Auktion: 545 / Evening Sale am 08.12.2023 in München Lot 9

 

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Alexej von Jawlensky
Abstrakter Kopf (Konstruktiver Kopf), 1933.
Öl auf Malpappe
Schätzpreis: € 200.000 - 300.000
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Abstrakter Kopf (Konstruktiver Kopf). 1933.
Öl auf Malpappe.
Links unten monogrammiert und rechts unten datiert. Verso mit der Widmung "Für Frau Dora Ritschl mit Verehrung". Dort zusätzlich signiert und datiert "1934". 42,5 x 32,2 cm (16,7 x 12,6 in).

• Durch die besondere, warme, erdige Farbskala ein außergewöhnlich schönes Beispiel aus der wichtigen Werkserie der "Abstrakten Köpfe".
• Wie bei einem konstruktiven Gemälde setzt Jawlensky seine Komposition aus geometrischen Grundformen und geraden Linien zusammen.
• Auf dem Höhepunkt der "Abstrakten Köpfe" markiert das Werk in seiner maximalen Reduktion auf klare Formen bereits den künstlerischen Aufbruch in die Werkserie der "Meditationen"
.

PROVENIENZ: Sammlung Dorothea "Dora" Ritschl, geb. Nötzel, Wiesbaden (1934 als Geschenk direkt vom Künstler erhalten, verso mit der Widmung des Künstlers sowie dem handschriftl. Vermerk "Eigent. Ritschl").
Wohl Sammlung Otto Ritschl, Wiesbaden (1958 durch Erbschaft von der Vorgenannten).
Sammlung Karlheinz Gabler, Frankfurt a. Main (1959 vom Vorgenannten erworben, Stuttgarter Kunstkabinett, Stuttgart).
Galerie Wilhelm Grosshennig, Düsseldorf (1968 erworben, Lempertz, Köln).
Privatsammlung Nordrhein-Westfalen.
Seitdem in Familienbesitz.

AUSSTELLUNG: Ausstellung deutscher und französischer Meisterwerke des 20. Jahrhunderts. Gemälde, Plastik, Aquarelle, Handzeichnungen, Galerie Wilhelm Grosshennig, Düsseldorf, 10.11.1968-31.1.1969 (m. Abb., S. 77).

LITERATUR: Maria Jawlensky/Lucia Pieroni-Jawlensky/Angelica Jawlensky, Alexej Jawlensky. Catalogue Raisonné of the Oil Paintings, Bd. II: 1914-1933, München 1992, S. 489, WVZ-Nr. 1435 (m. SW-Abb. der Vorder- und Rückseite).

Clemens Weiler, Alexej Jawlensky, Köln 1959, Kat.-Nr. 379 (Titel "Konstruktiver Kopf", m. Abb., S. 254).
Stuttgarter Kunstkabinett Roman Norbert Ketterer, Stuttgart, 34. Auktion, Moderne Kunst, 20./21.11.1959, Los 302 (Titel "Konstruktiver Kopf", m. Abb., Tafel 117, verso mit dem fragment. Etikett sowie handschriftl. Bezeichnungen).
Kunsthaus Lempertz, Köln, 499. Auktion, Kunst des XX. Jahrhunderts, 30.5.1968, Los 354 (m. Abb., Tafel 3).
Galerie Wolfgang Ketterer, München, 3. Auktion, Moderne Kunst, 8.-10.6.1970, Los 624 (m. Farbabb., S. 137).
Maria Jawlensky/Lucia Pieroni-Jawlensky/Angelica Jawlensky, Alexej von Jawlensky. Catalogue Raisonné of the Oil Paintings, Bd. II, London 1992, WVZ-Nr. 1435, S. 489f. (m. SW-Abb., S. 489).

Aufrufzeit: 08.12.2023 - ca. 17.16 h +/- 20 Min.

Das Porträt
Das malerische Werk von Alexej von Jawlensky ist in seinem wesentlichen Teil mit dem Porträt verbunden. Stilistisch zunächst in einem realistischen Nachimpressionismus, dem bald darauf ein von intensiver Farbigkeit geprägter Expressionismus folgt, um dann in die beruhigten Bahnen einer kontemplativen Malerei des Übersinnlich-Vergeistigten zu münden, die vor allem von den Meditationen geprägt ist. Es ist das gleiche Motiv eines abstrakten Kopfes, der in Fläche und Kontur einem Bildschema folgt, das Jawlensky in selektiver Durchdringung des Geistigen zu einer visuellen Vollkommenheit führt. In immer neuen Annäherungen an das hinter dem Porträt stehende Gesicht – das Ikon – hat Jawlensky hier ein einmaliges Werk der Durchdringung des Geistig-Abstrahierten geschaffen, das in der Geschichte der Malerei der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts singulär steht. Die fast religiöse Versenkung, in der sich der ausübende Maler befand, teilt sich dem Betrachter auf eine distanziert-subtile Weise mit, fern erinnernd an die Ikonenmalerei des orthodoxen Ritus, die in dem schematisch-vergeistigten Bildnis eine visuelle Botschaft der Heilsbringung sieht. Doch Jawlensky geht weit darüber hinaus. Schon in der Variation wird sein eigentliches Anliegen der malerischen Bewältigung dieses schwierigen Themas deutlich. Die Meditationen Jawlenskys können so unter verschiedenen Aspekten gesehen und verinnerlicht werden. Einerseits nach ihrem dezidiert malerischen Ausdruck, zum anderen aber auch nach ihrem geistig-religiösen Anspruch, in dem Alexej von Jawlensky die wesentliche Botschaft seiner Werke sah.

Die herausfordernden 1930er Jahre
In dieser für den Künstler sehr schwierigen und entbehrungsreichen Zeit Anfang der 1930er Jahre ist er nicht nur auf die Unterstützung der "Jawlensky-Gesellschaft" angewiesen, welche die Frankfurter Malerin, Sammlerin und Galeristin Hanna Bekker vom Rath, seit 1927 eine enge Freundin, im Jahr 1929 gründet, sondern auch auf die Bemühungen und Verkaufserlöse der ab 1924 vornehmlich in Amerika lebenden Emilie Esther Scheyer, oft Emmy und von Jawlensky aufgrund ihrer pechschwarzen Haare später liebevoll "Galka" (russ.: Dohle) genannt. Bereits 1916 lernt Jawlensky die jüdische Kunsthändlerin und -sammlerin in der Schweiz kennen, wo er nach seiner Ausweisung aus Deutschland mit Beginn des Ersten Weltkrieges einige Zeit im Exil verbringt. Relativ zurückgezogen lebt er nun in seiner Wiesbadener Wohnung. Zu diesem Zeitpunkt leidet der Künstler schon seit mehreren Jahren an immer wieder aufflammender Arthritis, die seine Bewegungsfreiheit immens einschränkt und ihn zeitweise gar ans Bett fesselt. Ab 1933 wird er in Deutschland zudem angesichts der zunehmenden Ausländerfeindlichkeit mit einem Ausstellungsverbot belegt. In den deshalb wirtschaftlich wie gesundheitlich so problematischen 1930er Jahren erweist sich die enge Freundschaft zu Emmy Galka Scheyer als wahrhaftige Rettung in der Not. Jawlensky schreibt ihr 1932, "Ich leide sehr, aber auch ich lebe – ich liege nicht immer. Ich arbeite sitzend auf mein Bett. Das einzige was ich habe – Arbeit. Aber Wille, Kraft, Nerven und Ekstase sind nottwendig. In meinen Zustand ist das sehr schwer zu besitzen. Aber ich habe Wille und ich liebe, ich liebe Kunst über alles. […] Ich spreche mit dem Gott, ich bete ihm, in meinen Arbeiten. […] Ich habe sehr schöne Bilder. Einige sind Kunstwerke. Ausstrallen unglaublich stark ein geheime Leben. Und sind sehr schön." (zit. nach: Ausst.-Kat. Die Blaue Vier, Kunstmuseum Bern/Kunstsammlung NRW, Düsseldorf, 1997/98, S. 77).

Galka Scheyer und "Die Blaue Vier"
Aufgrund ihrer Leidenschaft für die moderne Kunst betätigt sich Galka Scheyer ab 1924 als Agentin für Jawlensky, Lyonel Feininger, Wassily Kandinsky und Paul Klee, die sie als Künstlergruppierung mit dem Namen "Die Blaue Vier" am amerikanischen Kunstmarkt zu etablieren versucht. Sie organisiert Vorträge und Ausstellungen und tatsächlich gelingt es ihr, zwischen 1925 und 1940 insgesamt fast 60 Ölgemälde sowie einige Aquarelle und Lithografien der Künstler zu verkaufen. Mit ihren zarten, den ihr gegebenen Titel widerspiegelnden kühlen Farben dokumentiert die Arbeit als ästhetisch besonders ansprechendes Beispiel der "Abstrakten Köpfe" die bewusste, durch Jawlenskys Krankheit noch beschleunigte Hinwendung zu einer immer konsequenteren Abstraktion, aus der sich in den darauffolgenden Jahren dann die formal noch freieren, stilleren "Meditationen" entwickeln. Galka Scheyer ist begeistert von der Kunst der "Blauen Vier" und insbesondere von Jawlenskys Köpfen schwärmt sie: "Jawlensky hat den menschlichen Kopf als solchen in eine Sprache des abstrakten Lebens transponiert, hat ihn aus seinem Erdendasein herausgehoben, um die Seele und den Geist zu manifestieren. Die neuen Gesetze, die er dabei gefunden hat, sind mathematische. Er hat die Gesetze der anderen Künste in seine Bilder hineingenommen: die Architektur in den Gleichgewichten der Farben, die Musik in den klanglichen Rhythmus der Farben, den Tanz als Linie der Farben, die Skulptur als Form der Farben, die Poesie als Inhalt oder als Wort der Verkündigung der Farben, die Malerei aber als symphonische Zusammenfassung" (zit. nach: Clemens Weiler, Alexej Jawlensky, Köln 1959, S. 106). Die Verbindung Jawlenskys nach Weimar wird durch Emmy Scheyer gefestigt. Neben der Suche nach elementarer bildnerischer Wahrheit, die in dem konstruktiven Aufbau der Arbeiten deutlich wird, ist der Kunst dieser vier Freunde auch eine mystische Grundtendenz gemeinsam. Nicht nur für Kandinsky geht es um den Ausdruck des "großen Geistigen" in der Kunst, auch Klee formuliert einen klaren Gedanken, um die Kunst von der Aufgabe der Nachahmung zu befreien: "Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar."

Vom Porträt zu den "Abstrakten Köpfen"
Die 'abstrakten' Köpfe, die Jawlensky in den zwanziger Jahren aus den Porträts heraus entwickelt, dominieren konstruktive Elemente, die die Grundformen von Kreis, Dreieck und Rechteck variieren. Damit entsprechen Jawlenskys Arbeiten den Gestaltungsprinzipien, die auch den Lehren des Bauhauses zugrunde liegen. Oskar Schlemmers Baureliefs etwa drängen sich auf, so eminent plastisch herausgearbeitet erscheint der Kopf, begünstigt durch eine neue Technik der Malweise: Die Farben sind nicht mehr von zarter Durchsichtigkeit, sie werden vielmehr mit stumpfem Pinsel dicht und deckend aneinandergesetzt, so dass eine kompakte und zugleich reich nuancierte Flächenwirkung entsteht. Nur durch sensibel abschattierte Farbtöne ist die U-Form des Gesichtes angedeutet. Das die Rundung des Kinns wiederholende Kreissegment schimmert wie ein heller Lichtreflex. Links und rechts der Wangen läuft eine zarte helle Farbspur zum unteren Bildrand herab, eine Reminiszenz an die byzantinisch geprägten Heilands-Gesichter der 1920er Jahre. Über der Waagerechten der geschlossenen Augen steigt wie die schmale Sichel des Mondes die rechte Linie der Augenbraue vor dem Dreieck der Stirn auf, während die in schwachem Rot glimmende Kreisform, links unten, seitlich der Nasenlinie, an die hinter dem Horizont versinkende Abendsonne erinnert.

In ihrer Abstraktion gelingt Jawlensky die Visualisierung dessen, was er in der Erfüllung seiner Bildidee anstrebt. Clemens Weiler schreibt dazu: "Mit dem Kopf 'Urform' hat Jawlensky im Jahre 1918 das Gesicht noch stärker stilisiert und gewissermaßen auf eine Formel gebracht, aber keine tote, sondern eine mit Leben erfüllte." (Clemens Weiler, Jawlensky, Köpfe – Gesichte – Meditationen, Hanau 1970, S. 20). Vertrauend auf die einmal gefundene Formel, kommt dem Künstler die Magie der Farbe zuhilfe. Wie die ab 1934 folgenden "Meditationen", sind die "Abstrakten Köpfe" Ausdruck eines tief in der Religion verwurzelten Seins auf der Suche nach der Reinheit des Transzendenten, das über die Qual des Alltäglichen hinausweist. Jawlensky findet zurück zu den Ursprüngen russischer Kunst, den Ikonen, deren jeder Individualität entbehrender Ausdruck seiner Idee vom Urbild entgegenkommt. Die vorliegende Arbeit stellt ein außergewöhnlich schönes Beispiel dieser wichtigen Werkserie dar. [CH/MvL]



 

Aufgeld und Steuern zu Alexej von Jawlensky "Abstrakter Kopf (Konstruktiver Kopf)"
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