Auktion: 539 / Modern Art Day Sale am 10.06.2023 in München Lot 300

 

300
Lesser Ury
Der blaue Berg, Ca. 1900/10.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 25.000
Ergebnis:
€ 53.340

(inklusive Aufgeld)
Der blaue Berg. Ca. 1900/10.
Öl auf Leinwand.
Verso auf der Leinwand mit der handschriftlichen Nachlassnummer "487". 79 x 97 cm (31,1 x 38,1 in).
[EH].

• Intensive Farbstimmung in für Ury ungewöhnlich großem Format.
• Ury summiert seine Eindrücke zu einem Landschaftseindruck voll überwältigender Kraft.
• Lesser Ury gehört neben Max Liebermann und Lovis Corinth zu den Protagonisten des deutschen Impressionismus.
• Ein Werk mit spannender Herkunftsgeschichte
.

Mit einem Gutachten von Dr. Sibylle Groß, Berlin, vom 31.Mai 2023.
Wir danken Anna B. Rubin, HCPO New York, für die freundliche wissenschaftliche Beratung.

PROVENIENZ: Nachlass des Künstlers (1931, Nachlassnummer 487, verso mit dem Etikett).
"Meisener", o. O. (1932 aus vorgenanntem Nachlass erworben laut Protokollkatalog des Cassirer-Archivs, möglicherweise Alias für den Nachlass Lesser Ury).
Nachlass des Künstlers (bis 31.1.1933).
Sophie Bieber, Berlin (durch Erbschaft von Lesser Ury, Zuteilung aus dem Nachlass am 31.1.1933).
Wohl Erich Bieber, Berlin/Eichwalde (1935 durch Erbschaft von der Vorgenannten).
Privatsammlung Schweiz (bis 2004).
Privatsammlung Berlin.
Privatsammlung Brandenburg

Das Werk ist frei von Restitutionsansprüchen. Das Angebot erfolgt mit freundlichem Einverständnis der Erben von Sophie Bieber.

LITERATUR: Inventarliste des Nachlasses Lesser Ury: Nr 487: Waldweg, Öl, 78 x 96 cm. SMB-ZA, Berlin, I NG 858, fol. 377.
Der künstlerische Nachlaß von Lesser Ury. Ausstellung und Versteigerung, Paul Cassirer, Berlin, 13.-15. und 21.10.1932, Versteigerung 21.10.1932, Auktionsleitung Paul Cassirer, Kat.-Nr. 64.
Handschriftlich annotiertes Protokollexemplar des vorgenannten Auktionskatalogs, 21.10.1932, Paul Cassirer Archiv & Walter Feilchenfeldt Archiv, Zürich (https://doi.org/10.11588/diglit.48864#0043).
Aufstellung über die zugeteilten Pastelle und aus dem Nachlass Lesser Urys, 31.1.1933, Privatbesitz New York (Nachlass Kurt Ury).
Villa Grisebach Auktionen, Berlin, Auktion 118, 12.6.2004, Nr. 142.

Eine ganz besondere Stimmung geht von diesem außergewöhnlichen Landschaftsgemälde aus, das vielleicht während einer Italienreise des Künstlers entsteht. Das rötlich-golden schimmernde Licht der aufgehenden Sonne, die ins tiefe Blau des Gegenlichts getauchte Bergkuppe, die braun-grünliche Wiese mit den zart hingetupften Blüten vereinen sich zu einer fast schon abstrakt anmutenden Flächenkomposition, die gemessen an ihrer Entstehungszeit ganz außerordentlich modern anmutet. Durchschnitten von einem menschenleeren Weg und – ein bekannter Topos der Landschaftsmalerei – fast schon menschlich anmutenden Baumgestalten, atmet diese spätsommerlich-herbstliche Stimmungslandschaft romantische Melancholie, die sich mit der stillen Hoffnung eines anbrechenden Tages verwebt.
Das außergewöhnliche Gemälde mit der ebenso sensiblen wie bedeutungsschweren Lichtstimmung verfügt über eine nicht minder außergewöhnliche Herkunftsgeschichte. Beim plötzlichen Tod des Künstlers im Jahr 1931 befindet sich das Werk in seinem Nachlass. Der wertvolle Bilderbestand wird aus der Atelierwohnung zunächst in die Berliner Nationalgalerie verbracht, und einige besonders wertvolle Arbeiten – 129 Gemälde sowie eine größere Anzahl an Papierarbeiten – werden 1932 in der renommierten Galerie Paul Cassirer ausgestellt und anschließend zur Versteigerung angeboten. "Der blauer Berg" erhält die Losnummer 64. Ein Käufer "Meisener" ist hier, mit einem Untergebot, im Auktionsprotokoll notiert. Jedoch: Er bleibt ein Phantom. Ein Herr "Meisener" kann weder andernorts im Nachlass der Kunsthandlung Cassirer noch in anderen einschlägigen Überlieferungen nachgewiesen werden. Die Vermutung liegt nahe, dass der Verkauf nie zustande kam, es sich vielleicht sogar nur um ein Alias für die Erbengemeinschaft von Lesser Ury handelt. Jedenfalls befindet sich unser Gemälde am 31. Januar 1933 wieder in deren Besitz. Ein Dokument, das im Kontext der Verteilung des Nachlasses auf die große Erbengemeinschaft angefertigt wurde, bezeugt nun die Übergabe des Gemäldes mit der Nachlassnummer 487 an Sophie Bieber.
Die Witwe Sophie Bieber, eine Cousine des Künstlers und Teil der großen Erbengemeinschaft, lebt zu dieser Zeit gemeinsam mit ihrem einzigen Sohn Erich und dessen Ehefrau in einer großen Wohnung in Berlin-Kreuzberg. Die nationalsozialistische Verfolgung jedoch verändert das Leben der jüdischen Familie. 1934 verliert Erich aufgrund seiner jüdischen Herkunft seine Anstellung, und 1934 sowie 1935 trennt sich Sophie durch Auktionsverkäufe von mehreren Werken Lesser Urys, bevor sie sich im Herbst 1935 das Leben nimmt. Erich überlebt die NS-Zeit mit Glück, geschützt durch die Ehe mit der Christin Clara. Wann und unter welchen Umständen die Familie Bieber sich von Lesser Urys Gemälde "Der blaue Berg" trennt und auf welchen Wegen das tiefsinnige Landschaftsbild in eine schweizerische Privatsammlung gelangt, kann heute nicht mehr geklärt werden.
Wir freuen uns, dieses außergewöhnliche Gemälde heute im besten Einverständnis mit den Erben von Sophie und Erich Bieber und frei von Restitutionsansprüchen anbieten zu können. [AT]



300
Lesser Ury
Der blaue Berg, Ca. 1900/10.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 25.000
Ergebnis:
€ 53.340

(inklusive Aufgeld)