrieg läutete schließlich das Ende der Künstlerkolonie Nidden ein, deren Stellung in der Geschichte der Kunst mit den bedeutenden Entwicklungen des Expressionismus verknüpft ist.