Auktion: 520 / Evening Sale am 18.06.2021 in München Lot 301

 

301
Ernst Wilhelm Nay
Lots Weib, 1947.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 120.000
Ergebnis:
€ 262.500

(inkl. Käuferaufgeld)
Lots Weib. 1947.
Öl auf Leinwand.
Scheibler 397. Links unten signiert und datiert. Verso signiert, datiert und betitelt. 80 x 100 cm (31,4 x 39,3 in). [JS].

• Qualitativ herausragendes Gemälde aus dem Höhepunkt der "Hekate-Bilder", die Nays Übergang von der Abstraktion in die abstrakte Malerei markieren.
• In Differenziertheit, Farbigkeit und kompositioneller Ausgewogenheit wurde in den vergangenen zehn Jahren keine vergleichbare Arbeit auf dem internationalen Auktionsmarkt angeboten.
• Letztmals 1950 öffentlich ausgestellt.
• Vergleichbare "Hekate"-Gemälde befinden sich u. a. in der Pinakothek der Moderne, München, der Nationalgalerie Berlin, dem Sprengel Museum, Hannover, und dem Museum Ludwig, Köln
• Nay ist der wichtigste deutsche "Farbmaler" und der teuerste deutsche abstrakte Nachkriegskünstler
.

PROVENIENZ: Galerie Dr. Werner Rusche, Köln (1948).
Sammlung Dr. Mutter, Bad Säckingen (bis 1981, Karl & Faber 26.11.1981).
Privatsammlung Süddeutschland (seit 1981).

AUSSTELLUNG: E. W. Nay - Bilder des Jahres 1947, Galerie Dr. Werner Rusche, Köln 1948, Kat.-Nr.11 (mit Abb.).
Nay, Frankfurter Kunstkabinett Hanna Bekker vom Rath, Frankfurt a. M., 8.6.- Mitte Juli 1948, Kat.-Nr. 6.
E. W. Nay, Kestner Gesellschaft, Hannover, 2.4.-7.6.1950, Kat.-Nr. 41.
Ernst Wilhelm Nay. Die Hofheimer Jahre 1945-1951, Städtische Galerie im Städel, Frankfurt a. M. 24.2.–23.5.1994 / Museum der bildenden Künste, Leipzig 9.6.– 21.8.1994, Kat.-Nr. 33 (mit Abb. S. 65).

LITERATUR: Karl & Faber, München, Auktion 158, 16.11.1981, Los 1540 (mit Abb. Taf. 15).
Weltkunst, 52. Jg. , Heft 1, München, 1.1.1982 (mit Abb. S. 48).
"Lots Weib was painted when Nay was at the height of his power, brilliantly synthesising a modernist lexicon of form with a strong feeling of the embattlement of contemporary life in Germany in the late 1940s.'"
John-Paul Stonard, britischer Kurator und Herausgeber diverser Monographien

Ungewöhnliche Farbmischungen tauchen auf und vertiefen ein höchst differenziertes Kolorit

Für Nay ist die Beschäftigung mit abstrakt strukturiertem Flächengewebe nach der ständig zunehmenden Verdichtung der figurativen Bildstrukturen in den "Hekate-Bildern" eine logische Konsequenz. In diese Überlegung ist eingebettet, jenen „Komplex von Urformen in Verbindung mit Rhythmus und Dynamik“ so offen zu gestalten, dass sich, so Nay, „dann das eigentlich formale Thema meiner Kunst im Ganzen“ entwickeln kann (zit. nach: Ausst.-Kat. E. W. Nay 1902-1968. Bilder und Dokumente, Nürnberg und München 1980, S. 62). Nays künstlerische Entwicklung ist im Grunde bis auf die surrealen Landschaften, der ersten wirklich Nay’schen Bildthematik, immer unterlegt von Rhythmus und Dynamik, etwa von den klar gegliederten, die Gegenständlichkeit vereinfachenden "Fischer-" und "Lofoten-Bildern" bis zu den abstrakt strukturierten, aber noch den Rest von Figuration aus den in Frankreich entstehenden Kompositionen bewahrenden "Hekate-Bildern". Hier trifft man auf die inzwischen eingängig gewordenen Formen und Figurationen Nay’scher Ikonografie, mit denen Nay anstrebt, wie Werner Haftmann so treffend beschreibt, „die einzelnen farbigen Flächenschichten einmal faktisch auseinanderzulegen, sie als einzelne Qualitäten zu isolieren und durchzuarbeiten und als einzelne selbständige Elemente der räumlichen Planordnung, aber auch als isolierte Farbstimmen eindeutig festzulegen“ (Werner Haftmann, E. W. Nay, Köln 1991, S. 153).

Höhepunkt der "Hekate-Bilder"

Die Aufarbeitung der Geschichte von Lots Weib, die sich auf der Flucht aus Sodom nicht umdrehen darf, scheint Nay mit seiner inneren Geschichte zu verbinden; im Gegensatz zu ihr blickt er nicht nur kompositorisch nach vorne und entwickelt und verbindet hier raffiniert ineinandergeschobene "farbige Flächenschichten" mit "isolierter Farbstimmung". Bisher noch nicht verwendete Farbmischungen tauchen auf und vertiefen ein höchst differenziertes Kolorit. Der Farbauftrag, bisweilen leicht pastos, verstärkt eine eigentümlich kostbare Reliefwirkung, als handele es sich um ein höchst fremdartiges Gebilde: links die Stadt Sodom, auf die das von Gott geschüttete und vernichtende Feuer fällt; in der Mitte, das zur kristallinen Salzsäule erstarrte Weib in kalten Blautönen; neben ihr in aufgelöster Bewegung Lot, die zwei Kinder vor ihm antreibend, so wie die gesandten Engel ihn drängeln und zur Eile ermahnen. Durch die Dehnung der Formen fördert Nay eine zweidimensionale Spannung, steigert die Tragkraft und erhöht das Tempo. Trotz des traurigen Endes der Legende, eine durch den verbotenen Rückblick zur Salzsäule erstarrte Frau, verwandelt Nay seine Malerei voll heller Schönheit und strahlender Farbigkeit. Und dennoch ist auch in diesem großformatigen Bild das offene Element des Tragischen zu spüren.

Die Bezeichnung "Hekate-Bilder"

Die Bezeichnung „Hekate-Bilder“ entsteht viel später, weiß Elisabeth Nay-Scheibler zu berichten. Als Nay sich 1950/51 bereits neuen Themen, den fugalen Bildformen zuwendet, besucht ihn sein verlässlicher Freund und Mentor, Ernst Gosebruch, langjähriger Direktor am Museum Folkwang in Essen und von den Nationalsozialisten im September 1933 entlassen. Er erkundigt sich nach den zuvor in Hofheim entstandenen Bildern, von denen er sich an nur einen Titel erinnert: „Tochter der Hekate“. So entsteht beiläufig ein Stilbegriff für eine Werkperiode der Jahre 1945-1948.

Nay, der die Kriegsjahre in Frankreich als Kartenzeichner verbringt und von den Amerikanern ins Nachkriegsdeutschland entlassen wird, sucht nach einem neuen Anfang, nicht in Berlin, wo sein Atelier nicht mehr existiert. In der Nähe von Frankfurt, in Hofheim am Taunus, ermöglicht ihm die Künstlerin und spätere Galeristin Hanna Bekker vom Rath eine Bleibe im Atelier von Ottilie Roederstein. Die Bilder, die dort entstehen, wirken aufgebracht, erregen mit ihren heftigen Gesten und brennenden Farben, überzeugen mit einer unablässig verfolgten formalen Strategie. Die Widersprüche in seinem persönlichen Schicksal, so scheint es, regen Nay an zu einer bis dahin nicht bekannten Intensität. Im übertragenen Sinn kann man Nays "Hekate-Bilder" der ersten Jahre nach dem Krieg als Werke verstehen, in denen er den düsteren Erinnerungen in formaler Gestalt Ausdruck verleiht, während seine Titel dem Interessierten einen winzigen Einblick in den geheimnisvollen Vorgang des künstlerischen Tuns geben. So ersetzt der Künstler die in Frankreich noch figurbetonten Erfindungen mit Themen aus der Literatur, aus der griechischen Mythologie und aus dem Alten Testament. Die zumeist erst nach Fertigstellung des Bildes von Nay vergebenen Titel lauten jetzt: Verkündigung, Paolo und Francesca, Tochter der Hekate, Sitzende vor dem Spiegel, Sibylle, Oberon, Salome, Eurydike, Hirte, Herbstlied, Kythera und Lots Weib. Das in Nays Bildern wiederkehrende Formenvokabular von Kreis-, Spindel-, Schachbrett- und Handformen ist in den "Hekate-Bildern" sichtbar eingewoben in zumeist verschlüsselte Figuren- und Landschaftsassoziationen. Zudem verleihen bedeutungsträchtige Namen den "Hekate-Bildern" einen mythischen Klang. [MvL]



301
Ernst Wilhelm Nay
Lots Weib, 1947.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 120.000
Ergebnis:
€ 262.500

(inkl. Käuferaufgeld)