Auktion: 550 / Evening Sale am 07.06.2024 in München Lot 46


46
Karl Hofer
Zwei Frauen am Brunnen, 1940.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 150.000
Ergebnis:
€ 190.500

(inklusive Aufgeld)
Zwei Frauen am Brunnen. 1940.
Öl auf Leinwand.
Rechts unten monogrammiert (in Ligatur) und datiert. 102,5 x 78,5 cm (40,3 x 30,9 in).


• Hofers einzigartig entrückte Frauenbildnisse gehören zu den eindringlichsten Schöpfungen des Künstlers.
• Einnehmende Visualisierung einer Stimmungshaltung, einer ausdrucksstarken Melancholie.
• Durch die Verbindung von Figurenporträts und weiter Landschaft sowie von Nacktheit und Verhüllung erhält die vielschichtige Komposition eine subtile Spannung.
• Hofers Inszenierung dieser rätselhaften Begegnung und seine verwendete Symbolik erlaubt politische, historische, biografische und ikonografische Deutungen und Assoziationen.
• Geschlossene Provenienz: direkt beim Künstler erworben.
• Seit drei Generationen Teil einer rheinischen Privatsammlung.
• 2022 Teil der viel besprochenen Ausstellung "Kunst für Keinen" in der Schirn Kunsthalle in Frankfurt am Main
.

PROVENIENZ: Privatsammlung Rheinland (1940/41 direkt beim Künstler in Berlin erworben).
Seitdem in Familienbesitz.

AUSSTELLUNG: Kunst für Keinen, Schirn Kunsthalle, Frankfurt a. Main, 4.3.-6.6.2022, S. 290 (m. Abb., S. 179).

LITERATUR: Karl Bernhard Wohlert, Karl Hofer. Werkverzeichnis der Gemälde, Bd. 2, Köln 2008, WVZ-Nr. 1482 (m. SW-Abb.).

"Es ist immer erfreulich, wenn sich eine Hofer-Arbeit, die man aus Gründen für kriegszerstört halten mußte, plötzlich als wohlerhalten erweist."
Karl Bernhard Wohlert, Werkverzeichnisverfasser, über die hier angebotenene Arbeit, Brief (privat) vom 21. Januar 2000.


Melancholie und stille Schönheit. Hofers Figurengemälde

„Die große Leistung Karl Hofers liegt zweifelsohne im Figurenbild“, schreibt Dr. Frank Schmidt, damaliger Direktor der Emdener Kunsthalle, 2012 im Katalog zur Ausstellung „Karl Hofer. Von Lebensspuk und stiller Schönheit“ (S. 92). Schon 1957 sind die Figurenbilder u. a. neben Werken von Otto Dix und Max Beckmann Teil der legendären Ausstellung „German Art of the 20th Century“ im Museum of Modern Art, New York. Hofers Gemälde werden oftmals dem expressiven Realismus zugeordnet, stehen in ihrer fast nüchternen Klarheit und geordneten Form sowie der darin enthaltenen Ruhe und Stille der Dinge der Kunst der Neuen Sachlichkeit sehr nahe. Mit den so zeitlosen, zurückgenommenen und doch anmutig-melancholischen Darstellungen gehört Karl Hofer zu den großen künstlerischen Einzelgängern des 20. Jahrhunderts. Die zumeist weiblichen Protagonisten zeigt der Künstler stets im Augenblick des Innehaltens, mit einer kaum bestimmbaren Empfindung, deren Quelle die Betrachtenden aufgrund der im Bild oftmals nicht ausgeführten Erzählung nicht ergründen können.

Entfremdung in Gesellschaft
In „Zwei Frauen am Brunnen“ bringt Hofer zwei weibliche Figuren im charakteristischen „Hofer-Typus“, mit mandelförmigen Augen, hellem Teint und spitz zulaufendem Kinn, an einem Brunnen zusammen, der eigentlich ein verbindendes Element darstellt, von Hofer jedoch zum Aufzeigen einer Grenze verwendet wird: als optische, die Szene unterteilende und die Figuren voneinander trennende Barriere. Hofer rückt die Figuren nah an die vordere Bildgrenze heran, doch trotz der Enge und kompositorischen Nähe, in der sie sich befinden, ist kein Austausch, keine Kommunikation und kein Blickkontakt zwischen den Frauen auszumachen. Die Isoliertheit und Introvertiertheit der Figuren ist sicherlich zum einen Hofers neusachlicher Prägung geschuldet, zum anderen aber auch empfindsames Sinnbild einer aufgrund der nationalsozialistischen Kulturpolitik in innerer Emigration verharrenden Künstlergeneration.
Die statuenhafte, emotionslose Regungslosigkeit bildet einen deutlichen Kontrast zu der subtil-erotischen Sinnlichkeit der fast entblößten, nahezu klassizistisch anmutenden Dargestellten rechts und der wiederum für diese Zeit sehr farbenfroh und modern bzw. spärlich, mit ärmellosem Oberteil bekleideten Frau links, die in selbstbewusster Haltung und kühlem Blick, in einem Bewegungsmoment erstarrt, demonstrativ an ihr vorbeischaut.

Rückgriff und Modernität
Das die rechte Figur raffiniert umschlingende weiße Tuch und die nur im Ansatz gezeigte Nacktheit lassen eine intime Atmosphäre entstehen und bauen ein subtiles Spannungsfeld zwischen Enthüllung und Verhüllen auf. Hofer bedient sich dabei einem Kunstgriff aus Werken der Antike und der Renaissance, die er schon während seines mehrjährigen Aufenthalts in Rom ab 1903 eingehend studieren kann. Sein gesamtes Œuvre offenbart ein breit gefächertes Interesse an der Kunst anderer Epochen, auf die er sich subtil, jedoch wiederholt bezieht. Das für seinen Figurenkanon so charakteristische Kopftuch mag an Pieter Bruegel d. Ä. erinnern, Hofers Briefleserinnen an Jan Vermeer und seine Tischgesellschaften rufen womöglich holländische Genrebilder in Erinnerung. Auch das statuesk-skulpturale Innehalten und die scheinbare geistige Entrücktheit der Figuren mögen auf Inspirationen aus der Kunstgeschichte zurückzuführen sein, etwa auf die Stifterfigur der „Uta“ im Naumburger Dom, die Hofer in seinen schriftlichen Ausführungen über allgemeingültige Formensprache explizit erwähnt (vgl. D. Kupper (Hrsg.), Karl Hofer. Schriften, Berlin 1995, S. 114). Auch die Bildsituation selbst der sich am Brunnen begegnenden Figuren ist in der Kunstgeschichte ein häufig verwendetes Sujet, bspw. in biblischen Darstellungen wie „Rebekka am Brunnen“ (auch „Rebekka und Eleasar am Brunnen“) oder „Christus und die Samariterin“, die u. a. von Nicolas Poussin (1648), Giovanni Domenico Tiepolo (1751, beide Werke Musée du Louvre, Paris) oder Angelika Kauffmann (1796, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München) in die Malerei übersetzt werden.
In seinen kunsttheoretischen Schriften ist diesbezüglich von dem Begriff der „Selektion“ die Rede: Hofer wählt ein kunsthistorisch tradiertes Motiv, folgt diesem jedoch nicht gänzlich, sondern macht es sich – wie in der hier angebotenen Arbeit – ganz und gar zu eigen. Hier sind es – für Hofer ganz typisch – zwei Frauen, die sich am Brunnen gegenüberstehen und der eigentlichen Begegnung ganz bewusst widerstehen. Mit der charakteristischen formalen Reduzierung auf einzelne wesentliche Bildelemente, höchst modernen motivischen Akzenten und der Hofers Figuren intrinsischen In-sich-Gekehrtheit gelingt es dem Künstler, das Sujet in seine ganz eigene, zeitgenössische Bildsprache zu übersetzen und in eine allgemeingültige Darstellung zu verwandeln.
Der Künstler intendiert eine künstlerische Verallgemeinerung, die Darstellung einer allgemeingültigen Definition des Schönheitsbegriffs und eine malerische Visualisierung einer Stimmungshaltung: der ihm selbst so vertrauten Melancholie dieser entbehrungsreichen Jahre.

Einem tragischen Schicksal entgangen
„Zwei Frauen am Brunnen“ entsteht 1940 inmitten des Krieges, in einer auch für Karl Hofer beruflich wie persönlich erschütternden Zeit. Seit den 1920er Jahren hält er eine Professur für Malerei an den Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst in Berlin-Charlottenburg und ist im Vorstand der Berliner Secession sowie im Senat der Preußischen Akademie der Künste tätig. Seine Arbeiten sind in etwa 30 deutschen und internationalen Museen vertreten. In den 1930er Jahren werden diese Erfolge und seine etablierte Stellung innerhalb der deutschen Kunstszene durch die Politik der Nationalsozialisten zunichte gemacht. Hofer wird entlassen, seine Kunst diffamiert. 1937 sind acht seiner Gemälde in der Propaganda-Ausstellung „Entartete Kunst“ in München zu sehen, mehr als 300 seiner Werke werden aus öffentlichen deutschen Sammlungen entfernt. International kann Hofer seinen Erfolg jedoch fortsetzen: 1939 widmet ihm das Kunstmuseum Winterthur eine umfassende Einzelausstellung. Im selben Jahr erhält er im Zuge der International Exhibition of Paintings im Carnegie Institute in Pittsburgh den ersten Preis der Jury.

Mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs kehrt Hofer 1939 aus dem Tessin, seiner damaligen Wahlheimat, nach Berlin zurück. Der Hintergrund unseres Gemäldes stellt die zurückgelassene Tessiner Landschaft dar, die sich zwischen 1926 und 1945 häufig in den Landschaftsgemälden des Künstlers wiederfindet. Die Weite und Leere zwischen der Landschaft und dem eigentlichen Geschehen im Vordergrund spiegelt hier womöglich Hofers eigene, ganz persönliche Situation wider: In diesen Jahren ist das geliebte Tessin auch im realen Leben in weiter Ferne und nur in Gedanken und in der Kunst erreichbar. Was bleibt, ist eine sehnsuchtsvolle malerische Rückschau in eine unwiederbringlich verlorene Vergangenheit.
1943 zerstören Bombenangriffe Karl Hofers Berliner Atelier und einen Großteil der darin befindlichen Bilder. „Zwei Frauen am Brunnen“ gelangt jedoch kurz nach Entstehung (1940 oder 1941) in die Sammlung eines äußerst kunstinteressierten Düsseldorfer Industriellen und entgeht damit der Zerstörung. Auch Karl Bernhard Wohlert, Verfasser des Werkverzeichnisses der Gemälde Karl Hofers (Köln 2008), zeigt sich über diese glückliche Fügung erfreut. In einem Brief bezüglich der Aufnahme des Gemäldes in das damals in Vorbereitung befindliche Werkverzeichnis schreibt er im Jahr 2000: „Es ist immer erfreulich, wenn sich eine Hofer-Arbeit, die man aus Gründen für kriegszerstört halten mußte, plötzlich als wohlerhalten erweist.“ Der einstige Besitzer kommt 1945 gemeinsam mit seiner Frau durch eine Fliegerbombe ums Leben. Das Gemälde jedoch verbleibt in den darauffolgenden 70 Jahren im Besitz der Familie. 2022 wird es in der viel besprochenen Ausstellung „Kunst für keinen“ in der Schirn Kunsthalle in Frankfurt am Main erstmals einer breiteren Öffentlichkeit präsentiert. Eine zweite, abweichende Version unseres Bildmotivs befindet sich seit 1952 in der Sammlung der Staatlichen Museen zu Berlin (um 1940, Kupferstichkabinett). [CH]



46
Karl Hofer
Zwei Frauen am Brunnen, 1940.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 150.000
Ergebnis:
€ 190.500

(inklusive Aufgeld)