Auktion: 545 / Evening Sale am 08.12.2023 in München Lot 6


6
Erich Heckel
Blühende Kresse, 1907.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 550.000
Ergebnis:
€ 698.500

(inklusive Aufgeld)
Blühende Kresse. 1907.
Öl auf Leinwand.
Links unten monogrammiert und datiert. Auf dem Keilrahmen nochmals signiert und betitelt. 68,5 x 76 cm (26,9 x 29,9 in).
[SM].

• Heckel inszeniert mit Komplimentärkontrasten einen wahrhaftigen Farbenrausch.
• Maximale Auflösung von Form und Farbe.
• Wegen umfänglicher Kriegsverluste ist eine Landschaft aus dem Jahr 1907 zu besitzen etwas ganz Besonderes.
• Werke dieser Qualität sind von allergrößter Seltenheit
.

PROVENIENZ: Walter Bareiss, New York (bis 1964)
Galerie Roman Norbert Ketterer, Campione. (wohl seit 1964).
Privatsammlung Nordrhein-Westfalen. (seit 1975, direkt beim Vorgenannten erworben)
Seitdem in Familienbesitz.

AUSSTELLUNG: E. Heckel - Dangast, Schmidt-Rottluff - Dangastermoor, Augusteum, Oldenburger Kunstverein, 27.9.-17.10.1908, Kat.-Nr. 43.
Erich Heckel, Zur Vollendung des siebten Lebensjahrzehnts, Landesmuseum Münster, 18.7.-15.9.1953, Kat.-Nr. 3.
Erich Heckel, frühe und späte Bilder, Galerie Günther Franke, München, 6.1.-28.2.1953 (auf dem Keilrahmen mit dem Etikett).
Maler der "Brücke" in Dangast von 1907 bis1912, Kunstverein Oldenburg, 2.6.-30.6.1957, Kat.-Nr. 6.
Brücke. Eine Künstlergemeinschaft des Expressionismus 1905-1913, Museum Folkwang, Essen, 12.10.-14.12.1958, Kat.-Nr. 9.
Painters of the Brücke, Tate Gallery, London, 30.10.-6.12.1964, Kat.-Nr. 3.
Moderne Kunst
Erich Heckel zum 90. Geburtstag. Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen, Graphik, Roman Norbert Ketterer, Campione d'Italia, 1973, S. 12, Kat.-Nr. 3 (m. Farbabb.).

LITERATUR: Andreas Hüneke, Erich Heckel. Werkverzeichnis der Gemälde, Wandbilder und Skulpturen, Bd. I: 1904-1918, München 2017, S. 35, WVZ-Nr. 1907-41 (m. Abb.).

Lothar-Günther Buchheim, Die Künstlergemeinschaft Brücke, Feldafing 1956, S. 109, Kat.-Nr. 79.
Galerie Kornfeld Auktionen, Mai 1964, Los 411.
Paul Vogt, Erich Heckel. Œuvre-Katalog der Gemälde, Wandmalerei und Plastik, Recklinghausen 1965, Kat.-Nr. 1907-8.
Galerie Roman Norbert Ketterer (Hrsg.), Moderne Kunst V, Campione, 1968, Kat.-Nr. 33.
Gerd Wietek, Maler der "Brücke" in Dangast von 1907 bis 1912, Oldenburg 1957, S. 10.



Es gibt nur wenige Landschaften dieser herausragenden Qualität von Erich Heckel aus dem Jahr 1907. Schon Paul Vogt musste 1965 den überwiegenden Teil der zwischen 1905 und 1910 entstandenen Gemälde Heckels, so er davon Kenntnis hatte, als zerstört beziehungsweise als Kriegsverlust in sein Werkverzeichnis der Gemälde Erich Heckels eintragen. Und mit dem 2017 erschienenen, von Andreas Hüneke bearbeiteten Werkverzeichnis haben wir die Gewissheit: Eine Landschaft aus dem Jahr 1907 zu besitzen ist also etwas ganz Besonderes.

Mitte Mai 1907 trifft Schmidt-Rottluff erstmals in Dangast ein, Ende Juni 1907 erscheint auch Erich Heckel in dem kleinen Fischerdorf am Jadebusen im Oldenburger Land. Dort hat der in Döbeln im sanften Hügelland der Freiberger Mulde geborene Heckel 24-jährig sein erstes Malerparadies gefunden. Der künstlerische Autodidakt, der in Dresden Architektur studiert und im Architekturbüro von Wilhelm Kreis arbeitet, erfährt unter dem weiten Himmel des Oldenburger Landes einen rauschhaften Antrieb. Die legendären Sommerausflüge der "Brücke"-Maler an die Moritzburger Teiche bei Dresden, gemeinhin als Höhepunkt im Schaffen der Künstlergemeinschaft bewertet, setzen zeitlich erst nach Dangast ein, respektive verlaufen in den Jahren 1909 und 1910 parallel. Die Bilder Heckels und seines Künstlerfreundes Karl Schmidt-Rottluff, die zwischen 1907 und 1912 in Dangast und Umgebung entstehen, gehören somit zu den großartigsten Landschaftsdarstellungen des deutschen Expressionismus. "Es ist unglaublich, wie stark man die Farben hier findet, eine Intensität, fast zu scharf für die Augen. Dabei sind die Farbakkorde von großer Einfachheit. Malen kann hier eigentlich nur heißen: Verzicht leisten vor der Natur, und es an der richtigen Stelle tun ist vielleicht eine Definition von Kunst," schreibt Schmidt-Rottluff 1909 an den Hamburger Richter, Kunstsammler, Mäzen und Kunstkritiker Gustav Schiefler.

Heckels pastoser Pinselduktus erinnert noch stark an den kraftvollen Postimpressionismus eines Vincent van Gogh. Doch die aus ungemischten Primärtönen abgeleitete Farbigkeit entspricht bereits weit eher den Farbrevolten der französischen "Fauves". In den vier Sommern, die Heckel und Schmidt-Rottluff gemeinsam in Dangast verbringen, entwickelt sich ihr Stil unentwegt weiter: hin zu einer großzügigen Flächigkeit, die sich endgültig von der Funktion der Malerei als Abbild einer wie auch immer gearteten Realität löst. Die Nähe im Malstil zu seinem Freund Karl Schmidt-Rottluff ist offenkundig, während die Wesensunterschiede zwischen den Künstlerfreunden natürlich erhalten bleiben. Ebenso wurden ähnliche Motive dieser Landschaft gewählt. Auch die Technik und die Malweise, etwa der breite, pastose Pinselauftrag oder auch die Verwendung von Malspachtel ähneln sich, und selbst die kräftige Palette ist beiden Künstlern zu eigen. Auch Ernst Ludwig Kirchner entwickelt damals einen ähnlich groben, stakkatoartigen Malstil.

Erich Heckel malt einen ungewöhnlich farbintensiven Ausschnitt einer Sommerlandschaft und fasst sie in komplementärfarbige Kontraste, die den ruhigen Mittag in der Marsch in optische Glut verwandeln. Vor dem starken Grün einer Busch- und Baum-Hecke erstreckt sich eine von reinen Farben, Rot und Grün, besetzte Ebene. Zwei kleinere, kaum auszumachende Bäume setzt der Künstler, um dem Farbenrausch einen perspektivischen Halt zu geben. Die Pinselzüge verwandeln die Oberfläche des Bildes in ein dynamisches Kräftefeld; es entsteht eine Atmosphäre voll künstlerischer Leidenschaft und Spontaneität. Im September 1907 schreibt Heckel an Gustav Schiefler aus Dangast: "Seit ein paar Tagen bin ich wieder hier in Ruhe und Natur, die mir nach den anstrengenden Tagen des Großstadtlebens sehr wohltut." (Heckel an Schiefler, https://www.kulturstiftung.de/mittag-der-moderne/) Die hier während der Aufenthalte im Oldenburger Land entstehenden früheren Werke Heckels zeigen einen ernstzunehmenden Künstler mit einer kraftvollen, farbintensiven Palette, der es versteht, dieser an sich flachen Küstenlandschaft mit einer grandiosen Farbdynamik zu huldigen. [MvL]



6
Erich Heckel
Blühende Kresse, 1907.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 550.000
Ergebnis:
€ 698.500

(inklusive Aufgeld)