Auktion: 530 / Evening Sale / Sammlung Hermann Gerlinger am 10.06.2022 in München Lot 64

 

64
Katharina Grosse
Ohne Titel, 2016.
Acryl auf Leinwand
Schätzung:
€ 180.000
Ergebnis:
€ 400.000

(inklusive Aufgeld)
Ohne Titel. 2016.
Acryl auf Leinwand.
Verso signiert, datiert und mit der Werknummer "2016/1037" sowie mit einem Richtungspfeil und den Maßangaben bezeichnet. 300 x 200 cm (118,1 x 78,7 in).

• Als großformatige Arbeit in der so charakteristischen, ausgereiften Sprühtechnik steht das Gemälde stellvertretend für Katharina Grosses monumentale Rauminstallationen, mit denen sie auch international große Erfolge feiert.
• Im Entstehungsjahr unserer Arbeit zeigt Grosse zahlreiche Werke in einer umfassenden Einzelausstellung im Museum Frieder Burda in Baden-Baden und verwandelt anlässlich der 2016 vom MoMA PS1 veranstalteten Ausstellungsserie "Rockaway!" ein Gebäude in New York in ein monumentales Kunstwerk.
• Im darauffolgenden Jahr gelingt ihr mit ihrer ersten Ausstellung in der Gagosian Gallery in New York der endgültige internationale Durchbruch
.

Wir danken dem Studio Katharina Grosse, Berlin, für die freundliche Auskunft.

PROVENIENZ:
Gagosian Gallery, New York (verso auf dem Keilrahmen mit dem Galerieetikett).
Privatsammlung Frankreich (vom Vorgenannten erworben).

"I think color is of course the centre, the core of my thinking, my acting, my main material. It has also been the guideline throughout all the development that I have made as an artist."
Katharina Grosse in einem Interview mit Marc-Christoph Wagner für das Louisiana Museum in Humlebæk im August 2020.

"Als Kind habe ich immer ein Spiel mit mir gespielt: Ich musste morgens, bevor ich aufstand, mit einem unsichtbaren Pinsel alle Schatten an der Wand, auf der Fensterbank oder der Lampe wegmalen. Ich war wie besessen davon. Die Welt zu betrachten ist für mich schon immer damit verbunden gewesen, gleichzeitig etwas in ihr, mit ihr oder auf ihr zu tun. Malerei ermöglicht die Gleichzeitigkeit von Imaginieren und Handeln in ungewöhnlicher Weise, weil es keinen Transmitter gibt zwischen mir und meinen Werkzeugen." Diese Erinnerung erzählt die Künstlerin in einem von Larissa Kikol moderierten Gespräch zwischen Hans Ulrich Obrist und Katharina Grosse (zit. nach: Kunstforum, Bd. 268, S. 60).

Katharina Grosse wird vor allem mit ihren raumübergreifenden Werken, die Wand und Einrichtung, Innen- und Außenflächen oder dreidimensionale Körper bedecken, in Verbindung gebracht. Es sei hier nur an die Ausstellung "Katharina Grosse. It Wasn’t Us" erinnert, bei der die Künstlerin die historische Halle und den Außenbereich des Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin in ein expansives Bild verwandelt hat. Mit diesen raumübergreifenden Arbeiten hat Katharina Grosse auf jeden Fall den konventionellen Bildraum verlassen, indem sie das Environment in die farbige Gestaltung miteinbezieht. Damit ermöglicht sie eine völlig neue Wahrnehmung des Raumes. Der Überzug mit Farbe hebt die Welt in eine andere Sphäre und befreit sie von der Wirklichkeit. Ihr "Pinsel", mit dem sie die Wirklichkeit übermalt, ist dabei die Farbsprühpistole. Bemerkenswert ist auch, das Katharina Grosse mit Präsentationen dieser Art vergängliche Werke entstehen lässt. Diese Malerei existiert nur für die Dauer der jeweiligen Ausstellung. Der entstandene Imaginationsraum ist also im großen Zeitfenster der Kunstgeschichte nur ein kurzer Traum. Dass in jeder Vergänglichkeit auch ein neuer Aufbruch steckt, zeigt Katharina Grosses Beitrag zu dem Rockaway Beach revitalization project des MoMA PS1. 2012 zerstörte der Hurrikan Sandy ein ehemaliges Militärgebäude, die wechselnden Wasserstände an der Atlantikküste von Queens taten ihr Übriges. Grosse verwandelt diese Ruine mit ihrer Sprühpistole in eine weithin leuchtende Landmarke. Ihr grundlegender Gedanke dabei ist, dass diese Ruine trotz ihrer Verwüstung zeigt, was wir brauchen, nämlich eine Grundstruktur, die uns Schutz bietet. Dies hat die Künstlerin weithin sichtbar deutlich gemacht und damit ein Zeichen der Hoffnung gesetzt.

Immer wieder wird vom Ausgriff der Malerei Katharina Grosses auf den Raum gesprochen. Der Anspruch, den Katharina Grosse an die Leinwand stellt, ist aber nicht minder interessant. Die Künstlerin arbeitet bis etwa 1998 mit Pinsel und breiten Bürsten, auch bei den frühen Werken steht die Überlagerung von Farben im Fokus. Die verwendete Technik ist heute im großen Raum, wie auf der in Relation kleinen Leinwand, dieselbe: Sie sprüht nun, ihr "Pinsel" ist die Farbsprühpistole. Im zweidimensionalen Bild kommen auch Schablonen zum Einsatz, mit denen Formen begrenzt werden, also genau das Gegenteil der übergreifenden Raummalerei. Es entstehen in feinem Nebel übereinandergesetzte Farbbereiche, die sich bisweilen zu kleinen Farbinseln oder Farbrinnsalen vereinen, oder zu neuen Farben vereinen. Es entsteht ein Imaginationsraum, der vielfältige Möglichkeiten eröffnet. Gerade die Indifferenziertheit der Flächen trägt dazu bei. Bei den Gemälden ist es nicht das Ziel, den vorgegebenen Bildraum, also das durch die Leinwand vorgegebene Format, zu erweitern. Vielmehr steht der Akt des Malens im Vordergrund für Katharina Grosse. Sie sieht die Malerei als prozesshafte Praxis, durchdrungen von Flow und Widerstand, im mentalen wie auch im körperlichen Bezug. Auf den prozesshaft entwickelten Leinwänden entstehen Farblandschaften, die zu vielfältigen Assoziationen einladen. Im Tafelbild ist diese Assoziation noch freier als bei den an Örtlichkeiten gebundenen monumentalen Werken.

Auch wenn die Künstlerin das vielleicht nicht intendiert hat, mag in unserem Bild ein Engelstorso als Assoziation zugelassen sein. Es ist im Gegensatz zu vielen anderen Gemälden Katharina Grosses von luftiger Leichtigkeit und frei von Aggression. Hier hat sie – um an die Kindheits-Erinnerung Katharina Grosses anzuknüpfen – mit ihrem "sprühenden Pinsel" ein großartiges, leichtes und beflügeltes Bild über alle Schatten gemalt. [EH]



64
Katharina Grosse
Ohne Titel, 2016.
Acryl auf Leinwand
Schätzung:
€ 180.000
Ergebnis:
€ 400.000

(inklusive Aufgeld)