Auktion: 560 / Evening Sale am 06.12.2024 in München Lot 44


44
Emil Nolde
Vera, 1919.
Öl auf Leinwand
Schätzpreis: € 400.000 - 600.000
+
Vera. 1919.
Öl auf Leinwand.
Links oben signiert. Auf dem Keilrahmen signiert und betitelt. 41,2 x 37 cm (16,2 x 14,5 in). [JS].

• Eines der seltenen ikonischen Frauenbildnisse des Expressionismus.
• Geheimnisvolles Sinnbild exotischer Weiblichkeit mit fesselnder Aura.
• Rarität: Teil einer kleinen Werkgruppe von faszinierenden weiblichen Köpfen, die Nolde 1919 in Berlin geschaffen hat.
• Davon erzielen "Rotblondes Mädchen" (1919) und "Nadja" (1919) Höchstzuschläge auf dem internationalen Auktionsmarkt.
• Von musealer Qualität: Die Hälfte dieser hochkarätigen kleinen Werkgruppe befindet sich heute in internationalen Museumssammlungen.
• Seit über 50 Jahren Teil der herausragenden Sammlung Berthold und Else Beitz, Essen.
• Mit der gleichen Farbpalette gemalt: "Vera" und "Landschaft mit Seebüllhof" aus der selben Sammlung in dieser Auktion
.

Die Arbeit ist in der Handliste des Künstlers unter der Werknummer "1930" mit der Angabe "1919 Vera" verzeichnet.

PROVENIENZ: Sammlung Paul Ferdinand Schmidt, Dresden (1922).
Sammlung Herbert de Coster, Dresden (1924-1945).
Familienbesitz des Vorgenannten, Frankfurt am Main (1945-1956: Stuttgarter Kunstkabinett).
Wilhelm Großhennig, Düsseldorf (1956 vom Vorgenannten erworben).
Sammlung Berthold und Else Beitz, Essen (wohl direkt vom Vorgenannten erworben).
Seitdem in Familienbesitz.

AUSSTELLUNG: Emil Nolde, Kunstverein Leipzig, 1921.
Emil Nolde, Städtische Kunsthalle, Mannheim, 20.11.-10.12.1921.
Emil Nolde, Kunstsalon Ludwig Schames, Frankfurt a. Main, 1922.
Emil Nolde, Städtisches Museum, Mülheim a. d. Ruhr, 1.-30.7.1967, Kat.-Nr. 17.
Pommersches Landesmuseum, Greifswald (2015-2024, Dauerleihgabe).

LITERATUR: Martin Urban, Emil Nolde. Werkverzeichnis der Gemälde, Bd. II (1915-1951), München 1990, WVZ-Nr. 831 (m. Abb.).
-
Stuttgarter Kunstkabinett, 25. Auktion, Stuttgart 1956, Kat.-Nr. 703 (m. SW-Abb.).
Archivalien: Brief von Herbert de Coster an Emil Nolde, 10.8.1942, Archiv der Emil Nolde Stiftung, Seebüll.

"Alle meine freien und phantastischen Bilder [..] entstanden ohne irgendwelches Vorbild oder Modell, auch ohne festumrissene Vorstellung. Ich mied alles Sinnen vorher, eine vage Vorstellung in Glut und Farbe genügte mir."
Emil Nolde, Jahre der Kämpfe, Flensburg 1957, S. 87.

Aufrufzeit: 06.12.2024 - ca. 18.26 h +/- 20 Min.


Noldes "Vera" – Geheimnisvolles Sinnbild exotischer Weiblichkeit
Geheimnisvoll, magisch und sinnlich sind die formatfüllend auf die Leinwand gesetzten Köpfe, die Nolde Anfang des Jahres 1919 in Berlin malt. Insgesamt nur neun Gemälde umfasst diese hochkarätige kleine Werkgruppe, die zu den Höhepunkten der expressionistischen Porträtmalerei zählt. Nolde geht es hier ganz im Sinne des Expressionismus nicht mehr um ein naturalistisches Abbild im eigentlichen Sinne des Porträts, sondern vielmehr um das Einfangen von Charakteren und fein nuancierten Typen des Weiblichen. So geschieht dies auch, wenn er sich, wie so oft, mit dem Thema "Mann und Weib" (1919, Urban 794) auseinandersetzt, oder die Beziehung zwischen "Fürst und Geliebte" (1918, Urban 797) schildert und dabei durchaus sein Interesse an archaisch-sinnlichen Themen mitschwingen lässt. Anfang 1919 malt Emil Nolde schließlich diese geheimnisvollen Köpfe, neun an der Zahl, darunter auch "Vera". Sie sitzt Nolde frontal gegenüber. Ihre strahlend blauen Augen sind offen, ihre Gesichtszüge sind weich und deuten ein leichtes Lächeln an. Der feuerrot geschminkte Mund ist leicht geöffnet, die Wangen pointiert der Künstler mit rundem Rouge, das dichte schwarze Haar fällt einmal hinter die Schulter, schmiegt sich an und bildet einen scharfen Kontrast zum mitternächtlichen, pointiert in Szene gesetzten Blau des Raumes. In der Unmittelbarkeit des Ausdrucks malt Nolde sein Gegenüber, ungefiltert, voller Empathie. Die Person ist – so kann man annehmen – festlich gekleidet, denn Nolde skizziert einen unbedeckten, schlanken Hals, wie einst der Bildhauer den edlen Kopf und ebenen Hals der Ägypterin Nofretete formte, und dekoriert das Dekolleté mit einer goldfarbenen Kette, gereiht aus unterschiedlich großen Kugeln.

Seine Farbpalette begreift Nolde als sein stärkstes Ausdrucksmittel, als das eigentliche Medium seiner künstlerischen Identität. Es sind nicht nur die vor Farbigkeit strotzenden Blumenbilder, die stimmungsreichen Watt- und Meerlandschaften, die aufgeladenen biblischen und mythischen Szenen. Es sind vor allem die Porträts, in die Nolde seine Idee von Ursprünglichkeit einfließen lässt, und dies wie hier in offener Direktheit und elementarster Einfachheit der Physiognomie. Der intensive Blick von "Vera" verwickelt sowohl den Künstler damals als auch heute uns, die Betrachter, unmittelbar in einen intensiven Austausch. Die Dualität des Lebens ist für Nolde elementar, die nach seinen eigenen Worten "in meinen Bildern immer einen großzügigen Platz einnahmen [..]. Zusammen oder gegeneinander: Mann und Frau, Lust und Leid, Gottheit und Teufel" (zit. nach: Emil Nolde: Porträts, Ausst.-Kat., Ulm 2005, S. 76). Und wie üblich schreibt Emil Nolde den Titel seines Gemäldes direkt auf die Rückseite der Leinwand oder, zumeist mit schwarz getauchtem Pinsel, auf einen Schenkel des Keilrahmens.
Nolde und die rätselhafte Identität der Dargestellten
Außer durch den Vermerk auf dem Keilrahmen haben wir keine Kenntnis über die wahre Identität der Porträtierten. Immerhin benennt Nolde die etwa gleichzeitig entstehenden Bildnisse Anfang des Jahres 1919, so heißen sie "Nadja" (Urban 830, Abb. 3), "Vera" (Urban 831, Abb. 2), "Marie" (Urban 832), "Ingeborg" (Urban 835), aber auch "Italienerin" (Urban 834), "Rothaariges Mädchen" (Urban 836), "Rotblondes Mädchen" (Urban 864, Abb. 1)
Wer ist also "Vera"? Extrem auffallend ist zunächst die markante Ähnlichkeit mit "Nadja"! Abgesehen davon, dass Noldes eigenhändige Werkliste von 1930, Grundlage und Ausgang für Urbans Werkverzeichnis, beide Porträts hintereinander aufführt. "Vera" ist "Nadja" und "Nadja" ist "Vera"? Auch wenn Nolde beide Namen explizit auf dem jeweiligen Keilrahmen vermerkt, so ist die Identität beider ungewiss.
Diese faszinierende kleine Werkgruppe von Gemälden ist laut Manfred Reuther, dem langjährigen Direktor der Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde, Anfang 1919 in dem Berliner Wohnatelier in der Tauentzien Straße entstanden, dem Winterquartier der Noldes. Wohl Mitte Januar brechen die Noldes nach Dänemark auf, um die Familie von Ada zu besuchen, und sie haben eine offizielle Genehmigung für den Aufenthalt bis zum 20. Februar. Diese Reise nach Dänemark bewegt den Künstler und seine Frau Ada, da sie nach langer Unterbrechung die Besuche bei der Familie wieder aufnehmen. "Die Geschwister meiner Ada, in Kjellerup, in Kolding und Kopenhagen wohnend, waren im Leben und Denken durch die Kriegszeit uns fast entfremdet worden. Das Wiedersehen war schön. […] Das Malen war mein besseres Sein, Ich malte wieder. Ich malte Bildchen nach Kindern und den schönen Schwägerinnen und auch nach den Zaubermächten, der Märchenerzählerin“, so Emil Nolde schier glücklich über die künstlerischen Taten (zit. nach: Emil Nolde, Mein Leben, Köln 1993, S. 330). Auch "die Geschwister meiner Ada", so kann man den Zeilen entnehmen, können für Nolde Anlass zu Porträts gewesen sein. Und Ada hatte neun Geschwister und weitere fünf Halbgeschwister! Nadja und Vera sind beide nicht darunter.

Noldes "Vera" – Ein Meisterwerk des expressionistischen Porträts
Noldes künstlerische Sprache ist gespickt mit delikater Stimmung und sein Ausdruck ist leidenschaftlich gesteigert bis zu archaisch anmutender Stilisierung. Eine besondere Qualität in seiner Malerei gilt der differenzierten Charakterisierung von Personen und deren eindrucksvoller Typisierung. Noldes Leben zwischen der Großstadt Berlin und der Landschaft im Norden, seine Reisen in die nahe Umgebung und nicht zuletzt seine Südsee-Exkursion in das ferne Papua-Neuguinea bieten dem Künstler anregende Vorlagen für seine bisweilen bizarr anmutenden ortsbedingten Physiognomien. Und auch exotische Masken und Objekte der Volkskunst, die Nolde in den ethnologischen Sammlungen entdeckt, sie skizziert, liefern entscheidende Inspirationen für seine exotisch anmutenden Inszenierungen des Weiblichen. In der Geschichte der Bildnisse in der Malerei der klassischen Moderne gewinnt das Stilisiert-Exotische immer dann an Bedeutung, wenn dem Persönlichen eine zusätzliche charakteristische Eleganz verliehen werden soll. So ist das Gesicht von Ernst Ludwig Kirchners Modell "Fränzi" etwa in leuchtendem Grün gehalten und in vergleichbar frontaler Platzierung ins Bild gesetzt, und Max Beckmann hat deutlich später seiner "Ägypterin" ein ebenso archaisches Maß an geheimnisvoller Schönheit verliehen wie Nolde seiner "Vera", deren raumfüllende Aura fasziniert.
In "Vera" entindividualisiert Emil Nolde also sein Gegenüber und bricht sogleich in einer für ihn typisch unorthodoxen Sicht- und Malweise mit der Konvention des Porträts. Es ist ein persönliches Bildnis, das Nolde mit all seiner künstlerischen Erfahrung und seiner künstlerischen Meisterschaft fertigt. Noldes Bildnisse zeugen von einer intensiven Auseinandersetzung, von einem sehr persönlichen künstlerischen Dialog zwischen Maler und Modell und von einer einzigartigen Synthese aus Gesehenem, Erlebtem und Empfundenem. "Vera" ist ein tiefgründiges Meisterwerk, eine geheimnisvolle Inszenierung des Weiblichen, eine gewaltige und doch zeitlose Darstellung von Schönheit und Sinnlichkeit. Einmal gesehen, bleibt die Erscheinung dieses ikonischen Porträts unvergesslich in der sensiblen Wahrnehmung bestehen. Der Betrachter sieht "Vera" noch heute mit den Augen und den Empfindungen Emil Noldes und tritt damit anstelle des Malers in einen intensiven wie fesselnden Dialog mit diesem expressionistischen Meisterwerk. [MvL/JS]




Aufgeld, Steuern und Folgerechtsvergütung zu Emil Nolde "Vera"
Dieses Objekt wird regel- oder differenzbesteuert angeboten, Folgerechtsvergütung fällt an.

Berechnung bei Differenzbesteuerung:
Zuschlagspreis bis 800.000 Euro: hieraus Aufgeld 32 %.
Auf den Teil des Zuschlagspreises, der 800.000 Euro übersteigt, wird ein Aufgeld von 27 % berechnet und zu dem Aufgeld, das bis zu dem Teil des Zuschlagspreises bis 800.000 Euro anfällt, hinzuaddiert.
Auf den Teil des Zuschlagspreises, der 4.000.000 Euro übersteigt, wird ein Aufgeld von 22 % erhoben und zu dem Aufgeld, das bis zu dem Teil des Zuschlagspreises bis 4.000.000 Euro anfällt, hinzuaddiert.
Das Aufgeld enthält die Umsatzsteuer, diese wird jedoch nicht ausgewiesen.

Berechnung bei Regelbesteuerung:
Zuschlagspreis bis 800.000 Euro: hieraus Aufgeld 27 %.
Auf den Teil des Zuschlagspreises, der 800.000 Euro übersteigt, wird ein Aufgeld von 21 % erhoben und zu dem Aufgeld, das bis zu dem Teil des Zuschlagspreises bis 800.000 Euro anfällt, hinzuaddiert.
Auf den Teil des Zuschlagspreises, der 4.000.000 Euro übersteigt, wird ein Aufgeld von 15 % erhoben und zu dem Aufgeld, das bis zu dem Teil des Zuschlagspreises bis 4.000.000 Euro anfällt, hinzuaddiert.
Auf die Summe von Zuschlag und Aufgeld wird die gesetzliche Umsatzsteuer, derzeit 19 %, erhoben. Als Ausnahme hiervon wird bei gedruckten Büchern der ermäßigte Umsatzsteuersatz von derzeit 7 % hinzugerechnet.

Wir bitten um schriftliche Mitteilung vor Rechnungsstellung, sollten Sie Regelbesteuerung wünschen.

Berechnung der Folgerechtsvergütung:
Für Werke lebender Künstler oder von Künstlern, die vor weniger als 70 Jahren verstorben sind, fällt gemäß § 26 UrhG eine Folgerechtsvergütung in folgender Höhe an:
4% des Zuschlags ab 400,00 Euro bis zu 50.000 Euro,
weitere 3 % Prozent für den Teil des Zuschlags von 50.000,01 bis 200.000 Euro,
weitere 1 % für den Teil des Zuschlags von 200.000,01 bis 350.000 Euro,
weitere 0,5 Prozent für den Teil des Zuschlags von 350.000,01 bis 500.000 Euro und
weitere 0,25 Prozent für den Teil Zuschlags über 500.000 Euro.
Der Gesamtbetrag der Folgerechtsvergütung aus einer Weiterveräußerung beträgt höchstens 12.500 Euro.

Die Folgerechtsvergütung ist umsatzsteuerfrei.