Auktion: 539 / Modern Art Day Sale am 10.06.2023 in München Lot 346

 

346
Georg Kolbe
Sitzende, 1928/29.
Bronze mit goldbrauner Patina
Schätzung:
€ 30.000
Ergebnis:
€ 69.850

(inklusive Aufgeld)
Sitzende. 1928/29.
Bronze mit goldbrauner Patina.
Auf der Standfläche mit dem Monogramm und dem Gießerstempel "H. Noack Berlin Friedenau". Einer von 9 zwischen 1928 und 1929 ausgeführten Güssen. Ein weiterer Guss wurde 1934 ausgeführt. Höhe: ca. 25,5 cm (10 in).
Gegossen von der Kunstgießerei Hermann Noack, Berlin-Friedenau. [JS].
• In der "Sitzenden" erreicht Kolbe ein Jahr nach dem Tod seiner Frau, der ihn in eine schwere Lebenskrise stürzt, seine ausgewogenste Darstellung der kraftvoll geschlossenen Form.
• Sehr selten. Einer von nur 10 bekannten Lebzeitgüssen. Postume Güsse sind nicht bekannt.
• Bisher wurden erst 3 weitere Exemplare auf dem internationalen Auktionsmarkt angeboten (Quelle: www.artprice.com).
• Seit Entstehung in der Sammlung des Frankfurter Kunsthistorikers Dr. Oswald Goetz (1928–1938 Kurator am Städel Museum) und seither in Familienbesitz
.

Mit einem Gutachten von Dr. Ursel Berger, Berlin, vom 20.4.2023.

PROVENIENZ: Sammlung Dr. Oswald Goetz, Frankfurt a. Main (direkt vom Künstler erworben, seither in Familienbesitz).

Waren die Arbeiten Georg Kolbes noch bis zu Beginn der 1920er Jahre von einer raumgreifenden Gestik erfüllt, so ist in unserer 1928 entstandenen "Sitzenden" eine Hinwendung zu einer Geschlossenheit zu erkennen, die in der Folge im plastischen Werk von Georg Kolbe eine bedeutende Rolle spielen sollte. Trotz der Verschränkung der Gliedmaßen ist die Wirkung dieser Bronze ganz auf eine innere Konzentration der Körperlichkeit konzipiert. Die Harmonie aller Teile im Ganzen verhilft zu einem kontemplativen Ausdruck, zu einer Darstellung des Rückzugs in die eigene Innerlichkeit, der durch den leicht nach unten geneigten Kopf eine besondere Geschlossenheit erhält. Bereits in seiner in einer großen Auflage gegossenen "Sitzenden" von 1926 hat Kolbe mit dem auffälligen Bewegungsmotiv der gegeneinander verschränkten Knie experimentiert und dieses in der vorliegenden Bronze zu einer stärkeren Innerlichkeit weiterentwickelt. Ab 1926 beginnt Kolbe sich verstärkt für die bildhauerische Umsetzung exzentrischer Bewegungsmotive zu interessieren, die er durch die Tanzdarbietungen von Josephine Baker und Gret Palucca kennengelernt hatte. Letztere saß dem Künstler auch Modell. Ein Jahr nach dem überraschenden Tod seiner Frau Benjamine mit erst 45 Jahren, der den Künstler in eine tiefe Lebenkrise stürzt, hat Kolbe unsere "Sitzende" geschaffen, die neben seiner Begeisterung für den zeitgenösssischen Ausdruckstanz zugleich seiner kontemplativen Verfassung Ausdruck verleiht. Der Ausdruck der "Sitzenden" ist aber eben nicht nur kontemplativ, sondern auch gleichermaßen kraftvoll und so zeugt sie geradezu sinnbildhaft von Kolbes wieder erwachtem künstlerischen Schaffensdrang.
Es überrascht also nicht, dass diese herausragende Bronze aus der Sammlung des Frankfurter Kunsthistorikers Dr. Oswald Goetz stammt, der von 1928 bis zu seiner Entlassung aufgrund "nicht arischer Abstammung" im Jahr 1938 Kurator am Städel Museum in Frankfurt unter dem aufgeschlossenen, die nationale und internationale Moderne fördernden Direktor Georg Swarzenski war. Kolbe hat bereits 1915 einen Porträtkopf Swarzenskis geschaffen und so wird der junge Goetz Kolbes "Sitzende" aller Wahrscheinlichkeit nach in seinen Städel-Jahren unter Swarzenski direkt vom Künstler erworben haben. Dieser direkte Übergang von Kolbe an Goetz ist auch durch die historischen Akten des Kolbe-Museum belegt, wo "Dr. Goetz" als Provenienz für einen Guss der Sitzenden verzeichnet ist. Nach seiner Entlassung 1938 flüchtete Goetz schließlich in die USA, wo er aufgrund seiner großen kunsthistorischen Kennerschaft zunächst von 1940 bis 1950 Kurator am Art Institute Chicago und ab 1951 Leiter der Gemäldeabteilung bei Parke-Bernet, New York, heute Sotheby's, war. Kolbes "Sitzende" musste Goetz im Dezember 1938 zusammen mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern in Frankfurt zurücklassen. Erst 1946 konnte Goetz seine in Deutschland zurückgebliebene Familie wiedersehen. Kolbes "Sitzende" ist bis heute in Familienbesitz geblieben. [JS]



346
Georg Kolbe
Sitzende, 1928/29.
Bronze mit goldbrauner Patina
Schätzung:
€ 30.000
Ergebnis:
€ 69.850

(inklusive Aufgeld)