Auktion: 420 / Kunst nach 45 / Zeitgenössische Kunst am 06.12.2014 in München Lot 876

 

876
Martin Kippenberger
Rausland, 1982.
Öl
Schätzung:
€ 140.000
Ergebnis:
€ 150.000

(inkl. Käuferaufgeld)
Rausland. 1982.
Öl, Spray auf Leinwand.
Links unten signiert und datiert sowie in der Darstellung betitelt. 100 x 119,5 cm (39,3 x 47 in).
[JS].

Mit einem Foto-Zertifikat des Estate Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain, Köln, Oktober 2014.

PROVENIENZ: Privatsammlung Nordrhein-Westfalen.
Privatsammlung Süddeutschland (1992 vom Vorgenannten erworben).

Martin Kippenberger zählt zu den vielseitigsten und produktivsten deutschen Künstlern der Nachkriegszeit. Mit überschäumender Energie erarbeitet er ab den 1970er Jahren bis zu seinem frühen Tod ein sehr umfangreiches Œuvre. Dabei geht es ihm um die Hinterfragung von Gesellschaft, Kunstbetrieb und die Auslotung noch verbleibender Möglichkeiten der zeitgenössischen Kunst. In provozierend banalen oder spöttischen Bildfindungen, die bewusst auch Peinlichkeiten akzeptieren, in Nonsenstexten und mit beabsichtigtem Dilettantismus attackiert er die Kunstproduktion. 1978 gründet er in Berlin, zusammen mit Gisela Capitain, "Kippenbergers Büro" und übernimmt die Geschäftsführung des Clubs SO 36. Er organisiert Ausstellungen und Konzerte, erwirbt erste Arbeiten von Künstlerkollegen und lernt seinen späteren Galeristen Max Hetzler kennen.

Im Berlin der 1980er Jahre, dem kreativen Schmelztiegel, läuft der Provokateur und kreative Sonderling Kippenberger zu Hochtouren auf. Kippenberger, der Pionier der Nonsense-Kunst, redet exzessiv und pausenlos, entwickelt als Legastheniker auf diese Weise das für seine Sprache und Kunst charakteristische Sprechblasendeutsch. Oft konnte man seinen Reden nicht wirklich folgen, was auch mit ihrer verbalen Verknappung zusammenhing, denn er nahm meist ohne Überleitung den kürzesten Weg zwischen zwei Gedanken, hat frei assoziiert und in Sprüngen gedacht. "Deutsche Sprache gute Sprache" lautet sein Credo, und so lässt er eigenwillige Wortkombinationen entstehen, bei denen Missverständnisse, Interpretationsspielräume und stets eine naive Komik einkalkuliert sind. Für Kippenberger ist Kunst Kommunikation, und so werden seine verbalen Schöpfungen zu seinem Markenzeichen und nicht nur als Titel, sondern gelegentlich auch - wie in der vorliegende Arbeit - als Teil der Darstellung in seine Gemälde integriert. Der Wortschöpfung "Rausland", die das Zentrum der vorliegenden Arbeit bildet, wird von Kippenberger, auf einen Wegweiser und vor einen abstrahierten Landschaftsausblick gesetzt, zugleich eine piktogrammartige Deutungshilfe zur Seite gestellt. "Raus aufs Land!" könnte demnach also eine der intendierten Aussagen sein, wodurch die vorliegende Arbeit zugleich als Psychogramm der rastlosen Künstlerpersönlichkeit lesbar ist, die der Reizüberflutung Berlins langsam überdrüssig geworden ist. Am Fenster seines zweiten Wohnzimmers, der Paris Bar, sitzend, soll Kippenberger gesagt haben: "Entweder ich geh jetzt in die Irrenanstalt oder in den Schwarzwald." Den Spruch "Kippenberger raus aus Berlin" hat er dann in den Pissoirs der Berliner Kneipen verteilt. Wie die vorliegende Arbeit zeigt, war es Zeit, diese Aufforderung nun in die Tat umzusetzen.

Nachdem Kippenberger seinen Lebensmittelpunkt Anfang der 1980er Jahre in die süddeutsche "Provinz" verlegt und mit Max Hetzler erstmals einen kommerziellen Galeristen gefunden hat, wird Kippenbergers Werk schließlich 1986 in einer ersten umfassenden Museumsausstellung "Miete Strom Gas" in Darmstadt gewürdigt. 1990 tritt Kippenberger eine Gastprofessur an der Städelschule Frankfurt an und unterrichtet 1992 an der Gesamthochschule Kassel.
Nach der Kippenberger Retrospektive der Tate Modern, London, im Jahr 2006 hat im vergangenen Jahr auch der Hamburger Bahnhof - Museum für Gegenwart in Berlin Martin Kippenberger eine umfassende und vielbeachtete Werkschau mit dem Titel "Martin Kippenberger – sehr gut / very good" gewidmet.




876
Martin Kippenberger
Rausland, 1982.
Öl
Schätzung:
€ 140.000
Ergebnis:
€ 150.000

(inkl. Käuferaufgeld)