Auktion: 554 / Modern Art Day Sale am 08.06.2024 in München Lot 124000201


124000201
Lovis Corinth
Der Bildhauer (Portrait des Bildhauers Nikolaus Friedrich), 1912.
Öl auf Leinwand
Schätzpreis: € 60.000 - 80.000
Informationen zu Aufgeld, Steuern und Folgerechtsvergütung sind ab vier Wochen vor Auktion verfügbar.
Der Bildhauer (Portrait des Bildhauers Nikolaus Friedrich). 1912.
Öl auf Leinwand.
Links unten in der Darstellung signiert und datiert. 101 x 80 cm (39,7 x 31,4 in). [JS].


• Meisterlich inszenierte Spontaneität: schnappschussartige Präsentation eines lässig modernen Künstlertypus.
• In "Der Bildhauer" erreicht Corinth wie auch in seinen berühmten Selbstporträts eine Malerei von hoher Klarheit und Konzentration.
• Faszinierende Symbiose aus Tradition und Moderne, Pygmalionanspielungen und der malerischen Antizipation späterer fotografischer Künstlerselbstinszenierung.
• Bereits 1913 in der Berliner Sezession sowie in der Galerie Ernst Arnold, Dresden, ausgestellt und danach in der bedeutenen Ausstellung "Modern German Art" der New Burlington Gallery, London.
• Bedeutende Provenienz: aus der Sammlung des Corinth-Kenners Dr. Alfred Ganz, Luzern, sowie später Teil der Sammlung des Busch-Reisinger Museums, Harvard/USA
.

PROVENIENZ: Sammlung Dr. Alfred Ganz, Luzern (bis mindestens 1955).
Kunsthandlung Bühler, München.
Galerie Meissner, Zürich.
Schoeneman Galeries, New York (verso mit dem Stempel).
Sammlung T. S. Morton, wohl USA (1970 erworben, Sotheby's 1.7.1970).
Busch-Reisinger Museum, Harvard University, Cambridge, Mass., USA. (wohl bis um 1990).
Tate Gallery, London (auf dem Keilrahmen mit dem Etikett, dort mit dem handschriftlichen Vermerk "possible purchase").
Privatsammlung Deutschland.
Privatbesitz Norddeutschland (seit 2006, Lempertz, Köln, 3.6.2006, Los 651).

AUSSTELLUNG: Kollektionen von Lovis Corinth, Kunstsalon Paul Cassirer, Berlin, 20.2.-14.3.1906, Nr. 11.
Hagenbund XXI. Ausstellung, Wien, 7.12.1906-20.1.1907, Nr. 119.
26. Ausstellung der Berliner Sezession, Berlin 1913, Nr. 207.
Galerie Ernst Arnold, Dresden 1913.
Berliner Sezession, Berlin 1918, Nr. 107.
Kunsthaus Zürich, Mai/Juni 1924, Nr. 22.
Modern German Art, New Burlington Gallery, London, 1938, Nr. 51 (verso mit dem Etikett).
Eine Luzerner Privatsammlung, Kunstmuseum Luzern, 1947, Nr. 34.
Deutsche Impressionisten. Liebermann - Corinth - Slevogt, Schaffhausen, April-Juli 1955, Nr. 54 (auf dem Keilrahmen mit dem Etikett).
Lovis Corinth. Gedächtnisausstellung zur Feier des 100. Geburtstages, Volkswagenwerk Wolfsburg, Mai/Juni 1958 (auf dem Keilrahmen mit dem Etikett).

LITERATUR: Charlotte Berend-Corinth, Lovis Corinth. Die Gemälde. Werkverzeichnis, München 1992, WVZ-Nr. 524 (m. SW-Abb. S. 601).
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Sotheby's, London, Auktion, 1.7.1970, Los 101 (m. Abb.).
Lempertz, Köln, Auktion, 3.6.2006, Los 651 (m. Abb.).

Während uns an Corinths Historiengemälden, Blumenstillleben und Landschaften bis heute vorrangig der energische, furorartige Duktus, die Wucht der Komposition und des flirrenden Farbauftrages faszinieren, ist sein malerischer Blick auf den Künstler, und dabei vorrangig auf sich selbst, vielmehr von einer faszinierenden Klarheit und Konzentration beherrscht. Corinth hat über sein gesamtes Œuvre hinweg zahlreiche Selbstbildnisse geschaffen und sich darin nicht nur intensiv mit sich selbst, sondern auch mit der Existenz des Künstlers im Allgemeinen auseinandergesetzt. Zu seinen bekanntesten Selbstporträts zählt sicherlich sein noch in München entstandenes "Selbstporträt mit Skelett" aus dem Jahr 1896 (Lenbachhaus München), das sich – aus einer gewissen Distanz betrachtet – bereits durch eine fast neusachliche Reduktion und Klarheit auszeichnet. Direkt und schonungslos hat Corinth hier seine wuchtige Gestalt in der Art eines Doppelporträts neben dem zu Studienzwecken im Atelier befindlichen Skelett ins Format gesetzt.

Als Corinth 1911 den Vorsitz der Berliner Sezession von Max Liebermann übernimmt, ist er auf dem Höhepunkt seines Schaffens. Jedoch erleidet Corinth noch im selben Jahr einen Schlaganfall, der nicht nur eine partielle Lähmung zur Folge hat, sondern fortan sogar die besondere Wucht und Ausdrucksstärke seiner Malerei nochmals steigern sollte. Es ist das berühmte und heute in der Sammlung der Nationalgalerie Berlin befindliche Historiengemälde "Der geblendete Simson", mit dem sich der um seine eigenen Kräfte ringende Corinth bereits 1912 mit einem motivischen Paukenschlag zurückmeldet. Es zeigt den gefesselten Simson mit einem durchbluteten Tuch vor den Augen und in Ketten gelegten Armen, der sich gegen alle Schmerzen und mit all seiner ihm noch zur Verfügung stehenden Kraft nach vorne tastet. Das eigene Leiden war für die Wahl dieses alttestamentarischen Bildthemas verantwortlich, die Vorläufer finden sich vor allem in der Malerei der Renaissance und des Barock.

Im selben Jahr malt Corinth auch das vorliegende Künstlerporträt des Berliner Bildhauers Nikolaus Friedrich. Aufgrund seiner luftigen Malweise, die sich aus einer gewissen Distanz betrachtet zu einer faszinierende Klarheit zusammenfügt, reiht es sich perfekt ein in die Folge der berühmten Künstlerselbstdarstellungen dieser Jahre: das ebenfalls 1912 datierte "Selbstporträt mit Panamahut" (Kunstmuseum Luzern) und das "Selbstportrait mit Tiroler Hut" (1913, Museum Folkwang, Essen). Doch Friedrich ist eben nicht wie Corinth Maler, sondern Bildhauer, und so reicht es in seinem Fall nicht, die Künstlerexistenz allein durch das Attribut des in der Hand geführten Pinsels auszuweisen.

Corinth zeigt Friedrich, der bereits zwei Jahre nach der Ausführung des Porträts im Alter von 48 Jahren sterben sollte, in lässig moderner Pose mit Meißel oder Feile in der Rechten und der Pfeife locker im Mundwinkel im künstlerischen Zwiegespräch mit einer seiner Schöpfungen, einer weiblichen Aktskulptur. Diese Motivik belegt zugleich Corinths souveränes Spiel mit der antiken Mythologie, in diesem Fall der auf Ovids Metamorphosen basierenden Pygmaliongeschichte. Nach der antiken Überlieferung hat sich der berühmte Bildhauer Pygmalion unsterblich in eine von ihm geschaffene weibliche Statue verliebt, die daraufhin lebendig wird. Bei Corinth hingegen verschmilzt der Bildhauer in weißer Hose und cremefarbenem Pullover vielmehr mit seinem, ihn im Atelier umgebenden plastischen Werk und wird von Corinth in einer modernen Lässigkeit und scheinbaren Spontaneität inszeniert, die sowohl entgegen der langen ikonografischen Tradition der Pygmaliondarstellung als auch im Vergleich zu zeitgenössischen Künstlerporträts vollkommen neuartig erscheint. Friedrich ist nicht, der bisherigen Bildtradition entsprechend, im Anzug dargestellt und hat seinen Blick nicht dem Betrachter zugewandt, zudem steht er locker über ein Bein geneigt, rauchend in seinem Atelier und wirkt dort wie spontan auf einem Foto eingefangen. Corinth scheint also in diesem modernen Künstlerporträt vielmehr bereits jene fotografische Künstlerinszenierung vorweggenommen zu haben, wie sie ausgehend von Auguste Rodin mit den wachsenden Möglichkeiten der Fotografie in der zweiten Jahrhunderthälfte allen voran von Pablo Picasso perfektioniert werden wird. [JS]



124000201
Lovis Corinth
Der Bildhauer (Portrait des Bildhauers Nikolaus Friedrich), 1912.
Öl auf Leinwand
Schätzpreis: € 60.000 - 80.000
Informationen zu Aufgeld, Steuern und Folgerechtsvergütung sind ab vier Wochen vor Auktion verfügbar.