Auktion: 550 / Evening Sale am 07.06.2024 in München Lot 124000443


124000443
Emil Nolde
Tänzerin, 1913.
in 5 Farben
Schätzpreis: € 120.000 - 140.000
Informationen zu Aufgeld, Steuern und Folgerechtsvergütung sind ab vier Wochen vor Auktion verfügbar.
Tänzerin. 1913.
in 5 Farben.
Signiert und handschriftlich bezeichnet "Probedruck Tänzerin". Probedruck außerhalb der Auflage. Auf Velin (Rückseite einer Schreibvorlage mit der typografischen Bezeichnung "Schmarje Wandtafel A 8, Verlag v. Aug.Westphalen, Flensburg). 52 x 67 cm (20,4 x 26,3 in). Papier: 57,2 x 72,1 cm (22,5 x 28,3 in).
[EH].

• Expressionismus par excellence: Ausdruck purer Leidenschaft und Ekstase.
• Das Blatt "Tänzerin" ist eine der wichtigsten und schönsten Lithografien Emil Noldes; es zählt zu den aufregendsten Schöpfungen der expressionistischen Grafik.
• Äußerst expressives und freies Figurenbild in Noldes grafischem Schaffen.
• Seltener Probedruck in dieser Farbvariante.
• Gustav Schiefler hebt die exzentrische Wildheit der Bewegungsrhythmik dieses Blattes hervor
.

PROVENIENZ: Privatsammlung Nordrhein-Westfalen (in zweiter Generation).

LITERATUR: Gustav Schiefler, Christel Mosel, Martin Urban, Emil Nolde. Das graphische Werk, Bd. II: Holzschnitte, Lithographien, Hektographien, Köln 1996, WVZ-Nr. L 56 (m. Abb.).

"Die Tänzerin, das letzte der Blätter, sollte Leidenschaft und meine Freude bekunden."
Emil Nolde

Tanz als emotionaler Ausdruck

Emil Nolde huldigt dem Tanz als einer der wenigen Ausdrucksformen, die ganz der spontanen Emotion unterliegen. Bereits 1909 hat er ausgelassen "Wild tanzende Kinder" gemalt und ein Jahr später entsteht der rauschhafte "Tanz um das Goldene Kalb". In seinem Gemälde "Kerzentänzerinnen" von 1912 wird das Rauschhaft-Ekstatische besonders deutlich, das auch in unserer seltenen Farblithografie "Tänzerin" wiederkehrt. Der eigentlich scheue Nordländer Nolde sieht den Tanz nicht im klassischen Sinne als Vollendung einer Körperbeherrschung, sondern fühlt sich vielmehr zu diesem als emotionaler, archaisch-ursprünglicher Ausdrucksform hingezogen. Seine Tänzerinnen sind nicht mehr von dieser Welt. Sie verkörpern den Übergang in eine Sphäre des Übersinnlichen, das alle menschliche Ratio ausschließt. Noldes "Tänzerin" gehört zu den freisten Figurenbildern in Noldes grafischem Schaffen.
Darüber hinaus ist das erotische Element, das in der Farblithografie besonders angesprochen wird, eine wichtige Komponente, die Nolde hier bewusst ins Spiel bringt. Bereits in den Jahren vor seiner großen Südseereise 1913–1915 interessiert sich Nolde, auch einem Trend der Zeit folgend, für die Kulturen der Ureinwohner der Südsee. Dass dies nicht ohne Einfluss für seine weiteren Arbeiten bleibt, lässt sich am Beispiel der "Tänzerin" ablesen.

1913 entdeckt Nolde die Farblithografie für sich
Die ersten Lithografien Noldes sind über Umdruckpapier auf den Lithografiestein übertragene Zeichnungen. In diesem Verfahren wird die Lithografie als reines Medium der Vervielfältigung genutzt, wie es damals z. B. für den Plakatdruck üblich war. Erst auf Anregung Gustav Schieflers beginnt er 1911 damit, unmittelbar auf den Lithografiestein zu zeichnen. So kann der Künstler die malerische Intension unmittelbar auf den Stein bringen. Diese frühen lithografischen Blätter sind aber nur mit einer Farbe, meist Schwarz oder Schwarz-Braun, gedruckt. Erst zwei Jahre später, also 1913, entdeckt er im Flensburger Atelier von August Westphalen die vielfältigen Möglichkeiten der Farblithografie. Hier entsteht auch dieses Meisterwerk der expressionistischen Farblithografie.
In der nur achtwöchigen Zusammenarbeit mit August Westphalen schafft Emil Nolde seine wichtigsten und schönsten Lithografien, welche zu den bedeutendsten Leistungen der expressionistischen Grafik gezählt werden. Im zweiten, "Jahre der Kämpfe" betitelten Band seiner Erinnerungen offenbart der Künstler, dass er erst hier die Lithografie nicht nur als Vervielfältigungsmethode der auf Papier mit Fettkreide entstandenen Zeichnungen sah, sondern entdeckte, welche künstlerische Freiheit das unmittelbare Zeichnen auf den Lithostein für den Künstler bereithält. "Erst, wenn der Maler auf dem Stein selbst schaffend arbeitet, erlebt er den Reiz der Technik und die weitgehndsten Möglichkeiten. [..] und ich stand immerzu zeichnend, ätzend, schleifend, mischend, abwägend, umschaltend in Farben und Farben und von der Presse die großen Bilder hervorholend, fast alle in verschiedensten Nuancen und Zuständen. Es war mir eine Lust und die Freude groß" (Emil Nolde, Jahre der Kämpfe, Köln 1967, S. 261).
Das Blatt "Tänzerin" gilt als der Höhepunkt unter jenen Blättern und kann als die herausragendste Leistung Noldes auf dem Gebiet der Druckgrafik bezeichnet werden. Gustav Schiefler bedauert ausdrücklich in seinem Buch "Meine Graphik-Sammlung", dass es ihm nicht gelungen sei, ein Exemplar der Tänzerin zu erwerben.

Der vorliegende Probedruck ist auf der Rückseite eines Schriftbogens, der auch in der Werkstatt von August Westphalen gedruckt wurde, ausgeführt. Ein auf einem solchen Schriftbogen gedruckter Probedruck befindet sich auch in der Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde.



124000443
Emil Nolde
Tänzerin, 1913.
in 5 Farben
Schätzpreis: € 120.000 - 140.000
Informationen zu Aufgeld, Steuern und Folgerechtsvergütung sind ab vier Wochen vor Auktion verfügbar.