Auktion: 560 / Evening Sale am 06.12.2024 in München Lot 19

 

19
Karl Schmidt-Rottluff
Fischer auf der Düne, 1921.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 400.000
Ergebnis:
€ 635.000

(inklusive Aufgeld)
Fischer auf der Düne. 1921.
Öl auf Leinwand.
Rechts unten signiert. Verso auf dem Keilrahmen signiert, betitelt und mit der Werknummer "213" bezeichnet.Verso auf der partiell übermalten Leinwand nochmals mit der Werknummer bezeichnet. 87,5 x 100,5 cm (34,4 x 39,5 in). [CH].


• Expressionismus par excellence: leuchtend rote Figuren vor tiefblauem Himmel und strahlend gelber Sonnenreflektion.
• Jershöft, Ort der Inspiration: Fasziniert vom dortigen einfachen Leben, verbringt Schmidt-Rottluff ab 1920 die Sommermonate häufig an der Ostsee.
• In der Betrachtung von Mensch und Natur findet der Künstler zu einem ganz neuen Vertrauen in die Farbe.
• Gemälde des Künstlers von dieser herausragenden Qualität und Farbigkeit sind auf dem Auktionsmarkt von größter Seltenheit.
• Seit 65 Jahren Teil der herausragenden Sammlung Berthold und Else Beitz, Essen
.

PROVENIENZ: Sammlung Ferdinand Möller, Berlin (wohl 1922 direkt vom Künstler erworben).
Detroit Institute of Arts, Detroit/Michigan (im März 1938 als Leihgabe aus dem Eigentum des Vorgenannten in Verwahrung genommen, im Dezember 1940 Beschlagnahme als "Feindvermögen" durch den amerikanischen Staat).
US-amerikanisches Staatseigentum (1950-1957, Eigentumsübernahme der o. g. Beschlagnahme am 30.10.1950 durch "Vesting Order 15411" des Office of Alien Property beim Department of Justice).
Maria Möller-Garny, Köln (1957 durch "Rückkauf" vom amerikanischen Staat).
Angelika Fessler-Möller, Köln (von der Vorgenannten).
Sammlung Berthold und Else Beitz, Essen (1959 durch Vermittlung der Galerie Grosshennig, Düsseldorf, von Vorgenannter erworben).
Seitdem in Familienbesitz.

AUSSTELLUNG: Neue Kunst Hans Goltz, München (verso auf dem Keilrahmen mit einem fragmentarischen Etikett).
Wanderausstellung Schmidt-Rottluff, Galerie Möller Berlin, Museum Königsberg, Museum Danzig, 1928/29 (ohne Katalog).
Kunstwerke aus drei Jahrtausenden gesammelt im Ruhrgebiet, Kunsthalle Recklingshausen, 16.5.-16.7.1963, Kat.-Nr. 212 (m. Abb.).
Pommersches Landesmuseum, Greifswald (Dauerleihgabe, 2015-2024).
Zwei Männer – ein Meer. Pechstein und Schmidt-Rottluff an der Ostsee, Pommersches Landesmuseum, Greifswald, 29.3.-28.6.2015, Kat.Nr. 9 (hier 1920 datiert, m. Abb., S. 81).

LITERATUR: Will Grohmann, Karl Schmidt-Rottluff, Stuttgart 1956, S. 266 (m. SW-Abb.) u. S. 292.
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Galerie Wilhelm Grosshennig (Hrsg.), 10 Jahre Kunsthandel in Düsseldorf 1951-1961, Düsseldorf 1961, S. (m. Abb., m. d. abweichenden Datierung "1920").
Eberhard Roters, Galerie Ferdinand Möller: die Geschichte einer Galerie für Moderne Kunst in Deutschland 1917-1956, Berlin 1984, S. 156 u. 226.
Katrin Engelhardt, Ferdinand Möller und seine Galerie. Ein Kunsthändler in Zeiten historischer Umbrüche, Diss. Hamburg 2013, https://ediss.sub.uni-hamburg.de/bitstream/ediss/5203/1/Dissertation.pdf, S. 122, Anm. 337.

ARCHIVALIEN (in Auswahl):
Karteikarte Kunstbestand Galerie Ferdinand Möller ("Fischer auf der Düne, Öl auf Leinwand" von Karl Schmidt-Rottluff), in: Karteikarten Kästen, Berlinische Galerie Berlin, Nachlass Ferdinand Möller, BG-KA-N/F.Möller-KK.
Geschäftliche Korrespondenz zwischen der Galerie Ferdinand Möller und den Kunstsammlungen der Freien Stadt Danzig, Berlinische Galerie Berlin, Nachlass Ferdinand Möller, BG-GFM-C, II 1, 587f.
Geschäftliche Korrespondenz zwischen der Galerie Ferdinand Möller und Dr. Wilhelm Reinhold Valentiner, Direktor des Detroit Institute of Arts, Detroit (USA), Berlinische Galerie Berlin, Nachlass Ferdinand Möller, BG-GFM-C, II 1,115 (u.a.).
Zollrechnung und Zollerklärung zur Einfuhr von 18 Ölgemälden der Galerie Ferdinand Möller an das Detroit Institut of Arts, 1938, Berlinische Galerie Berlin, Nachlass Ferdinand Möller, BG-KA-N/F.Möller-66-M66,18-23.
Department of Justice, Office of Alien Property, Washington D.C. und andere: Kaufvertrag zwischen dem Amt für ausländisches Eigentum des US-amerik. Justizministerium mit Maria Möller-Garny bezüglich des Rückerwerbs von 19 eingelagerten Gemälden beim Detroit Institute of Arts, Berlinische Galerie Berlin, Nachlass Ferdinand Möller, BG-KA-N/F.Möller-68-M68,88-89.

"Dies unbezeichenbare Blau der Luft ist schon eine große Erquickung und die klaren, bestimmt gegeneinander abgesetzten Farben – vielleicht sind die Farben hier nicht so schwer [..] – aber sie sind ebenso stählern und ohne Zweideutigkeit."
Karl Schmidt-Rottluff in einem Brief an Ernst Beyersdorff vom 22.6.1922.

"Nach dem Ersten Weltkrieg in den frühen 1920er Jahren [..] geht Schmidt-Rottluff einen Schritt weiter und lässt die Figuren [..] durch rhythmisierte Formen und über die Konturen hinausgehende Farbflächen mit der Landschaft untrennbar auf einer Ebene verschmelzen. So kommt er zu einem äußerst dichten Farbteppich, der belebt wird durch die Beweglichkeit der [..] Figuren, zackige Umrisse sowie die hier und dort aufleuchtenden, im Bild geschickt ineinander verwebenden Komplementär-Kontraste."
Roman Zieglgänsberger, Kustos für Klassische Moderne, Museum Wiesbaden, zit. nach: Ausst.-Kat. Karl Schmidt-Rottluff. Landschaft, Figur, Stillleben, Brücke-Museum, Berlin, 2014/2015, S. 96.

Jershöft, Ort der Inspiration
Im Sommer 1920 erreicht Schmidt-Rottluff, von Berlin kommend, zum ersten Mal den Fischerort Jershöft in Hinterpommern an der Ostsee mit diesem ungewöhnlichen Leuchtturm als markantem Zeichen: ein 1865 in leichter Abstufung mit Backstein erbauter Turm, stolze 35 Meter hoch.
Das Fischerdorf, das er nun in den kommenden Jahren bis 1931 über den Sommer besucht, erweist sich für den Künstler als ein ruhender Pol in einer doch sehr bewegten Nachkriegszeit, bedenkt man, welche gesellschaftliche Rolle extreme Gruppierungen in der jungen Weimarer Politik und vornehmlich in Berlin spielen, wo er wohnt. So widmet sich Schmidt-Rottluff dem ländlichen Leben. Dort leben nur Fischer, Bauern, Handwerker und Arbeiter, die durch ihre Tätigkeit mit der Landschaft verwachsen sind bei der Verrichtung ihrer täglichen Arbeit und den Künstler zu diesen, voll Energie geladenen Werken anregen.


Karl Schmidt-Rottluff in Jershöft, 1921.


Darstellungen des ländlichen Lebens
Besonders hervorzuheben ist das Gemälde "Fischer auf der Düne", das zu den Hauptwerken aus der Reihe der Arbeiter- und Handwerkerbilder gehört. Schmidt-Rottluffs Bestreben, die gewünschte Monumentalität mit einer höchst dynamischen Malerei zu erreichen, wird deutlich greifbar. Großzügige, vereinfacht wiedergegebene Formen und große Flächenzonen bestimmen den Charakter der Komposition, eine vielfältige Landschaft, charakterisiert durch Steilküste und Sanddünen. Schmidt-Rottluff erfasst die Umrisse der Figuren und Gegenstände wie das Boot mit raschem, beinahe skizzierendem Pinselstrich. Fast immer sind die Konturen in Schwarz angelegt. Innerhalb der flächenbestimmenden Begrenzungen entwickelt die Farbe ein großartiges, leuchtendes Eigenleben. Es ist immer wieder diese erhabene Farbgebung, das kräftige, für Schmidt-Rottluff so typische tiefe Blau in Kontrast zu olivfarbenem Ocker und Rotbraun, die nun bevorzugt eingesetzt und zu einem harmonischen Ganzen verschmolzen wird. Die Fischer und das Boot nehmen mitunter skulpturale Formen an und der Künstler lässt die Figuren der Fischer durch rhythmisierte Formen und über ihre Konturen hinausgehende Farbflächen mit der Landschaft auf einer Ebene assimilieren. Es ist dieser in den Bann ziehende, stoffliche Umgang des Künstlers mit Farbe, dieser satte Farbauftrag, diese festen, von umlaufenden Konturen geschlossenen Formen. Dabei sind die Figuren und Gegenstände mitunter willkürlich gesehen, mutieren zu einer farbigen Flächenmalerei, die seiner Kunst neue Impulse verleiht und in das Expressive steigern lässt.


Karl Schmidt-Rottluff, Fischersonntag, 1923, Öl auf Leinwand, Brücke-Museum Berlin.
© VG Bild-Kunst, Bonn 2024


Farbige Flächenmalerei voller Dynamik
Schmidt-Rottluff entwickelt mit den Jershöft-Bildern eine farbige Flächenmalerei, die seiner Kunst einen über-präsenten Ausdruck verleiht. Zonen reiner Farbigkeit greifen ineinander und versetzen die Oberfläche in einen dynamischen Rhythmus. Mitunter scheinen sich die Formen sogar in der Farbfläche in eine nahezu farbliche Abstraktion aufzulösen, wobei der Bezug zum eigentlichen Motiv stets bestehen bleibt. Auch mit den schwarzen Konturen definiert der Künstler unterschiedliche Formgebilde und schafft hiermit eine Räumlichkeit durch Ordnung der einzelnen Bildteile. So erzählt der Künstler in "Fischer auf der Düne" vom Tagwerk der Fischer, der Versorgung der Boote in der Dünung und beschreibt die harte Arbeit bei Wind und Wetter. Schmidt-Rottluff zeigt hier Menschen ohne die bisher gewohnte Physiognomie in einer ausdrucksstarken Bewegtheit; es sind dies durchaus Gesten, die bisher in seinen Werken nicht zu finden sind. Gleichwohl bleibt auch in den Werken Karl Schmidt-Rottluffs in den Nachkriegsjahren etwas von dem ausdrucksbetonenden Flächenstil der Vorkriegszeit als Nachhall erhalten, jedoch erwecken sie einen weitaus emotionaleren, weniger ruhevollen Eindruck. Schmidt-Rottluff erreicht mit dem Gemälde "Fischer auf der Düne" einen hohen Grad an formaler und farblicher Abstraktion, wobei er jedoch den Bezug zur sichtbaren Wirklichkeit nicht verlässt. In seiner 1956 erschienenen Monografie mit Werkverzeichnis über Schmidt-Rottluff charakterisiert der umfassende Kenner des "Brücke"-Künstlers Will Grohmann die 1921 bis 1923 geschaffenen Werke mit der Kapitel-Überschrift "Farbige Fläche und Zonenmalerei" (Grohmann, Karl Schmidt-Rottluff, Stuttgart 1956, S. 106).

Spannende und bewegte Provenienz
Wohl kurz nach der Entstehung erwirbt der Kunsthändler Ferdinand Möller das Gemälde. Möller, seines Zeichens Buchhändler, beginnt seine sagenhaft erfolgreiche Karriere 1912 in der berühmten Dresdner Galerie Arnold; der damalige Inhaber Ludwig Gutbier zeigt 1910 jene epochale Ausstellung der "Brücke"-Künstler. 1913 gründet Möller eine Filiale der Galerie Arnold in Breslau, um sich dann im Oktober 1918 in Berlin, Potsdamer Straße, selbständig niederzulassen. Seine Künstler sind Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner, Otto Mueller, Emil Nolde, Karl Schmidt-Rottluff und andere. "Fischer auf der Düne“ verbleibt wie viele andere Gemälde der "Brücke" als Eigentum in der Galerie. Im Juli 1937 wird in München die historisch einflussnehmende Femeausstellung "Entartete Kunst“ eröffnet; die in den Museen beschlagnahmten Kunstwerke werden von Hitler am 1. Mai 1938 gesetzlich schlussendlich enteignet. Als Reaktion darauf lässt Möller 19 Werke, darunter auch unser Bild, als Leihgabe nach Detroit zu seinem Freund Wilhelm R. Valentiner verschiffen. Der deutsch-amerikanische Kunsthistoriker ist seit 1924 Direktor des Detroit Art Institute und veröffentlicht bereits 1920 die erste Monografie zu Karl Schmidt-Rottluff. Durch "Vesting Order“ des Department of Justice, Office of Alien Property vom 30. Oktober 1950 wird das Möllersche Konvolut als "Feindvermögen“ beschlagnahmt und als Eigentum der USA-Regierung übernommen. Nach langem und zähem Verhandeln – Ferdinand Möller ist im Januar 1956 verstorben – treffen im Januar 1958 schließlich 17 der ehedem als Leihgaben übersandten Gemälde in Köln ein, wo der Sitz der Galerie seit 1951 ist. Zwei Gemälde, von Wassily Kandinsky "Bild mit weißer Form“ von 1913 und von Lyonel Feininger "Grüne Brücke“ von 1916, schenkt die Familie als Kompensation an das Detroit Art Institute und an das North Carolina Museum of Arts in Raleigh. Und schließlich vermittelt der aus Chemnitz stammende Kunsthändler Wilhelm Grosshennig, der sich nach der Gründung der DDR in Düsseldorf niederlässt, das Gemälde "Fischer auf der Düne“ an die bedeutende Sammlung Berthold und Else Beitz, Essen. [MvL]



19
Karl Schmidt-Rottluff
Fischer auf der Düne, 1921.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 400.000
Ergebnis:
€ 635.000

(inklusive Aufgeld)