Auktion: 496 / Evening Sale am 06.12.2019 in München Lot 123


123
Alexej von Jawlensky
Dichterin (Mystischer Kopf), 1917.
Öl auf Malpappe
Schätzung:
€ 300.000
Ergebnis:
€ 600.000

(inkl. Käuferaufgeld)
Dichterin (Mystischer Kopf). 1917.
Öl auf Malpappe.
Jawlensky/Pieroni-Jawlensky 876. Links unten signiert. Verso betitelt und bezeichnet "1917 N 34" sowie von Helene und Andreas Jawlensky gewidmet 1956. 39,6 x 31 cm (15,5 x 12,2 in). [SM].

• Magisch anziehender Blick eines neuen Menschenbildes.
• Herausragendes Porträt aus der Serie "Mystische Köpfe".
• Spiritueller Farbklang in den stark konturierten Geschichtszügen
.

PROVENIENZ: Nachlass des Künstlers.
Sammlung Paul Grell, Wiesbaden (1956 als Geschenk von Andreas Jawlensky erhalten).
Galerie Aenne Abels, Köln (1958).
Privatsammlung (wohl beim Vorgenannten um 1963 erworben).
Seither in Familienbesitz.

AUSSTELLUNG: Alexej von Jawlensky, Galerie Aenne Abels, Köln, 3.-30.5.1958, Nr. 18.
Alexej Jawlensky - Adolf Hölzel, Kunstsammlungen Bonn, 1958, Nr. 4.
Alexej von Jawlensky, Lenbachhaus München, 17.7.-13.9.1964, Nr. 100.

LITERATUR: Clemens Weiler, Alexej Jawlensky, Feldafing, 1958, Nr. 39 mit Abb.
Clemens Weiler, Alexej Jawlensky, Köln 1959, Nr. 183, Abb. S. 97.
Clemens Weiler, Köpfe, Gesichte, Meditationen, Hanau 1970, Werkstattverzeichnis Nr. 183.

Die im schweizerischen Exil begonnenen Serien im Werk von Alexej Jawlensky bergen in ihrer Ausbreitung und hohen Konzentration immer wieder überraschende Aspekte der malerischen Umsetzung seiner motivischen Vorstellungen. Nach den in sein Bildprogramm tief eingreifenden Variationen über seinen Blick aus dem Fenster beginnt Jawlensky ab Oktober 1917 mit mystischen Köpfen zu experimentieren. Er scheint dabei auf die starkfarbigen und expressiv vorgetragenen Köpfe der Jahre vor dem Ersten Weltkrieg zurückzugreifen wie etwa „Kopf in Weinrot und Grün“ (circa 1913) und sie in eine individualisierte aber gleichzeitig auch stilisierte Monumentalität neu zu denken: Köpfe, die Jawlensky seiner radikalen Vortragsweise unterstellt, die Physiognomien aus seinem selbst entwickelten Baukasten bedient und die Charakterisierung auf offene oder geschlossene Augen, kräftige Augenbrauen, klar gesetzten Nasenrücken, strichartigen Mund, Haaransatz und buntfarbiges Rouge auf den Wangen reduziert. Es sind wenige, sehr besondere Köpfe wie das Porträt der „Dichterin“, die als Voraussetzung für die darauffolgende Werkgruppen der „Heilandgesichter“ und „Christusköpfe“ steht und hilft, Jawlenskys angestrebten Weg zur Verklärung des Geistigen im Gesicht des Menschen mit Formen und Farben zu klären, „um das auszudrücken, was meine Seele bewegt“, so Jawlensky in seinen Lebenserinnerungen.
Jawlensky zieht mit der Familie und Marianne von Werefkin im Oktober 1917 weg von dem kleinen, einsamen Ort St. Prex am Genfer See nach Zürich. Er ist erfreut über das kulturelle Angebot der Stadt, die Ausstellungen, die interessanten Menschen und schließt Bekanntschaften etwa mit Alexander Sacharoff, Hans Arp und Wilhelm Lehmbruck. In den kommenden sechs Monaten über den Jahreswechsel beschäftigt sich Jawlensky mit der Werkserie der „Mystischen Köpfe“ und entwickelt eine neue Variante des Kopf-Motivs, ausgehend von einem Porträt, das Jawlensky von Emmy „Galka“(1917) Scheyer in Zürich anfertigt. Sie, die Künstlerin, lernt der Künstler 1916 in Lausanne anlässlich einer Ausstellung kennen und sie wird ihre künstlerischen Ambitionen aufgeben, um sich intensiv der Vermarktung der Werke Jawlenskys anzunehmen.
Wer die „Dichterin“ ist, die Anlass für das Porträt gibt und in die komplexe, der Anzahl nach relativ kleine Serie der „Mystischen Köpfe“ Eingang findet, lässt sich nicht sagen. Trotz vieler individueller Details ihres charakteristischen, eher jugendlichen Aussehens stilisiert Jawlensky das Gesicht doch deutlich mit pointierten Farbfeldern und markanten Linien. Für ihn scheint es wichtig, die Ausstrahlung des Gesichts und den inneren Klang der Persönlichkeit herauszustellen, weniger ihre ureigene Individualität. „Einige Jahre habe ich diese Variationen gemalt, und dann war mir notwendig, eine Form für das Gesicht zu finden, da ich verstanden hatte, daß die große Kunst nur mit religiösem Gefühl gemalt werden soll. Und das konnte ich nur in das menschliche Antlitz bringen. Ich verstand, daß der Künstler mit seiner Kunst durch Formen und Farben sagen muß, was in ihm Göttliches ist. Darum ist das Kunstwerk ein sichtbarer Gott, und die Kunst ist ‚Sehnsucht’ zu Gott“, so erinnert Jawlensky sich an die Zeit um 1917 in einem Brief vom 12. Juni 1938 an seinen niederländischen Freund Jan Verkade, seines Zeichens Künstler und Benediktiner (Zit. nach: Tayfun Belgin, Alexej von Jawlensky. Eine Künstlerbiographie, Heidelberg 1998, S. 103). Insofern sieht Jawlensky in dem Gesicht der „Dichterin“ eine anziehende Ikone, die ihn bewegt und hilft, seinen lebenslangen Weg der geistigen Klärung weiterzugehen. [MvL]



123
Alexej von Jawlensky
Dichterin (Mystischer Kopf), 1917.
Öl auf Malpappe
Schätzung:
€ 300.000
Ergebnis:
€ 600.000

(inkl. Käuferaufgeld)