Auktion: 540 / Evening Sale am 09.06.2023 in München Lot 53

 

53
Hermann Nitsch
Ohne Titel, 1992.
Mischtechnik mit Malhemd (über eine Holzlatte g...
Schätzung:
€ 70.000
Ergebnis:
€ 74.803

(inklusive Aufgeld)
Ohne Titel. 1992.
Mischtechnik mit Malhemd (über eine Holzlatte gehängt) auf grundierter Jute.
Verso auf der Jute signiert, datiert und bezeichnet "6". 200 x 300 cm (78,7 x 118,1 in).

• Vielschichtiger Farbrausch des Mitbegründers der österreichischen Aktionskunst.
• Ab 1989 entstehen seine ersten vielfarbigen "Schüttbilder", oft in den liturgischen Farben Grün, Rot, Violett, Weiß und Schwarz.
• Das während der Aktion getragene Malhemd wird Teil des Kunstwerks und verweist eindrucksvoll auf den Entstehungsprozess.
• Die Albertina in Wien zeigte 2019 mit der Ausstellung "Nitsch. Räume aus Farbe" die gesamte Farbpalette seiner Aktionsmalerei.
• Dieses Jahr ehrt die Pace Gallery in New York den im letzten Jahr verstorbenen Künstler mit einer umfangreichen Ausstellung seiner Werke
.

Mit einer vom Künstler signierten Fotografie des Werks (mit Etikett der "Galleria d'arte Catellani").

PROVENIENZ: Galleria d'arte Catellani, Modena.
Firmensammlung Frankreich.

"das hemd wird oft als höchster schmuck und trophäe auf ein bild gehängt, um dessen farbgefüge zu bereichern, es gibt bilder, die brauchen kein hemd, andere verlangen danach"
Hermann Nitsch, Das Malhemd, 1991, zit. nach: Dietmar Haubenhofer, Hermann Nitsch. Das Konzept des Orgien Mysterien Theaters. Malaktionen, Prinzendorf 2013, S. 122.

Ab Mitte der 1950er Jahre entwickelt der österreichische Künstler Hermann Nitsch eine neue Kunstform, die bestehend aus Musik, Literatur und Kunst zu einem alle Sinne ansprechenden Gesamtkunstwerk verschmelzen soll. Als Teildisziplin seines "Orgien Mysterien Theaters" ist die Malerei dabei nicht nur Ausgangspunkt, sondern auch Endresultat zahlreicher Aktionen und fest im Schaffen des Künstlers verankert. Bis Ende der 1980er Jahre ist die Farbe Rot stets vorherrschend. Sie steht für Leben und Tod gleichzeitig und ist bis heute untrennbar mit Hermann Nitsch verknüpft. Nur selten kommen ab Mitte der 1980er Jahre neue Farbgruppen zum Einsatz, wie Schwarz oder Violett, die innerhalb einer Aktion zunächst nicht miteinander vermischt werden. Ab 1989 entstehen schließlich die ersten vielfarbigen "Schüttbilder", die sich aus unterschiedlichen Schichten zusammensetzen und wiederholt die liturgischen Farben Grün, Rot, Violett, Weiß und Schwarz beinhalten. Die hier angebotene Arbeit von 1992 lässt sich dieser Werkgruppe zuordnen. Deutlich ist zu erkennen, dass die Farben in aufeinander folgenden Schichten aufgetragen wurden. Zunächst das dünnflüssigere Blau, anschließend die pastosen grünen und roten Farbschichten. Doch nicht nur die Farben, auch die Techniken des Auftrags werden sichtbar vielfältiger, denn die Farbe wird nicht mehr nur geschüttet, sondern auch mit den Händen verrieben oder rinnt in dicken Schichten die Leinwand hinab. Eine Ausstellung in der Albertina in Wien im Jahr 2019 hat die große Bandbreite von Nitschs Malerei erst kürzlich eindrucksvoll unter Beweis gestellt. In einem Beitrag zur Ausstellung beschreibt Hermann Nitsch die Farbe als "ein gewaltiges Phänomen". Seine Aktionsmalerei ist Ausdruck dieser lebenslangen Begeisterung für die Materie und die Werke bleibende Zeugnisse seiner mittlerweile legendären und vielfach dokumentierten Malaktionen.

Neben der Farbe kommt auch dem Malhemd eine ganz besondere Rolle zu. 1991 schreibt Hermann Nitsch: "[..] das hemd wird oft als höchster schmuck und trophäe auf ein bild gehängt, um dessen farbgefüge zu bereichern, es gibt bilder, die brauchen kein hemd, andere verlangen danach" (Hermann Nitsch, Das Malhemd, 1991, zit. nach: Dietmar Haubenhofer, Hermann Nitsch. Das Konzept des Orgien Mysterien Theaters. Malaktionen, Prinzendorf 2013, S. 122). Dem hier in der Mitte der Leinwand angebrachten Exemplar sind die Spuren des sehr körperlichen, alle Sinne ansprechenden Entstehungsprozesses deutlich anzusehen. Durch die vertikale grüne Farbspur und die roten Akzente wird es zusätzlich betont und ruft dabei unweigerlich Assoziationen zu Kreuzigungs-Darstellungen hervor. Die Bezugnahme auf Religionen, philosophische Weltanschauungen sowie jahrtausendealte mystische Kulte ist charakteristisch für Hermann Nitschs Gesamtkunstwerk und tritt in unterschiedlichen Handlungen, Relikten und Assoziationsebenen immer wieder von neuem zutage. Nicht immer stieß Nitschs Kunstverständnis in der Öffentlichkeit auf Zustimmung, insbesondere in der Anfangszeit. Über die Jahrzehnte bis zu seinem Tod im Jahr 2022 hat sich der Blick auf sein Schaffen allerdings stetig verändert. Insbesondere seine frühen Werke sind heute als wegweisender Beitrag zur Kunst des 20. Jahrhunderts anerkannt und üben in ihrer Gesamtheit nach wie vor eine große Faszination auf sein Publikum aus. [AR]



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Hermann Nitsch
Ohne Titel, 1992.
Mischtechnik mit Malhemd (über eine Holzlatte g...
Schätzung:
€ 70.000
Ergebnis:
€ 74.803

(inklusive Aufgeld)