Auktion: 545 / Evening Sale am 08.12.2023 in München Lot 28


28
Kurt Schwitters
Ohne Titel (Bewegtes Weiss auf Blau und Gelb), Um 1944.
Relief. Öl über Holz und plastische Masse auf Holz
Schätzung:
€ 120.000
Ergebnis:
€ 152.400

(inklusive Aufgeld)
Ohne Titel (Bewegtes Weiss auf Blau und Gelb). Um 1944.
Relief. Öl über Holz und plastische Masse auf Holz.
28,5 x 23 x 10 cm (11,2 x 9 x 3,9 in). [JS].

• Einzigartige und qualitativ herausragende Arbeit des berühmten Dada-Künstlers aufgrund der maximal gesteigerten Dreidimensionalität.
• Herausragendes Zeugnis für Schwitters Überwindung der Gattungsgrenzen zwischen Malerei, Skulptur und Architektur.
• Aus der Sammlung Hubertus und Renate Wald, Hamburg, mit bedeutenden Arbeiten der deutschen und französischen Moderne.
• Umfassende Ausstellungshistorie: Museum Ludwig, Köln (1985), Hamburger Kunsthalle (2003), Tate Britain, London (2013) und Museum Villa Stuck, München (2013/14)
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PROVENIENZ: Nachlass des Künstlers.
Ernst Schwitters, Lysaker (1946, Erbschaft vom Künstler, -1984 Galerie Gmurzynska, Köln).
Sammlung Hubertus und Renate Wald, Hamburg (1984-2011).
Hubertus Wald Stiftung, Hamburg (2011-2012, Christie's, London, 8.2.2012, Los 406).
Galerie Haas, Zürich (wohl vom Vorgenannten erworben).
Privatsammlung Schweiz (vom Vorgenannten erworben).

AUSSTELLUNG: Kurt Schwitters, Galerie Gmurzynska, Köln, Okt.-Dez. 1978, Kat.-Nr. 86 (m. Abb. S. 127).
Kurt Schwitters, Galerie Gmurzynska at FIAC, Grand Palais, Paris, Oktober 1980, Kat.-Nr. 49 (m. Abb. S. 115).
Westkunst. Zeitgenössische Kunst seit 1939, Museen der Stadt Köln, Köln, Mai-Aug. 1981, Kat.-Nr. 103 (m. Abb. S. 351).
Kurt Schwitters. Die späten Werke, Museum Ludwig, Köln, Apr./Mai 1985, Kat.-Nr. 62 (m. Abb. S. 88 (Abb. um 180° gedreht).
Kurt Schwitters, Galerie Michael Werner, New York, Okt./Nov. 1990, Kat.-Nr. 26 (m. Abb.).
Sammlung Wald, Hamburger Kunsthalle, Hamburg, 17.9.-23.11.2003.
Schwitters in Britain, Tate Britain, London, 30.1.-12.5.2013; Sprengel Museum, Hannover, 2.6.-25.8.2013, S. 156.
Das Künstlerhaus als Gesamtkunstwerk. Europa und Amerika 1800-1946, Museum Villa Stuck, München, 21.11.2013-2.3.2014, S. 370, Kat.-Nr. 16, S. 271 (m. Abb. S. 272).

LITERATUR: Karin Orchard/Isabel Schulz, Kurt Schwitters. Catalogue raisonné, Bd. III, Ostfildern 2006, WVZ-Nr. 3065 (m. SW-Abb. S. 429).
Die Sammlung Hubertus und Renate Wald, Hamburg 1998, S. 74 (m. Abb. S. 75).
Christie's, London, Impressionist and Modern Day Sale, 8.2.2012, Los 406 (m. Abb.).
"Die höchste Form der Kunst ist das Gesamtkunstwerk, in dem die Grenzen zwischen Kunst und Nichtkunst aufgehoben sind."
Kurt Schwitters

Schwitters "Merzzeichnungen" und "Merzbilder", wie Kurt Schwitters seine ab 1918 entstandenen dadaistischen Collagen und Assemblagen nennt, gelten als der bedeutendste und bekannteste Werkkomplex des Künstlers. Im Anschluss an den Ersten Weltkrieg befreit Schwitters sich und seine Kunst von jeglicher akademischen und kunsthistorischen Tradition. "Merz" war für Schwitters nicht nur die Bezeichnung für den künstlerischen Stil seiner Ein-Mann-Kunstbewegung, sondern vielmehr gleichbedeutend mit künstlerischer Revolution und Neuanfang. In seinen "Merz"-Arbeiten löst Schwitters die Grenzen zwischen den Kunstgattungen auf, integriert verschiedene Materialien, Zeitungsausschnitte, Eintrittskarten, Nägel, Holz und sonstige banale Fundstücke des Alltages, und wird auf diese Weise zu einem der bedeutendsten Dada-Künstler. Auch als dadaistischer Dichter, Schriftsteller und Architekt verleiht Schwitters seiner schier unerschöpflichen künstlerischen Produktivität Ausdruck und schafft ein provokantes und beeindruckendes Gesamtkunstwerk. Seine Merz-Collagen erschließen sich durch die Verwendung von Zeitungsschnipseln, Fahrkarten und Karton zwar vollkommen neuartige künstlerische Mittel, fügen sich aber hinsichtlich Format und Zweidimensionalität noch immer dem tradierten Bildbegriff. Diesen jedoch überwindet Schwitters zunehmend in seinen reliefartig aufgebauten Assemblagen, deren Anlage anfänglich noch flächig ist, sich aber bis zur vorliegenden, im Exil in Großbritannien entstandenen, weit in den Raum ausgreifenden Arbeit steigert. In "Bewegtes Weiss auf Blau und Gelb" scheint Schwitters verschiedene grundlegende Elemente seines dadaistischen, von Zufälligem bestimmten und gattungsübergreifend angelegten Kunstbegriffes zusammenzuführen: das intuitive Kombinieren verschiedener Fundstücke und Materialien, das kraftvolle Sprengen tradierter Bildtraditionen und das künstlerische Überwinden von Gattungsgrenzen. Es scheint geradezu eine Skulptur aus der Bildfläche herauszuwachsen, den Bildraum zu sprengen und weit in den Raum auszugreifen. Inspirierend wird dafür sicherlich zu Beginn der 1940er Jahre Schwitters Bekanntschaft mit dem britischen Künstlerpaar Barbara Hepworth und Ben Nicholson gewesen sein, deren gerundetes skulpturales Formenpotenzial man in der vorliegenden Arbeit wiederzuerkennen glaubt. Schwitters nimmt in unserer Arbeit aber auch zentrale Elemente der amerikanischen und europäischen Nachkriegskunst vorweg, etwa das Prinzip der "shaped canvas" aus der amerikanischen Farbfeldmalerei, die Dreidimensionalität und Einbeziehung von Licht und Schatten aus dem europäischen "ZERO" und eine skulpturale wie materielle Öffnung in den Raum, wie sie verschiedenste internationale Künstler in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vorangetrieben haben. Die vorliegende Arbeit ist aber nicht nur ein herausragendes Beispiel für Schwitters gattungsübergreifendes Arbeiten zwischen Malerei und Skulptur, sondern spannt den Bogen – in deutlicher Anlehnung an das Formenrepertoir von Schwitters "Merzbauten" – sogar bis hin zur Architektur. Vermutlich bereits 1923 hatte Schwitters begonnen, mehrere Räume in seinem Haus in Hannover mit einer bis 1937 stetig weiter wachsenden Rauminstallation zu füllen, die bis zu Schwitters Emigration über acht Räume angewachsen war. Auch während seines Exils in Norwegen und Großbitannien hat der Dada-Künstler seine Lebens- und Arbeitsräume immer wieder auf vergleichbare Weise zu tropfsteinhöhlenartigen Gesamtkunstwerken "gemerzt". Mit den "Merzbauten", die heute leider fast alle nicht mehr im Original erhalten sind, hat Schwitters – wie auch in dem vorliegenden Relief-Bild – eine vollkommen neuartige künstlerische Ausdrucksform gefunden, die bereits Elemente der zeitgenössischen Installationskunst antizipiert. [JS]



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Kurt Schwitters
Ohne Titel (Bewegtes Weiss auf Blau und Gelb), Um 1944.
Relief. Öl über Holz und plastische Masse auf Holz
Schätzung:
€ 120.000
Ergebnis:
€ 152.400

(inklusive Aufgeld)