Auktion: 560 / Evening Sale am 06.12.2024 in München Lot 49


49
Piero Manzoni
Achrome, 1959.
Mischtechnik. Kaolin auf Leinwand
Schätzpreis: € 400.000 - 600.000
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Achrome. 1959.
Mischtechnik. Kaolin auf Leinwand.
Verso auf der Leinwand hanschriftlich bezeichnet "18 TCQ pag 192". Auf dem Keilrahmen handschriftlich bezeichnet "Rosso" sowie mit dem Etikett der Sonnabend Gallery. 70 x 50 cm (27,5 x 19,6 in).
In Plexiglas-Objektkasten. [KT].

• Manzoni als Wegbereiter des internationalen "ZERO"-Netzwerks durch die radikale Neudefinition der malerischen Prinzipien.
• In radikaler künstlerischer Freiheit entsteht im Herbst 1957 Manzonis Werkgruppe der "Achromes", zeitgleich mit Yves Kleins "Monochromes".
• Eines der ersten, aus zugeschnittener Leinwand gefertigten "Achromes", deren Serie Manzoni noch bis zu seinem frühen Tod 1963 in weiteren Materialien fortsetzt.
• Aus dem wegweisenden Jahr 1959: Manzoni gründet mit Enrico Castellani die programmatische Revue "Azimuth" und die Galerie Azimut, Mailand.
• Aus der legendären Mailänder Galleria Blu, die Ende der 1950er Jahre auch Lucio Fontana vertritt.
• "Achromes" aus Leinwand befinden sich in bedeutenden Sammlungen, darunter das Städel Museum, Frankfurt a. Main, das Solomon Guggenheim Museum, New York, das Stedelijk Museum, Amsterdam, sowie das Centre Pompidou, Paris
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Mit einem Fotozertifikat der Galleria Blu, Mailand.

PROVENIENZ: Galleria Blu, Mailand.
Sonnabend Gallery, New York (mit dem Etikett).
Galerie Lara Vincy, Paris.
Privatsammlung Hessen (1993 vom Vorgenannten erworben).

AUSSTELLUNG: Omaggio a Piero Manzoni, Museo Civico, Crema, 9.9.-12.10.1971 (auf dem Objektkasten mit dem Etikett).
Sinn + Sinnlichkeit / Sense + Sensuality, Neues Museum Weserburg, Bremen, 21.5.-27.8.2000, S. 77, 138 (m. Abb.).
Lieblingsbilder. Kunst nach 1945 aus Privatbesitz zwischen Main und Taunus, Kunstverein Hofheim, 26.8.-4.11.2007, S. 66, Kat.-Nr. 46 (m. Abb.).
Italian Show, Dickinson, London, 29.1.-28.2.2014.
Kunstmuseum Stuttgart, Leihgabe seit 2016 (auf dem Objektkasten mit dem Etikett).

LITERATUR: Germano Celant, Piero Manzoni, Catalogo Generale, Mailand [1975] 1989, WVZ-Nr. 18 tcq (m. Abb. S. 192).
Freddy Battino, Luca Palazzoli, Piero Manzoni. Catalogue raisonné, hrsg. von Vanni Scheiwiller, Mailand 1991, S. 310, WVZ-Nr. 495 BM (m. Abb.).

"Im totalen Raum haben Form, Farbe, Dimension keinen Sinn; der Künstler hat seine vollständige Freiheit erobert; die reine Materie wird zu reiner Energie; die Hindernisse des Raumes, die Abhängigkeiten vom Subjektiven sind abgeschafft; die ganze künstlerische Problematik ist überwunden."

Piero Manzoni, Libera Dimensione, zit. nach: Azimuth, Heft 2, Januar 1960, S. 18f.

Aufrufzeit: 06.12.2024 - ca. 18.36 h +/- 20 Min.

Mailand, 1950er Jahre – Zentrum der Avantgarde
Wenige Künstler erreichen mit ihrem Gesamtwerk eine solche Radikalität und nachhaltige universelle Wirkung wie Piero Manzoni. Auf konzeptueller Ebene tritt er in die Nachfolge Marcel Duchamps, der als einer der ersten die Grenzen des Kunstbegriffes fundamental erweiterte. Manzoni setzt sich darüber hinaus intensiv mit der kulturellen und gesellschaftlichen Bedeutung künstlerischer Schaffensprozesse, der Figur des Künstlers an sich sowie der postmodernen Bedeutung von Autorschaft auseinander. Seine Arbeiten sind herausfordernd und sperrig, zugleich aber auch intellektuell überzeugend und faszinierend. Ästhetisch und materiell erreicht sein Schaffen mit der Werkgruppe der "Achromes", die 1957 ihren Anfang nimmt, den Höhepunkt.
Manzoni wächst als Spross der adligen Familie Manzoni di Chiosca e Poggiolo zwischen dem Landhaus in Sorazocco nahe des Gardasees und der Mailänder Wohnstätte auf. Sein analytischer Geist lässt ihn zunächst ein Jurastudium in Mailand beginnen, er wechselt bald zur Philosophie an der Universität in Rom, um schließlich wieder nach Mailand zurückzukehren. Dort frequentiert er die Kunstszene und ist umgeben von Künstlern des Spazialismo im Umfeld des Galeristen Carlo Cardazzo und der Gruppe um Lucio Fontana. Manzoni schließt sich zunächst dem "Gruppo nucleare" um Enrico Baj und Sergio Dangelo an, die nach der Stunde null, die das Ende des Zweiten Weltkrieges markierte, in der Malerei und im künstlerischen Ausdruck um neue Positionen ringen.

Yves le Monochrome – Piero l'Achrome
Zwischen den verschiedenen, sich international vernetzenden Künstlergruppierungen dieser Zeitenwende besteht Einigkeit darin, dass jegliche akademischen "-Ismen" und Stile abgelehnt werden. An ihre Stelle tritt der Glaube an die revolutionäre, reinigende und Grenzen überwindende Kraft der Abstraktion.
Im Januar 1957 findet in der Galleria Apollinaire in Mailand die erste Auslandsausstellung Yves Kleins statt, der dort elf monochrome Leinwände mit dem von ihm patentierten International Klein Blue (IKB) in identischem Format präsentiert. Diese Ausstellung setzt eine lebhafte kunsttheoretische und vor allem kreative Auseinandersetzung mit Kleins richtungsweisenden Positionen in Gang. Fontana besucht die Ausstellung und erwirbt eines der ausgestellten Werke, auch Manzoni ist mehrfach in der Galerie anzutreffen. Im September 1957 veröffentlicht der "Gruppo nucleare" das "Manifesto contro lo stile", das von zahlreichen Künstlern der europäischen Avantgarde unterzeichnet wird, darunter auch Yves Klein und Piero Manzoni:
"Als letzte mögliche Formen der Stilisierung lassen wir die 'Propositions monochromes' von Yves Klein (1956–1957) gelten: danach bleibt nur noch die 'tabula rasa' oder die Tapetenrollen von Capogrossi. Tapezierer oder Maler: man muss sich entscheiden. Maler mit einer immer wieder neuen und unwiederholbaren Vision, für die die Leinwand jedes Mal die wandelbare Bühne einer unvorhersehbaren 'commedia dell’arte' ist".
Diese geforderte völlige Befreiung der Malerei löst sich von jeglicher Figuration oder abbildhaftem Verfahren, zugleich wird die persönliche Handschrift des individuellen Künstlers im Farbauftrag verabschiedet. Manzonis Experimente vor dieser herausfordernden Aufgabe führen ihn im Dezember 1957 zur Entstehung der "Achromes". Manzoni nutzt in diesem Experiment dazu ab einem gewissen Punkt nur noch die Leinwand, grundlegende Basis und Fläche der Malerei. Die gefalteten, zerschnittenen und übereinandergelegten Stoffbahnen tränkt er in Kaolin, einer gipsartigen Tonerde, und arrangiert sie auf dem Untergrund – wie um dem Manifest zu widersprechen und Maler und Tapezierer zugleich sein zu können. Die 'Malerei' reduziert er auf ihre Essenz, ihre Basis: die weiß grundierte Leinwand. Gleichzeitig tritt diese vielschichtig und materiell wie nie zuvor in Erscheinung, sie wird haptisch erfahrbar, schwebend leicht und fest zugleich. Das hier vorliegende Werk stammt aus der bedeutenden Reihe der "tela cucita a quadrati", der rasterförmig ausgeschnittenen Leinwandstücke, die in gleichmäßiger Rhythmik angeordnet werden. In der Fortführung der "Achromes" finden Glasfasern, Baumwollknäuel, Styroporkügelchen und sogar Brötchen als Materialien Verwendung. Am faszinierendsten, künstlerisch und ästhetisch überzeugendsten sind aber die Leinwände, die zwar von der Handschrift des Künstlers befreit sind, jedoch durch den Trocknungs- und Alterungsprozess des Materials sowie den Faltungen und Schichtungen belebt werden. In ihnen verdeutlicht sich die Essenz der anfänglichen Idee in Reinform.

Azimuth – die freie Dimension der Kunst
Als Organ ihrer kunsttheoretischen Programmatik gründen Manzoni und Enrico Castellani 1959 die Zeitschrift "Azimuth". In der in Manzonis Apartment in der via Cernaia 4 herausgegebenen Kunstzeitschrift erscheinen Texte, Gedichte und künstlerische Positionen des europäischen und internationalen Netzwerks der Avantgarde mit Beiträgen von Lucio Fontana, Yves Klein, Jean Tinguely, Jasper Johns, Robert Rauschenberg in italienischer, englischer und französischer Sprache. Obwohl nur zwei Ausgaben veröffentlicht werden, sind die dort formulierten Ideen doch zentral für die Entwicklung der Kunst. Im Heft Nr. 2 vom Januar 1960 liefert Manzoni neben "Continuità e nuovo" von Enrico Castellani, "Una nuova concezione di pittura" von Udo Kultermann und "L’oscurità e la luce" von Otto Piene in seinem Text "Libera dimensione" eine Theoretisierung seiner "Achromes": "Warum diese Fläche nicht befreien? Warum nicht versuchen, die unbegrenzte Bedeutung eines totalen Raums, eines reinen und absoluten Lichts zu entdecken? [..] Für mich geht es darum, eine ganz und gar weiße (oder vielmehr ganz und gar farblose, neutrale) Fläche außerhalb jedes malerischen Phänomens, jedes dem Flächenwert fremden Eingriffs zu schaffen: ein Weiß, das keine Polarlandschaft, keine evozierende oder schöne Materie, keine Empfindung, kein Symbol oder sonst irgendetwas ist: eine weiße Fläche, die eine weiße Fläche ist, und nichts sonst (eine farblose Fläche, die eine farblose Fläche ist), oder besser noch, die ist und nichts sonst: Sein (und totales Sein ist reines Werden)." (zit. nach: Azimuth, Heft 2, Januar 1960, S. 18, 20).
Im Dezember 1959 eröffnen Castellani und Manzoni die fast gleichnamige Galleria Azimut als Produzentengalerie, die zum künstlerischen Zentrum der europäischen Avantgarde in Italien wird. Manzoni steht nach Reisen in die Niederlande, Belgien, Frankreich und Deutschland in Kontakt mit der Gruppe "CoBrA", dem Galeristen Hans Sonnenberg und der Gruppe "Nul", in Deutschland mit der Gruppe "ZERO" und den Pariser "Nouveaux Réalistes". Seine oftmals provokanten Arbeiten, wie die wohl berühmteste "Merda d’artista" von 1961, werden in allen Kunstmetropolen Europas ausgestellt. Seinem Schaffen wird allerdings durch seinen plötzlichen Tod aufgrund eines Herzinfarkts mit erst 29 Jahren ein jähes Ende bereitet. Manzonis permanent zwischen Körper und Körperlosigkeit, Materiellem und Geistigem oszillierendes Werk hat großen Einfluss auf die Arte povera und die Konzeptkunst. Besonders seinen aus der Essenz der Malerei gestalteten "Achromes" wohnt trotz der reduzierten Mittel eine außergewöhnlich starke Präsenz inne. [KT]




Aufgeld, Steuern und Folgerechtsvergütung zu Piero Manzoni "Achrome"
Dieses Objekt wird regel- oder differenzbesteuert angeboten, Folgerechtsvergütung fällt an.

Berechnung bei Differenzbesteuerung:
Zuschlagspreis bis 800.000 Euro: hieraus Aufgeld 32 %.
Auf den Teil des Zuschlagspreises, der 800.000 Euro übersteigt, wird ein Aufgeld von 27 % berechnet und zu dem Aufgeld, das bis zu dem Teil des Zuschlagspreises bis 800.000 Euro anfällt, hinzuaddiert.
Auf den Teil des Zuschlagspreises, der 4.000.000 Euro übersteigt, wird ein Aufgeld von 22 % erhoben und zu dem Aufgeld, das bis zu dem Teil des Zuschlagspreises bis 4.000.000 Euro anfällt, hinzuaddiert.
Das Aufgeld enthält die Umsatzsteuer, diese wird jedoch nicht ausgewiesen.

Berechnung bei Regelbesteuerung:
Zuschlagspreis bis 800.000 Euro: hieraus Aufgeld 27 %.
Auf den Teil des Zuschlagspreises, der 800.000 Euro übersteigt, wird ein Aufgeld von 21 % erhoben und zu dem Aufgeld, das bis zu dem Teil des Zuschlagspreises bis 800.000 Euro anfällt, hinzuaddiert.
Auf den Teil des Zuschlagspreises, der 4.000.000 Euro übersteigt, wird ein Aufgeld von 15 % erhoben und zu dem Aufgeld, das bis zu dem Teil des Zuschlagspreises bis 4.000.000 Euro anfällt, hinzuaddiert.
Auf die Summe von Zuschlag und Aufgeld wird die gesetzliche Umsatzsteuer, derzeit 19 %, erhoben. Als Ausnahme hiervon wird bei gedruckten Büchern der ermäßigte Umsatzsteuersatz von derzeit 7 % hinzugerechnet.

Wir bitten um schriftliche Mitteilung vor Rechnungsstellung, sollten Sie Regelbesteuerung wünschen.

Berechnung der Folgerechtsvergütung:
Für Werke lebender Künstler oder von Künstlern, die vor weniger als 70 Jahren verstorben sind, fällt gemäß § 26 UrhG eine Folgerechtsvergütung in folgender Höhe an:
4% des Zuschlags ab 400,00 Euro bis zu 50.000 Euro,
weitere 3 % Prozent für den Teil des Zuschlags von 50.000,01 bis 200.000 Euro,
weitere 1 % für den Teil des Zuschlags von 200.000,01 bis 350.000 Euro,
weitere 0,5 Prozent für den Teil des Zuschlags von 350.000,01 bis 500.000 Euro und
weitere 0,25 Prozent für den Teil Zuschlags über 500.000 Euro.
Der Gesamtbetrag der Folgerechtsvergütung aus einer Weiterveräußerung beträgt höchstens 12.500 Euro.

Die Folgerechtsvergütung ist umsatzsteuerfrei.