Auktion: 496 / Evening Sale am 06.12.2019 in München Lot 144

 

144
Erich Heckel
Hafeneinfahrt, 1916.
Tempera auf Leinwand
Schätzung:
€ 250.000
Ergebnis:
€ 337.500

(inkl. Käuferaufgeld)
Hafeneinfahrt. 1916.
Tempera auf Leinwand.
Hüneke 1916-30. Rechts unten signiert. Verso auf dem Keilrahmen signiert und betitelt. 83 x 96,5 cm (32,6 x 37,9 in).
Eine Temperaarbeit aus dem Jahre 1915, die Zeichnungen "Hafenmole" und "Hafenausfahrt" von 1916 sowie die Radierung "Hafeneinfahrt in Ostende" (Dube R137) ebenfalls von 1916 stehen in direkter Verbindung zur vorliegenden Arbeit. [CE].
• Impression seines Schicksalortes.
• Aus der Werkgruppe der symbolträchtigen Flandernlandschaften.
• Frühe Ausstellungen bei Schames in Frankfurt a. M. und Goltz in München
.

PROVENIENZ: Sammlung Gustav Ferdinand Jung (1878-1943), Hagen (vor 1932 erworben, seither in Familienbesitz).

AUSSTELLUNG: Erich Heckel, Kunstsalon Ludwig Schames, Frankfurt, April 1919, Nr. 32.
Erich Heckel, Kestner-Gesellschaft, Hannover, 15.1.-25.2.1919, Nr. 39.
Galerie Neue Kunst - Hans Goltz, München, V. Gesamtschau, September/Oktober 1919, Nr. 23 (verso mit dem fragmentarischen Etikett).
Gemälde der "Brücke"-Sammlungen Gerlinger + Buchheim, Buchheim Museum, Bernried, seit 26. Februar 2019.

LITERATUR: Sotheby’s, London, 2.12.1981, Lot 142 (mit Abb.) (aus der Sammlung Jung in Familienbesitz zurückerworben).
Paul Vogt, Erich Heckel, Recklinghausen 1965, Nr. 1916-19, S. 162 (mit Abb.).
"Das Geschehen zu verinnerlichen, dem Wirklichen eine neue Gestalt zu geben, diese Ziele hat Heckel in den stürmischen und fruchtbaren Jahren bis zum Ende des Ersten Weltkrieges verfolgt und aus ihnen eine neue Welt gewonnen."
Paul Vogt, zit. nach: Ausst.-Kat. Erich Heckel, Galerie Wolfgang Ketterer, München, Februar-April 1966, o.S.

Auf den ersten Blick erscheint diese Hafeneinfahrt unverdächtig. Heckel ist seit April 1916 an dem von den Deutschen besetzten Küstenstreifen an der Nordsee-Küste Belgiens als Sanitäter stationiert. In seiner Freizeit malt und zeichnet er die Umgebung. Als nicht fronttauglich eingestuft, meldet er sich schon 1914 zum Kriegsdienst. Sein Vorgesetzter ist - welch ein Zufall - der wissenschaftliche Assistent von Ludwig Justi an der Nationalgalerie, Walter Kaesbach; sie kennen sich persönlich und schätzen sich gegenseitig. Er gestaltet den Dienstplan für Heckel offensichtlich günstig, damit er genügend Zeit für seine künstlerische Arbeit habe, sie inhaltlich wie stilistisch zu entwickeln. Auch andere Künstler profitieren von der Beziehung zu Kaesbach. So gehören seiner Einheit weitere Freunde an: die Berliner Maler Max Kaus, Otto Herbig und Anton Kerschbaumer. In Ostende begegnet Heckel auch Max Beckmann, der von der Ostfront nach Flandern versetzt wird. "Ich bin mir bewusst, wie gut das Schicksal mit mir war, dass ich die Zeit am Meer und als immerhin tageweise Freier verbringen konnte. Ich habe viel baden können, hin und wieder etwas zeichnen - ist das nicht selten günstig", schreibt Heckel an den Hamburger Richter, Kunstsammler und -kritiker Gustav Schiefler am 1. Oktober 1915.
So absolviert er bis Oktober 1918 wenige Kilometer von der Westfront entfernt seinen Dienst. Bemerkenswert ist, dass es Erich Heckel gelingt, trotz aller Unerträglichkeiten zu einer von positiver Stimmung bewegten Motivauffassung zu gelangen. Ihn faszinieren die elementaren Kräfte von Wind und Wasser, das Spiel der Wolken, die Sonnenstrahlen, die zu Blitzen mutieren, sich auf dem Wasser spiegeln, zu farbgewaltigen Expressionen führen. Damit erweist er Flandern eine außerordentliche Referenz.
Ostende ist in aller kriegerischer Auseinandersetzung für Heckel ein vergleichsweise ruhiger Platz. Es erstaunt, mit welcher Intensität Heckel trotz seiner täglichen, ihn umgebenden Belastung, das Motiv scheinbar davon unberührt malen kann: wie wenn nach stürmischer See ein Kapitän ruhiges Wasser erreicht, geschützt von den festen Mauern der Mole zwischen den spärlich besiedelten Dünen und dem mächtigen Zollhaus. Ausläufer der brechenden Wellen schaffen es weit bis an den Beckenrand des Hafens, als ließen sie sich nicht aufhalten von den Molen rechts und links. Der Himmel wirkt von hartem Abendlicht gezeichnet, die Sonne bricht ihr Gelb zu einen Feuerrot über dem glatten Horizont des Meeres, die Küste scheint noch von der Kraft des glühenden Sterns gewärmt. Die "Hafeneinfahrt" wirkt inmitten der schrecklichen Kämpfe wie ein rettendes Symbol, dessen Kraft Heckel den Krieg auch menschlich überstehen lässt. Sich der Malerei und Literatur zu öffnen, die er hier mit den wenigen Freunden teilen kann, war ihm ein großes Glück.
Die fortschrittlich agierende Kestner-Gesellschaft in Hannover zeigt Erich Heckels "Hafeneinfahrt" bereits im Januar 1919. Anschließend zeigt sein Galerist Ludwig Schames das Gemälde mit weiteren Werken in Frankfurt am Main. Auch der Kunsthändler und Pionier für die moderne Kunst Hans Goltz zeigt "Hafeneinfahrt" in seiner Münchener Galerie Neue Kunst im Herbst 1919. Es ist zu vermuten, dass der Sammler Gustav Ferdinand Jung aus Hagen dort das Gemälde erwirbt. Der Industrielle Jung, 1878 in Hagen geboren, beschäftigt sich intensiv mit zeitgenössischer Kunst, besucht Galerien in Berlin und München, hat engagierten Kontakt zu den Künstlern seiner Sammlung, etwa zu Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner, Christian Rohlfs und anderen. Die umfangreiche Sammlung verbleibt bis zum Tod seiner Frau Hildegard im Jahr 1976, Schwester des Bildhauers Hans Walther in Erfurt, zusammen und wird im Erbgang unter den Kindern aufgeteilt. [MvL]



144
Erich Heckel
Hafeneinfahrt, 1916.
Tempera auf Leinwand
Schätzung:
€ 250.000
Ergebnis:
€ 337.500

(inkl. Käuferaufgeld)