Auktion: 550 / Evening Sale am 07.06.2024 in München Lot 40


40
Karl Schmidt-Rottluff
Sitzende im Grünen, 1910.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 400.000
Ergebnis:
€ 508.000

(inklusive Aufgeld)
Sitzende im Grünen. 1910.
Öl auf Leinwand.
84,5 x 76,5 cm (33,2 x 30,1 in).
[KT].

• Während der Sommeraufenthalte in Dangast (1907-1912) entstehen Schmidt-Rottluffs wichtigste Werke, die für den deutschen Expressionismus wegweisend sind.
• In diesem Werk erfindet Schmidt-Rottluff mit einer überbordenden Farbigkeit seine für diese Zeit so moderne Vorstellung von Natur.
• Mit gewagten Kontrasten in der Farbpalette steht dieses Gemälde exemplarisch für den kongenialen "Brücke"-Stil von 1910.
• Bedeutende Provenienz: ehemals Teil der Sammlung Dr. Viktor und Hedda Peters, früheste Förderer und Freunde der "Brücke"-Maler und insbesondere Schmidt-Rottluffs.
• Von musealer Qualität
.

Das Werk ist im Archiv der Karl und Emy Schmidt-Rottluff Stiftung, Berlin, dokumentiert.

PROVENIENZ: Sammlung Dr. Viktor und Hedda Peters, Leipzig.
Sammlung Hermann Gerlinger, Würzburg (mit dem Sammlerstempel, Lugt 6032).

AUSSTELLUNG: Karl Schmidt-Rottluff zum 100. Geburtstag, Schleswig-Holsteinisches Landesmuseum, Schloss Gottorf, Schleswig, 3.6.-12.8.1984, Kat.-Nr. 8 (m. Abb.).
Karl Schmidt-Rottluff. Retrospektive, Kunsthalle Bremen, 16.6.-10.9.1989; Städtische Galerie im Lenbachhaus, München, 27.9.-3.12.1989, Kat.-Nr. 64 (m. SW-Abb., Farbtaf. 22).
Schleswig-Holsteinisches Landesmuseum, Schloss Gottorf, Schleswig (Dauerleihgabe aus der Sammlung Hermann Gerlinger, 1995-2001).
Frauen in Kunst und Leben der "Brücke", Schleswig-Holsteinisches Landesmuseum, Schloss Gottorf, Schleswig, 10.9.-5.11.2000, Kat.-Nr. 15 (m. Abb. S.106).
Die Brücke in Dresden. 1905-1911, Dresdner Schloss, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Galerie Neue Meister, 20.10.2001-6.1.2002, Kat.-Nr. 323 (m. Abb.).
Kunstmuseum Moritzburg, Halle an der Saale (Dauerleihgabe aus der Sammlung Hermann Gerlinger, 2001-2017).
Das andere Ich. Porträts 1900-1950, Staatliche Galerie Moritzburg, Landeskunstmuseum Sachsen-Anhalt, Halle (Saale), 6.4.-15.6.2003, S. 168, Nr. 257 (o. Abb.).
Die Brücke und die Moderne, 1904-1914, Bucerius Kunst Forum, Hamburg, 17.10.2004-23.1.2005, Kat.-Nr. 130 (m. Abb.).
Expressiv! Die Künstler der Brücke. Die Sammlung Hermann Gerlinger, Albertina Wien, 1.6.-26.8.2007, Kat.-Nr. 17 (m. Abb.).
Buchheim Museum, Bernried (Dauerleihgabe aus der Sammlung Hermann Gerlinger, 2017-2022).
Brückenschlag: Gerlinger - Buchheim!, Buchheim Museum, Bernried, 28.10.2017-25.2.2018, S. 238f. (m. Abb.).
Schmidt-Rottluff. Form, Farbe, Ausdruck!, Buchheim Museum, Bernried, 29.9.2018-3.2.2019, S. 154f. (m. Abb.).
Brücke und Blauer Reiter, Von der Heydt-Museum, Wuppertal, 21.11.2021-27.2.2022; Kunstsammlungen Chemnitz, 27.3.-26.6.2022; Buchheim Museum, Bernried, 16.7.-13.11.2022, S. 129 (m. Abb.).

LITERATUR: Hermann Gerlinger, Festschrift zum 95. Geburtstag von Karl Schmidt-Rottluff, Würzburg 1979, o. S. (m. Abb.).
Gerhard Wietek, Schmidt-Rottluff. Oldenburger Jahre 1907-1912, Mainz 1995, S. 388, Nr. 127 (m. Abb.).
Heinz Spielmann (Hrsg.), Die Maler der Brücke. Sammlung Hermann Gerlinger, Stuttgart 1995, S. 221, SHG-Nr. 292 (m. Abb.).
Hermann Gerlinger, Katja Schneider (Hrsg.), Die Maler der Brücke. Bestandskatalog Sammlung Hermann Gerlinger, Halle (Saale) 2005, S. 48f., SHG-Nr. 70 (m. ganzs. Abb. S. 48).
Hermann Gerlinger, Katja Schneider (Hrsg.), Gemeinsames Ziel und eigene Wege. Die "Brücke" und ihr Nachwirken, München 2009, S. 45, Abb. 24.

"Es ist unglaublich, wie stark man die Farben hier findet, […] fast scharf für das Auge. Dabei sind die Farbenakkorde von großer Einfachheit. Malen kann hier eigentlich nur heißen: Verzicht leisten vor der Natur und es an der rechten Stelle tun, ist vielleicht eine Definition für Kunst."

Karl Schmidt-Rottluff 1909 in einem Brief aus Dangast an Gustav Schiefler.

"Schmidt-Rottluff ahmt die Natur nicht mehr nach, er läßt sie neu entstehen."

Magdalena M. Moeller, 1988-2017 Direktorin des Brücke-Museums, Berlin.

"Sitzende im Grünen" weist eine illustre Provenienz auf. Bereits kurz nach seiner Entstehung erwerben Dr. Viktor und Hedda Peters dieses im Sommer 1910 in Dangast angefertigte Gemälde. Das Leipziger Sammlerehepaar gehört zu den frühesten Förderern der "Brücke"-Künstler, insbesondere Karl Schmidt-Rottluffs, mit dem sie eine lang anhaltende und tiefe Freundschaft verbindet. Dargestellt ist Gertrud Schmidt, die Schwester des Malers, vermutet Heinz Spielmann: Sie besucht ihren Bruder wiederholt in dem Fischerdorf und nie zuvor habe der Künstler eine Figur in der Landschaft auf einem Gemälde dargestellt. (Die Maler der Brücke. Die Sammlung Hermann Gerlinger, Halle 2007, Kat.-Nr. 70)

Die Malerei von 1910 in Dangast erweist sich malerisch wie auch kompositorisch als wegweisend. Im Laufe des Jahres 1910 verstärkt sich die Tendenz zur Vereinfachung der Motive in Flächenzonen, gerahmt von dunklen Konturen beziehungsweise stehengelassenem Weiß der Leinwand. Im lockeren Pinselduktus zeichnet Schmidt-Rottluff in virtuoser Manier die landschaftliche Umgebung seines Ateliers mit eruptiver Präsenz der Farben. "Einfahrt" und "Deichdurchbruch" sind herausragende Beispiele für diese dynamisch belebte Stilstufe. Was sich in Aquarellen des Jahres 1909 und etwa mit dem "Gutshof" aus dem Jahr 1910 andeutet, wird auch und gerade in der Malerei zum Inhalt: Das Streben nach Vereinfachung verbindet sich mit einer subjektiven, farbsprühenden Interpretation der Landschaft. "Schmidt-Rottluff ahmt die Natur nicht mehr nach, er läßt sie neu entstehen" (Zit. Magdalena M. Moeller). Durch die Reduktion auf das Wesentliche, das Zusammenziehen des perspektivischen Nah und Fern auf eine Ebene und die Gegenüberstellung starker wie mutig gesetzter Farbkontraste wird auch mit diesem Gemälde "Sitzende im Grünen" die intensive, eindringliche Wirkung erzielt: eine harmonische Einheit von Mensch und Natur mit gewagten Kontrasten und einer neuen, damals wohl schockierenden Farbpalette, – exemplarisch für den kongenialen "Brücke"-Stil des Jahres 1910. "1910 überträgt er den Aquarellstil auf die Malerei", so die Schmidt-Rottluff-Kennerin und langjährige Direktorin des Berliner Brücke-Museums Magdalena M. Moeller. "Die Ölfarbe wird jetzt stark verdünnt aufgetragen. Der Künstler scheint mit dem Pinsel eher zu zeichnen als zu malen. Die dünne Farbe erlaubt ein leichtes Auftragen und rasches Arbeiten. Eine große Anzahl von Gemälden entsteht in der neuen Technik. Schmidt-Rottluff schafft in dichter Reihenfolge ein Meisterwerk nach dem anderen. Souverän beherrscht er nun alle Mittel. Die Farben sind strahlend, leuchtend, die Formen klarer definiert und trotzdem voller Energie vibrierend. Die bisherigen Linienbänder wandeln sich in kurze gestische Pinselzüge, die oftmals summarisch zu Flächenstrukturen zusammengezogen werden. Zackige Konturen begrenzen mitunter solche Flächenelemente. Schmidt-Rottluffs neue gestische Sprache spiegelt die Emotion des Schaffensprozesses und die Inspiration des Augenblicks wider. Wie im Aquarell werden Teile der Leinwand bewußt stehengelassen." (Zit. nach: M. M. Moeller, Karl Schmidt-Rottluff. Eine Monographie, München 2010, S. 30)

Auf seinem Weg vom Impressionismus zum Expressionismus entwickelt Schmidt-Rottluff eine faszinierende Zwischenstufe, die Ernst Ludwig Kirchner später in seiner Chronik 1912 einen "monumentalen Impressionismus" nennen wird. Aber es ist mehr: "Sitzende im Grünen" ist ein Paradebeispiel, bei dem die Farbformen und Farbflächen bisweilen hart und rau aufeinandertreffen, stilsicher die Wirkung und das monumentale Ausdruckswollen für die Nachwelt und Bewunderer sichernd. Schmidt-Rottluff erreicht einen ersten Höhepunkt seines Schaffens vor dem Ersten Weltkrieg. Was sich bei dem Besuch bei Emil Nolde 1906 mit dem Gemälde "Straße im Norden" andeutet, wird hier zu einer farbexplodierenden Gewissheit. [MvL]



40
Karl Schmidt-Rottluff
Sitzende im Grünen, 1910.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 400.000
Ergebnis:
€ 508.000

(inklusive Aufgeld)