Auktion: 535 / Evening Sale mit Sammlung Hermann Gerlinger am 09.12.2022 in München Lot 7

 

7
Ernst Ludwig Kirchner
Akt vor Spiegel, in Tub steigend, 1911.
Schwarze Kreidezeichnung
Schätzung:
€ 15.000
Ergebnis:
€ 32.500

(inklusive Aufgeld)
Akt vor Spiegel, in Tub steigend. 1911.
Schwarze Kreidezeichnung.
Verso mit dem Nachlassstempel des Kunstmuseums Basel (Lugt 1570 b) und der handschriftlichen Registriernummer "B Dre/Bg 171". Auf Velin. 33 x 26,5 cm (12,9 x 10,4 in), blattgroß. [CH].

• Kirchner entwirft eine raffinierte Komposition aus weiblichem Akt, dessen Spiegelbild und der selbst geschnitzten Holzfigur eines sitzenden weiblichen Aktes.
• Bei der Holzfigur handelt es sich um die von Kirchner geschaffene und ebenfalls in dieser Auktion angebotene "Hockende" aus der Sammlung Hermann Gerlinger (siehe Los 6).
• Kirchner und die "Brücke"-Künstler liefern eine neuartige, wegweisende Interpretation des weiblichen Aktes als eigenständiges Bildelement.
• Das Interieur von Kirchners Atelier ist in diesen Jahren nicht nur Lebens- und Arbeitsraum der "Brücke"-Künstler, sondern auch Gegenstand zahlreicher Darstellungen
.

Das vorliegende Werk ist im Ernst Ludwig Kirchner Archiv, Wichtrach/Bern, dokumentiert.

PROVENIENZ: Nachlass des Künstlers (Davos 1938, Kunstmuseum Basel 1946, verso mit dem handschriftlich nummerierten Nachlassstempel).
Stuttgarter Kunstkabinett Roman Norbert Ketterer, Stuttgart (1954).
Galerie Henze & Ketterer, Wichtrach (2001).
Sammlung Hermann Gerlinger, Würzburg (2001 vom Vorgenannten erworben, mit dem Sammlerstempel Lugt 6032).

AUSSTELLUNG: Ernst Ludwig Kirchner zum 120. Geburtstag, Galerie Henze & Ketterer, Wichtrach/Bern 2000, Kat.-Nr. 13.
Kunstmuseum Moritzburg, Halle an der Saale (Dauerleihgabe aus der Sammlung Hermann Gerlinger, 2001 bis 2017).
Buchheim Museum, Bernried (Dauerleihgabe aus der Sammlung Hermann Gerlinger, 2017-2022).

LITERATUR: Ulrich Pfarr, Zwischen Ekstase und Alltag. Zur Rezeption der Lebensreform in der künstlerischen Praxis der "Brücke", in: Die Lebensreform. Entwürfe zur Neugestaltung von Leben und Kunst um 1900, Bd. I, Institut Mathildenhöhe, Darmstadt 2001, S. 251-256 (m. Abb.).
Wolfgang Henze, Die Plastik Ernst Ludwig Kirchners. Monographie mit Werkverzeichnis, Wichtrach/Bern 2002 (m. Abb., Nr. 87).
Hermann Gerlinger, Katja Schneider (Hrsg.), Die Maler der Brücke. Bestandskatalog Sammlung Hermann Gerlinger, Halle (Saale) 2005, S. 318f., SHG-Nr. 718 (m. Abb.).

In dieser Zeichnung von Ernst Ludwig Kirchner aus der Sammlung Hermann Gerlinger ist eine Badende dargestellt, die in einen Bade-Tub steigt. Sie spiegelt sich in einem an die Wand gelehnten Spiegel, vor dem sich eine, wohl ebenfalls von Kirchner geschaffene, bemalte Kommode befindet. Der Spiegel wird von zwei hohen Baumstümpfen flankiert, die als Sockel dienen: Auf dem rechten Sockel steht die Holzfigur "Hockende" von 1910 (Henze 1910/15), auch aus der Sammlung Gerlinger und an anderer Stelle beschrieben. Es handelt sich um eine für das Werk Kirchners typische Innenraum-Darstellung, in der die Bewegung eines weiblichen nackten Körpers in einer Momentaufnahme festgehalten wird, die eine Doppelung im Spiegel erfährt und von allerlei Atelier-Staffage in Figur und Kommode begleitet wird. Mit raschen Strichen wird hier das Wesentliche eingefangen und zu Papier gebracht, ohne Schattierungen und Andeutungen von Plastizität. Es werden die Konturen festgehalten, alles ins Zweidimensionale reduziert, sodass man einen guten Eindruck der Situation erhält, ohne durch unnötige Details abgelenkt zu werden. Nur die beiden Sockel, dunkel gefasst, sind in einer heftigen Zick-Zack-Schraffur dunkel getönt. Wie so oft in Kirchners Werken unterliegt die Darstellung einer Bedeutungs-Perspektive, die den Akt und den Tub übergroß erscheinen lässt, während der Reflex der Badenden im Spiegel gedrungen erscheint. Vor Kirchner zogen sich die Modelle und Musen aus, sie ließen sich von ihm in Zeichnung, Aquarell, Gemälde, Grafik, Fotografie und Plastik darstellen. Hier ist es die Verdoppelung der Badenden neben einer kleinen Skulptur eines hockenden weiblichen Aktes, die die Bewegung des im Spiegel Dargestellten aufnimmt: Die in den Tub schreitende Badende zeigt beide Arme an ihrem Körper entlang hängend; Der Akt im Spiegel erhebt bereits den linken Arm um den Kopf herum und der kleine, plastische Akt auf dem Podest umschlingt mit beiden Armen den leicht geneigten Kopf. Es ergibt sich so ein sich steigernder Bewegungsablauf, vom rein Statuarischen bis hin zur Figura serpentinata.

Alexandra Henze Triebold



7
Ernst Ludwig Kirchner
Akt vor Spiegel, in Tub steigend, 1911.
Schwarze Kreidezeichnung
Schätzung:
€ 15.000
Ergebnis:
€ 32.500

(inklusive Aufgeld)