Auktion: 533 / Modern Art Day Sale und Sammlung Hermann Gerlinger am 10.12.2022 in München Lot 479

 

479
Ernst Ludwig Kirchner
Cancan-Tänzerin, 1909.
Farbige Kreide und Bleistift
Schätzung:
€ 20.000
Ergebnis:
€ 25.000

(inklusive Aufgeld)
Cancan-Tänzerin. 1909.
Farbige Kreide und Bleistift.
Auf dünnem Velin. 13 x 9 cm (5,1 x 3,5 in), Blattgröße.
[CH].
• Spontan-momenthafte, besonders dynamische Skizze aus der Dresdener "Brücke"-Zeit.
• Im Tanzcafé, Varieté, Theater und im Zirkus studiert Kirchner die schnellen Bewegungsabläufe und bannt sie in in mutigen Strichen aufs Papier.
• Das gleiche Motiv findet sich im selben Jahr noch einmal auf einer bemalten Postkarte an Erich Heckel wieder, auf der Kirchner auch den Namen der französischen Tänzerin, Liane d'Eve, festhält
.

Wir danken Herrn Prof. Dr. Dr. Gerd Presler für die Hinweise und die Unterstützung bei der Bearbeitung dieses Werkes.

PROVENIENZ: Sammlung Hermann Gerlinger, Würzburg (mit dem Sammlerstempel Lugt 6032).

AUSSTELLUNG: Schleswig-Holsteinisches Landesmuseum, Schloss Gottorf, Schleswig (Dauerleihgabe aus der Sammlung Hermann Gerlinger, 1995-2001).
Frauen in Kunst und Leben der "Brücke", Schleswig-Holsteinisches Landesmuseum Schloss Gottorf, Schleswig, 10.9.-5.11.2000, Kat.-Nr. 60 (m. Abb., S. 145).
Kunstmuseum Moritzburg, Halle an der Saale (Dauerleihgabe aus der Sammlung Hermann Gerlinger, 2001-2017).
Buchheim Museum, Bernried (Dauerleihgabe aus der Sammlung Hermann Gerlinger, 2017-2022).

LITERATUR: Heinz Spielmann (Hrsg.), Die Maler der Brücke. Sammlung Hermann Gerlinger, Stuttgart 1995, S. 143, SHG-Nr. 124 (m. Abb.).
Hermann Gerlinger, Katja Schneider (Hrsg.), Die Maler der Brücke. Bestandskatalog Sammlung Hermann Gerlinger, Halle (Saale) 2005, S. 302, SHG-Nr. 684 (m. Abb.).
Zu der erwähnten Postkarte mit dem Motiv der Can-Can-Tänzerin: Roman Norbert Ketterer (Hrsg.), E. L. Kirchner, Postkarten und Briefe an Erich Heckel im Altonaer Museum in Hamburg, Köln 1984, Kat.-Nr. 17, S. 42f. u. 224.

"Kein Thema hat Kirchner – vor allem in den Skizzenbüchern – kontinuierlicher verfolgt."
Prof. Dr. Dr. Gerd Presler, Werkverzeichnisverfasser der Skizzenbücher Ernst Ludwig Kirchners über den Tanz als Motiv in Kirchners Œuvre, zit. nach: Ausst.-Kat. Kirchners Kosmos: Der Tanz, KirchnerHAUS Aschaffenburg, 21.9.-30.12.2018, S. 15.

Wieder ist man gefangen von der Realistik durch das leichte, geradezu immaterielle Spiel der Linien, Schraffuren und Farbsetzungen. Kirchner sieht den Körper der Tänzerin in einem ausklingenden Höhepunkt der Bewegung, zeigt gleichsam ein Verharren zwischen Aufschwung und Ausklingen der Spannung, jener winzige Moment, in dem die Tanzbewegung eine Vollendung findet. Die Tänzerin verharrt einen kleinen, unmerklichen Augenblick und schwebt auf der Bühne, als stehe die Zeit still. Der Tanz, vor allem der erotische Tanz, fasziniert Kirchner. Körperliche Vitalität öffnet sich selbstergeben und zeigt sich unverfälscht ihrem Betrachter. In der temporeichen Bewegung des frivolen Cancans hebt sich ihr Rock und gibt den Blick frei auf die gerüschte Unterwäsche. Kirchner gibt uns das Gefühl, an seinem aufregenden Abend mit wirbelndem Tanz und aufreibender Musik teilzuhaben. Nicht nur mit dieser körnigen, spröden Farbkreidezeichnung würdigt Kirchner die Darbietung im Varieté. So entstehen Kreidezeichnungen von dieser oder jener Tänzerin im gleichen, schnellen Duktus, um nicht eine der choreografisch anspruchsvollen Posen zu verpassen. Wer ist die Tänzerin, die Kirchner wohl in den einschlägigen Etablissements Central-Theater und Victoria-Salon nahe dem Dresdner Altmarkt bewundert? [MvL]

Im November 1909 tritt die Sängerin und Tänzerin Liane d'Eve aus Paris im Victoria-Salon in der Waisenhausstraße in Dresden auf. Kirchner besucht eine Vorstellung. Dabei entsteht die vorliegende Zeichnung. Auffälliges Kennzeichen: ein großkariertes Unter-Kostüm. Am 16. des Monats sendet Kirchner eine bemalte Postkarte, abgestempelt in Dresden/Altstadt am 16. 11.09 (Tuschfeder und farbige Kreiden, 14 x 8,9 cm) mit demselben Motiv an Erich Heckel, der zu diesem Zeitpunkt in Dangast/Varel/Oldenburg an der Nordsee arbeitet. Kirchner schreibt: "Liane d' Eve etoile parisienne. Kolossal raffinierte Ausstattung. Comment cela vas-tu? chez [je] sais wie viel die Maler Pariser sind wie Matisse etc. Gruß D. Ernst". Wie sehr Kirchner beeindruckt war von den Bewegungen der Cancan-Tänzerin zeigt auch eine Radierung, die Kirchner zu Beginn des Jahres 1910 schuf (Schiefler 113, Dube 93).
Prof. Dr. Dr. Gerd Presler



479
Ernst Ludwig Kirchner
Cancan-Tänzerin, 1909.
Farbige Kreide und Bleistift
Schätzung:
€ 20.000
Ergebnis:
€ 25.000

(inklusive Aufgeld)