Auktion: 528 / Klassische Moderne am 11.06.2022 in München Lot 403

 

403
Wilhelm Lehmbruck
Badende, 1913.
Gips
Schätzung:
€ 20.000
Ergebnis:
€ 57.500

(inklusive Aufgeld)
Badende. 1913.
Gips.
Schubert 71 A 5. Höhe: 23,1 cm (9 in).
Fragment der ursprünglich 92 cm hohen Plastik. Lebzeitguss. Gegossen vor 1919. [AM].
• Aus Lehmbrucks wichtiger Pariser Zeit.
• In ihrem Entstehungsjahr 1913 wird ein Exemplar der "Badenden" im Salon d'Automne in Paris ausgestellt.
• 1913 ist Lehmbruck als einziger deutscher Bildhauer auf der legendären Armory Show in New York vertreten.
• Lebzeitguss
.

PROVENIENZ: Leo Nachtlicht, Berlin, seit spätestens 1928 (seit Januar 1930 als Sicherungsübereignung an die Danat-Bank, später Dresdner Bank).
Galerie Ferdinand Möller, Berlin (in Kommission Januar 1932 - Dezember 1933).
Geheimrat Gustav Brecht, Köln (im Dezember 1933 vom Vorgenannten erworben).
Christoph Brecht, Essen (durch Erbschaft vom Vorgenannten).
Seither in Familienbesitz.

Das Werk ist frei von Restitutionsansprüchen. Das Angebot erfolgt in freundlichem Einvernehmen mit den Erben nach Leo Nachtlicht auf Grundlage einer gerechten und fairen Lösung.

AUSSTELLUNG: Ausstellung neuerer deutscher Kunst aus Berliner Privatbesitz, Nationalgalerie Berlin April 1928, Kat.-Nr. 96 (dieses Exemplar).
Galerie Ferdinand Möller, Ausstellung 30 deutsche Künstler, Juli-September 1933, Kat.-Nr. 32 (dieses Exemplar).

LITERATUR: Lynn Rother, Die Dresdner Bank als "marchand-amateur"? Zur Rolle der Banken im Kunstmarkt während des Nationalsozialismus, in: Uwe Fleckner u.a. (Hrsg.), Markt und Macht. Der Kunsthandel im "Dritten Reich", Berlin 2017, S. 67-91, hier S. 77-81 und 85f. (dieses Exemplar).
Lynn Rother, Kunst durch Kredit. Die Berliner Museen und ihre Erwerbungen von der Dresdner Bank 1935, Berlin/Boston 2017, S. 197 Anm. 95, S. 216, 220f. (dieses Exemplar).
Rechnung der Galerie Ferdinand Möller an Geheimrat Gustav Brecht, Köln, vom 15.12.1933 mit Zahlungsbeleg vom 19.12.1933 und Begleitschreiben (Familienbesitz).
Ohne Titel ("Badende" von Wilhelm Lehmbruck), Nachlass Ferdinand Möller, Berlinische Galerie, Werkfotografien, BG-KA-N/F.Möller-F0743 (dieses Exemplar).
Brief August Hoff an Ferdinand Möller, 2.7.1932, Nachlass Ferdinand Möller, Berlinische Galerie, BG-GFM-C,II 1,126-1,152 (dieses Exemplar).
Empfangsbestätigung der Nationalgalerie Berlin für die Ausstellung von 1928, Zentralarchiv der staatlichen Museen zu Berlin, ZA I_NG 719 S. 368 (dieses Exemplar).

„Ein jedes Kunstwerk muß etwas von den ersten Schöpfungstagen haben, von Erdgeruch, man könnte sagen: etwas Animalisches. Alle Kunst ist Maß. Maß gegen Maß, das ist alles. Die Maße, oder bei Figuren die Proportionen, bestimmen den Eindruck, bestimmen die Wirkung, bestimmen den körperlichen Ausdruck, bestimmen sie Linie, die Silhouette und alles.“
Wilhelm Lehmbruck, zit. nach: Paul Westheim, Wilhelm Lehmbruck, Potsdam-Berlin 1919, S. 61.

Die Beschäftigung Lehmbrucks mit der Plastik „Badende“ im Jahr 1913 ist ausführlich. Laut Dietrich Schubert fertigt der Bildhauer mehrere Bleistiftzeichnungen an (Wilhelm Lehmbruck Museum), um sich dem Thema zu nähern. Auch Pinselzeichnungen helfen dem Künstler, das Volumen seiner Idee zu klären (Dietrich Schubert, Die Kunst Lehmbrucks, 1990, S. 194). Der Kunsthistoriker August Hoff, von 1924 bis 1929 Direktor des städtischen Kunstmuseums in Duisburg, entwickelt schon bald ein empathisches Gespür für das Werk des in Duisburg geborenen Bildhauers. Er beschreibt die „Badende“ „als still und mit sich selbst beschäftigt; in sich geschlossen ist die Masse und der Umriß. Ihre Bewegung verhüllt den Leib mehr, als sie ihn preisgibt. Körperlicher ist freilich diese Gestalt als die anderen Werke, von plastisch vollem Wuchs. Das kühne Weglassen der Unterschenkel betont die Bewegung in den Raum nur stärker. Die Melodie der Rückenlinie von edlem einheitlichem Zug findet in der Vorderansicht wieder ihre bewegtere Begleitung; dann bricht sie plötzlich in die Torsobildung ab“ (zit. nach: Wilhelm Lehmbruck. Seine Sendung und sein Werk, Berlin 1936, S. 54f.)
Die „Badende“ wird im Jahr 1913 von zwei weiteren (im Vergleich zu der „Knienden“ und dem „Emporsteigenden“ eher „kleineren“) Skulpturen begleitet: zum einen von dem „Geneigten Frauentorso“ und zum anderen von der „Rückblickenden“, drei Skulpturen also, die von Bewegung und Gegenbewegung gezeichnet sind.
Die Liste der Ausstellungen der „Badenden“ zu Lebzeiten nach der ersten Präsentation 1913 im Pariser Salon d’Automne ist lang und lässt eine Begehrlichkeit für diese Figur vermuten. Nicht zuletzt nimmt Otto Mueller, der die „Badende“ wohl 1914 mit der Ausstellung der Freien Sezession in Berlin wahrnimmt, die Geste der "Badenden" in sein Repertoire auf und zitiert das Werk direkt und unverblümt. Laut dem Werkverzeichnis von Schubert hat Lehmbruck die „Badende“ sechs, vielleicht auch sieben Mal in Gips- oder Zement-Mischungen gießen lassen, Bronzen sind demnach posthum entstanden (Dietrich Schubert, Wilhelm Lehmbruck, Catalogue raisonné der Skulpturen 1898-1918, Worms 2001, S. 278ff.). Unter der Nr. 71 A 5 wird unser Exemplar, oder besser, was davon noch übrig ist, zitiert.
Provenienz
„Wer sich mit Kunstwerken solcher Art umgibt, eben Entstandenes erwirbt […] lebt das lebendigste Leben mit, im status nascendi gleichsam, nimmt an der Erregung und Beglückung teil, welche das Suchen nach der neuen Form gibt […], er legt nicht an […], sondern bezahlt die Erhöhung seines eigenen Daseins.“
Mit diesen hymnischen Worten leitet Ludwig Justi, Direktor der Berliner Nationalgalerie, 1928 den Katalog zur „Ausstellung neuerer deutscher Kunst aus Berliner Privatbesitz“ ein. Viele illustre Sammler haben Leihgaben beigesteuert, darunter Bernhard Koehler und Tilla Durieux, Eduard Freiherr von der Heydt und Hugo Simon. Der renommierte Architekt Leo Nachtlicht stellt seine „Badende“ von Wilhelm Lehmbruck zur Verfügung.
Leo Nachtlichts interessante Kunstsammlung umfasst Werke von Künstlern wie Otto Dix, Lovis Corinth, Oskar Kokoschka, Christian Rohlfs, Paula Modersohn-Becker und Erich Heckel. Der Sammler jedoch gerät durch die Weltwirtschaftskrise sowie durch die zunehmende antisemitische Hetze in eine finanzielle Notlage, die ihn schließlich zu einem Bankenengagement zwingt, das Lynn Rother umfassend untersucht hat: Für einen notwendigen Kredit bei der Danat-Bank muss Nachtlicht als Sicherungsübereignung Anfang 1930 neben zwei Gemälden von Otto Dix – darunter das große Bild „Maler und sein Modell“ - auch die „Badende“ von Lehmbruck einsetzen. Ebenso wie das Dix-Gemälde wird die Skulptur dabei auf beachtliche 6000 Reichsmark geschätzt.
Die Kunstwerke verbleiben in Nachtlichts Besitz und werden erst nach dessen Zahlungsunfähigkeit im Herbst 1931 in den bankeigenen Tresor verbracht. Von dort gelangt die „Badende“ im Januar 1932 kommissionsweise zum Berliner Kunsthändler Ferdinand Möller. Einfach ist ein Verkauf in diesen Jahren der Krise aber beileibe nicht, auch wenn sogar August Hoff sich 1932 bei Möller nach dem „äußersten Preis des sehr schönen Gusses der ‚Badenden‘ von Lehmbruck“ erkundigt. Auf Hoffs Expertise bezieht sich Möller dann auch 1933, wenn er das Werk als „eine ganz hervorragende Arbeit aus der Pariser Zeit des Künstlers“ lobt.
Dies tut er in einem Schreiben an den Kölner Geheimrat Gustav Brecht, Maschinenbauingenieur und Wirtschaftsführer unter anderem als Vorstandsvorsitzender der Rheinischen Braunkohle AG. Brecht entdeckt das Werk vielleicht schon im Sommer 1933 auf Möllers Ausstellung „30 deutsche Künstler“. Im Dezember desselben Jahres entschließt er sich, die Plastik gemeinsam mit Noldes „Rittersporn und Silberpappeln“ (Evening Sale Los 80) zu erwerben. Denn für den jüdischen Sammler Leo Nachtlicht gibt es nach 1933 keine Möglichkeit mehr, die als Sicherheiten gegebenen Kunstwerke wieder auszulösen: Dem renommierten Architekten wird bereits zum 31. Januar 1933 von den Nationalsozialisten die Arbeitserlaubnis entzogen; als Vorstand des Bundes Deutscher Architekten wird er abgesetzt.
Die „Badende“ gelangt also im Dezember 1933 in das Eigentum von Gustav Brecht. Dessen Wohnhaus im noblen Köln-Marienburg wird jedoch rund ein Jahrzehnt später bei einem Bombenangriff zerstört. Von der „Badenden“ kann nur der Kopf aus dem Bauschutt gerettet werden. Ein Schicksal, das Assoziationen weckt an den Berliner Skulpturenfund, als im Jahr 2010 bei einer archäologischen Grabung im Vorfeld von U-Bahn-Arbeiten vor dem Roten Rathaus Skulpturen der klassischen Moderne ans Licht kommen. Es stellt sich heraus, dass es sich bei diesen Stücken um von den Nationalsozialisten als „entartete Kunst“ aus deutschen Museen entfernte und seitdem vermisste Kunstwerke handelt – eine kleine Sensation.
Als Fragment bleibt Lehmbrucks Meisterwerk in der Brecht’schen Familiensammlung - bis zum heutigen Tage. Nun kann das Kunstwerk, das auch ein bemerkenswertes Zeugnis deutscher Geschichte ist, in bestem Einvernehmen mit den Erben nach Leo Nachtlicht angeboten werden.
[MvL / AT]



403
Wilhelm Lehmbruck
Badende, 1913.
Gips
Schätzung:
€ 20.000
Ergebnis:
€ 57.500

(inklusive Aufgeld)