Auktion: 528 / Klassische Moderne am 11.06.2022 in München Lot 412


412
Christian Rohlfs
Die blauen Berge, Um 1912.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 60.000
Ergebnis:
€ 118.750

(inklusive Aufgeld)
Die blauen Berge. Um 1912.
Öl auf Leinwand.
Vogt 527. Rechts unten monogrammiert. 80 x 120 cm (31,4 x 47,2 in).

• Aus der bedeutenden Sammlung Adalbert und Thilda Colsman, Langenberg.
• Entsteht während des ersten Aufenthalts des Künstlers in Bayern.
• Trotz der Naturtreue der blauen Berge wirkt die Komposition fast abstrakt und die Behandlung der Farbe tritt in den Vordergrund
.

PROVENIENZ: Sammlung Adalbert und Thilda Colsman, Langenberg (in Familienbesitz Colsman bis 2016: Grisebach).
Privatsammlung Norddeutschland (2016 vom Vorgenannten erworben).

AUSSTELLUNG: Christian Rohlfs. Göttingen, Kunstsammlungen der Universität Göttingen, 1949, Kat.-Nr. 25/ Freunde des Museums sammeln. II: Kunst aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Essen, Museum Folkwang, 1972, Kat.-Nr. 54, Abb. S. 59.

LITERATUR: Villa Grisebach, Berlin, Auktion 2.6.2016, 20 Werke aus der Sammlung Adalbert und Thilda Colsman, Los 15.

Durch die Vermittlung Henry van de Veldes lernt Rohlfs Karl Ernst Osthaus in Hagen/Westfalen kennen. Dieser ist seit 1899 mit Gertrude Colsman verheiratet. Das Ehepaar gründet 1902 das Folkwang Museum in Hagen, das weltweit das erste Museum ist, das vorrangig der Gegenwartskunst gewidmet war. Gertrude ist die ältere Schwester von Adalbert Colsman, der zusammen mit seiner Frau Thilda zu den führenden Kunstmäzenen der Moderne und wichtigsten Sammlern unter anderem von Christian Rohlfs werden wird. Die Verbindung zu Karl Ernst Osthaus eröffnet Colsman einen einzigartigen Zugang zur modernen Kunst. Aus dieser bedeutenden Sammlung Colsman stammt auch das Gemälde "Die blauen Berge", welches prominent in der Wohnung des Sammlerehepaares hing. In der Wohnung hatte es einen mit Bedacht gewählten Platz im Salon, der sich an das Arbeitszimmer von Adalbert und Thilda Colsman anschloss. In der Sichtachse der Räume hängend, war es schon von Weitem zu sehen. Das Gemälde entsteht während Rohlfs’ erstem Aufenthalt in Bayern. Christian Rohlfs folgt 1910 der Einladung des Sammlers Dr. Hans Commerell nach München. Für zwei Jahre bleibt er im damaligen Zentrum der zeitgenössischen Kunst. In dieser Zeit finden die berühmten Ausstellungen der "Neuen Künstlervereinigung" und des "Blauen Reiter" statt; ob Rohlfs diese gesehen hat, ist nicht überliefert. Tatsächlich verbringt er die meiste Zeit nicht in München, sondern im Umland. Die blauen Berge haben vor ihm schon Künstler wie Gabriele Münter und Alexej von Jawlensky fasziniert. Bis dato verwendet Rohlfs identisch zu den Gemälden van Goghs einen kurzen, fast pointillistischen Pinselstrich, der deutlich erkennbar ist und zu großen Teilen fast parallel gesetzt ist. Mit dem München-Aufenthalt ist diese Periode seiner Malerei endgültig abgeschlossen. In der Komposition "Die blauen Berge" ist der Einfluss des Pointillismus nicht mehr spürbar, sie besticht durch den opaken flächigen Farbauftrag. Rohlfs erprobt an der sich imposant auftürmenden Bergkette die Bandbreite seiner künstlerischen Mittel. Die Berge sind zu einem grob umrissenen Flächenband komprimiert. Durch die Farbdichte, den mehr oder weniger starken Druck des Pinsels sowie die Richtung des Farbauftrags allein wird die Fläche differenziert. Das Gesehene vereint er zu einer Komposition, die in ihrer Naturtreue unzweifelhaft bleibt, aber im Gesamteindruck fast einer Abstraktion gleicht. Rohlfs erreicht hier Gegenstandsunabhängigkeit durch eine rein optisch begründete Abstraktion. Dies rückt ihn in die Nähe der damaligen zeitaktuellen Strömungen. Ganz im Sinne des Expressionismus sucht der Künstler nun nicht mehr wiederzugeben, was er sieht, sondern was er fühlt. Farbe und Form beschreiben nicht mehr, sondern besitzen Eigenwert. Dem eigenwilligen Maler gelingt es Zeit seines Schaffens trotz der Fülle der Anregungen seine Eigenständigkeit zu wahren. Seine Auseinandersetzung mit den künstlerischen Strömungen der Zeit erfolgt weniger auf theoretischer Ebene als vielmehr in erster Linie durch die künstlerische Praxis, während des Arbeitsprozesses, im unmittelbaren Umgang mit Material und Technik, mit Themen und Motiven. Rohlfs wird von Zeitgenossen als einer der führenden Vertreter der deutschen Freilichtmalerei gefeiert und entwickelt einen Stil parallel zur Schule von Barbizon und zum französischen Impressionismus. Kein anderer deutscher Künstler hat in seiner künstlerischen Entwicklung einen solch weitreichenden Bogen zwischen den verschiedenen Kunstrichtungen geschlagen. Christian Rohlfs gehört zu den großen deutschen Malern des 20. Jahrhunderts. Sein Œuvre umspannt über sieben Jahrzehnte und reflektiert seine große Experimentierfreude: Der Künstler greift unterschiedliche Stile, Motive, Techniken und Medien auf und schafft somit ein spannendes und äußerst abwechslungsreiches Gesamtwerk. [SM]



412
Christian Rohlfs
Die blauen Berge, Um 1912.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 60.000
Ergebnis:
€ 118.750

(inklusive Aufgeld)