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59
Georg Baselitz
Dix besucht Goya, 2008.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 400.000 Ergebnis:
€ 508.000 (inklusive Aufgeld)
Dix besucht Goya. 2008.
Öl auf Leinwand.
Verso signiert, datiert "November 2008" und betitelt. 300 x 250 cm (118,1 x 98,4 in).
In der vorliegenden Arbeit bezieht sich Baselitz motivisch auf die extreme Darstellung von Körperlichkeit in Otto Dix' im Krieg zerstörtem Gemälde "Mädchen vor dem Spiegel" (1921). [JS].
• Monumentale Hommage an Otto Dix und eines der größten Baselitz-Gemälde auf dem internationalen Auktionsmarkt.
• Fortführung der berühmten "Heldenbilder" der 1960er Jahre: Baselitz präsentiert uns die verletzliche Antiheldin in vom Leben gezeichneter Körperlichkeit in freiem malerischen Duktus.
• Kraftvolle Inszenierung der Zerbrechlichkeit und Vergänglichkeit unseres menschlichen Daseins.
• Weitere Arbeiten dieses bedeutenden Werkkomplexes befinden sich in der Fondation Beyeler, Riehen, sowie im Sprengel Museum, Hannover.
• Große Überblickschauen zeigten zuletzt die Fondation Beyeler, Basel (2018), das Centre Pompidou, Paris (2021/22), das Kunsthistorische Museum, Wien (2023) und aktuell der White Cube, London.
Wir danken dem Archiv Georg Baselitz, München, für die freundliche Auskunft. Die Arbeit ist im Werk-Archiv des Künstlers registriert.
PROVENIENZ: Contemporaray Fine Arts, Berlin (auf dem Keilrahmen mit dem Stempel).
Achenbach Art Consulting, Düsseldorf.
Privatsammlung Süddeutschland (2009 vom Vorgenannten erworben).
AUSSTELLUNG: Georg Baselitz. Dr. Freud und andere Musik, Contemporary Fine Arts, Berlin, 2009 (Abb. 1).
Öl auf Leinwand.
Verso signiert, datiert "November 2008" und betitelt. 300 x 250 cm (118,1 x 98,4 in).
In der vorliegenden Arbeit bezieht sich Baselitz motivisch auf die extreme Darstellung von Körperlichkeit in Otto Dix' im Krieg zerstörtem Gemälde "Mädchen vor dem Spiegel" (1921). [JS].
• Monumentale Hommage an Otto Dix und eines der größten Baselitz-Gemälde auf dem internationalen Auktionsmarkt.
• Fortführung der berühmten "Heldenbilder" der 1960er Jahre: Baselitz präsentiert uns die verletzliche Antiheldin in vom Leben gezeichneter Körperlichkeit in freiem malerischen Duktus.
• Kraftvolle Inszenierung der Zerbrechlichkeit und Vergänglichkeit unseres menschlichen Daseins.
• Weitere Arbeiten dieses bedeutenden Werkkomplexes befinden sich in der Fondation Beyeler, Riehen, sowie im Sprengel Museum, Hannover.
• Große Überblickschauen zeigten zuletzt die Fondation Beyeler, Basel (2018), das Centre Pompidou, Paris (2021/22), das Kunsthistorische Museum, Wien (2023) und aktuell der White Cube, London.
Wir danken dem Archiv Georg Baselitz, München, für die freundliche Auskunft. Die Arbeit ist im Werk-Archiv des Künstlers registriert.
PROVENIENZ: Contemporaray Fine Arts, Berlin (auf dem Keilrahmen mit dem Stempel).
Achenbach Art Consulting, Düsseldorf.
Privatsammlung Süddeutschland (2009 vom Vorgenannten erworben).
AUSSTELLUNG: Georg Baselitz. Dr. Freud und andere Musik, Contemporary Fine Arts, Berlin, 2009 (Abb. 1).
Inspirationsquelle Otto Dix
1957 wird Otto Dix mit einer Ausstellung im Osten Berlins geehrt. Der Student Baselitz besucht die Ausstellung und Dix gehört seitdem zu den erklärten Vorbildern des angehenden Malers. Es sind wohl jene Tragik und Gebrochenheit, die sich den Menschen einschreiben, bildprägende Elemente im Werk beider Künstler, die sie in den Erfahrungen der jeweiligen Erlebnisse im Ersten, respektive Zweiten Weltkriegs verbinden. Otto Dix, der ‚beißende‘,, zynische Realist, wird für Baselitz nicht das erste Mal zu einer der zentralen Inspirationsquellen für sein eigenes Werk. Hier handelt es sich um Dix' Gemälde "Mädchen vor dem Spiegel" von 1921, Öl auf Leinwand, der Verbleib ist unbekannt. Verfügbar ist eine Paraphrase des Themas in Form einer Lithografie "Mädchen vor dem Spiegel" aus demselben Jahr. Mit unruhig-herber Pinselführung, mit hartem, verfremdetem Farbeinsatz, mit erklärtem Willen zur Hässlichkeit übernimmt Baselitz die Intention des Dresdners: eine übersteigerte Szene aus dem Prostituiertenmilieu. Dabei ist die stilistische Anspielung auf Otto Dix dem eigenen Duktus untergeordnet. "Eine Adaption des Frau-im-Spiegel-Bilds von Dix. Ein angstmachendes, fürchterliches, hässliches Bild. Eine Fratze. Ich habe es daher extra schlecht gemalt, extra unintelligent. Sehen Sie nur, die Farben. Wie ein Plakat-Maler, auf schwarz", so Georg Baselitz in einem Interview mit Marc Fischer anlässlich der Ausstellung "Dr. Freud und andere Musik" 2009 bei Contemporary Fine Arts, Berlin.
Marc Fischer beschreibt die Situation des Interviews im Atelierraum am Ammersee: "Dix vergisst man nicht. Bekleckste Fotokopien seiner Bilder liegen auf dem Atelierboden herum. Er ist seit jeher präsent in Baselitz' Werk, fast leitmotivistisch, seit Baselitz in den späten Fünfzigern Die sieben Todsünden sah", so Fischer beflissentlich. Und an Baselitz gerichtet, warum es immer wieder Dix sei, antwortet dieser: "Es ist vor allem seine Vorliebe für die Hässlichkeit, mit der ich so einverstanden bin bei ihm. Auch ich habe mich jahrzehntelang, ja praktisch immer, mit der Hässlichkeit beschäftigt; mit dem Fratzenhaften, den Grimassen. Nehmen Sie die Russenbilder, nehmen Sie Die große Nacht, auch die Skulpturen – es ist ja vor allem ein großer sezierender Abscheu, der da bildlich geäußert wird. Dazu teilen wir wohl auch Kindheitserlebnisse, Kriegserfahrung, Außenseiterposition, etc." (ebd.).
Otto Dix und seine Modelle
Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges drängt es Otto Dix wieder nach Dresden, in die Stadt und zu seinen Künstlerfreunden. Neben der Vielzahl bedeutender Gemälde, die Otto Dix nach dem Ersten Weltkrieg zunächst in Dresden und dann von 1922 bis 1925 in Düsseldorf malt, sind es vor allem diese seine Epoche beschreibenden Aquarelle und Zeichnungen, die zu den produktivsten Jahren seines Lebens beitragen. Zwei Themen faszinieren den Künstler in dieser Zeit: der Krieg und die Hure. Seine persönlichen Kriegserfahrungen, den Schrecken des Todes, die Opfer der Zivilbevölkerung und die Grausamkeiten der verrohten Soldaten bewältigt Dix in zahlreichen Bleistift-, Kreide- und Kohlezeichnungen, die er an der Front in den Gräben fertigt und die schließlich in seinem grafischen Hauptwerk, dem Zyklus "Der Krieg" in 50 Radierungen noch brutaler, direkter und schonungsloser wiedergegeben, kulminieren. Das Todesmotiv konfrontiert Dix auch mit dem Eros, dem Leben der Dirne. Die Dirne verkörpert Vitalität, sie ist lebensbejahend, aber nicht romantisch oder naiv, sondern ähnlich brutal realistisch und antibürgerlich, um nicht zu sagen "sachlich". Der erste Biograf des Künstlers, der Dresdner Fritz Löffler, prägte dafür die Formel von der "Desillusionierung des Eros". Dix notiert damals, was er sieht, als er 1919 am Ende der Ziegelgasse im Bordell-Viertel der Dresdener Altstadt wohnt und sich im Milieu herumtreibt wie einst Henri de Toulouse-Lautrec auf dem Montmartre, Heinrich Zille im Berliner Wedding oder Ernst Ludwig Kirchner am Potsdamer Platz. "Meine Bilder brauchen wir nicht zu diskutieren, die sehen wir doch. Ich gehe vom Geschauten aus. Ich will keine neuen Themen erfinden, nicht arrangieren […]. Am liebsten sehe ich die Urthemen der Menschheit mit meinen eigenen Augen neu. Das Äußere der Dinge ist mir wichtig, denn mit der Wiedergabe äußerer Gestalt fängt man auch das Innere ein", so Otto Dix Jahre später 1958, aber immer noch zutreffend für das eigene Vorgehen in der Entstehung seiner Malerei (zit. nach: Diether Schmidt, Otto Dix im Selbstbildnis, Berlin 1978, S. 222).
"Mädchen vor dem Spiegel". Eine Provokation
Das nur noch in einer Schwarz-Weiß-Fotografie überlieferte Gemälde von Dix zeigt uns eine scheinbar junge Frau in Unterwäsche vor einem Standspiegel. Wir sehen die Dargestellte im Dreiviertelprofil von hinten; das Spiegelbild gibt sie indes als gealterte, ausgezerrte, sich schminkende Frau zu erkennen. Dix greift hier mit dem Spiegel ein altes Vergänglichkeitsmotiv auf: Schönheit ist vergänglich! Doch hebt er diese aus der Tradition bekannte Aussage auf eine höhere kunsttheoretische Bedeutungsebene: Der Spiegel ist nicht mehr nur Attribut wie in den Vanitas-Darstellungen, sondern das von ihm wiedergegebene Bild ist das Hauptmotiv des Gemäldes. "Ich war immer für Typen. Die Gassen, die Cafés – da fand man alles […]. Das Triste, das Alltägliche hat mich gereizt." (Otto Dix, Selbstzeugnisse, zit. nach: Susanne Pfäffle, Otto Dix, Stuttgart 1991)
Im Oktober 1922 wird das Gemälde "Mädchen vor dem Spiegel" aus einer Juryfreien Kunstschau am Lehrter Bahnhof beschlagnahmt und ist Gegenstand eines Prozesses vor dem Landgericht Berlin wegen "Unzüchtigkeit". Gutachter sind u. a. Max Slevogt und Karl Hofer; Dix wird 1923 freigesprochen, erhält das Gemälde wohl nicht zurück. Zehn Jahre später, im Herbst 1933, erfolgt eine erste öffentliche Diffamierung als "entarteter" Künstler durch die erste Feme-Ausstellung im Lichthof des Dresdener Rathauses. Mit den Säuberungsaktionen 1937 werden ca. 260 Werke aus deutschen Museen beschlagnahmt und ein Teil davon steht im Zentrum der Wanderausstellung "Entartete Kunst" in München. "Auch ich habe mich jahrzehntelang, ja praktisch immer, mit der Hässlichkeit beschäftigt; mit dem Fratzenhaften, den Grimassen", so noch einmal Baselitz‘ Legitimation für die Umsetzung dieses berühmten Dix'schen Motives.
Und welche Rolle spielt Goya?
Georg Baselitz malt 1982 "Nacht mit Hund". Für dieses Motiv und für eine Serie mit Radierungen zu schlafenden Hunden, die 1998 und 1999 entstehen, fühlt sich Baselitz angeregt von Francisco de Goyas sehnsüchtig blickendem Hund aus dessen Freskenzyklus der "Pinturas Negras", entstanden in den Jahren 1820 bis 1823, gemalt in einem Lebensabschnitt tiefster Depression. Mit Schmerz und Verzweiflung blickt Goya in eine immer dunklere, gewaltartige Kehrseite der Welt hinter den Kulissen des sozialen Gefüges, so dass es den Betrachter dauert und er unversehens an dem armen, unendlich traurigen Hund in stiller Klage hängenbleibt. Nur dessen Kopf reckt sich über den Rand eines Erdwalls.
Die Grundwerte von Schwarz, Gelb und Weiß fahren bei Baselitz auf der Leinwand ineinander. Ein gelber Balken markiert den oberen Bildrand, setzt eine Horizontlinie. Unter dem gelben Streifen liegt eine schwarze Schicht, die wohl einmal das ganze Bild grundierte, dann aber weiß übergangen wurde. Ein geschwärzter Mann hängt bis zu den Knien im gelben Horizont steckend kopfüber herab, hat im stummen Schrei den Mund geöffnet und schaut aus großen leeren Augen. Rechts neben ihm in einem Geflecht aus breiten gelbschwarzen Pinselstrichen ragt der schwarze Hund nur bis zum Hals sichtbar heraus – wie der Goyas. Ein Bild im Bild, rechteckig gerahmt von der Horizontlinie und dem beherrschenden Weiß der restlichen Bildfläche. Mensch und Hund schreien um dieselbe Sache, sind selber die Nacht und das Dunkel mitten am helllichten Tag. Tief stecken sie in einer desolaten Befindlichkeit und Verwirrung.
Nicht nur Dix und Goya oder auch Courbet sind in der Bilderwelt des Künstlers fest verankert, gehören zu seiner geistigen Vorbildsammlung ebenso wie auch die grafischen Arbeiten aus der Zeit des Manierismus, die Baselitz für sich entdeckt und sammelt und damit eine "Maniera Baselitz – Das Nonkonforme als Quelle der Phantasie" begründet, so mit einer Ausstellung des Kupferstich-Kabinetts 2018 in Dresden thematisiert: "[..] wie sich Georg Baselitz zu Beginn der 1960er-Jahre bewusst von der ungegenständlichen abstrakten Malerei abgrenzte. Nicht nur mit den gewählten Bildthemen stellte er sich gegen den damals vorherrschenden künstlerischen Zeitgeist" (zit. nach:
https://kupferstich-kabinett.skd.museum/ausstellungen/maniera-baselitz/).
"Ich bin ein deutscher Künstler und was ich mache, ist in der deutschen Tradition verwurzelt. Es ist hässlich und expressiv", sagt Georg Baselitz selbst (zit. nach: Siegfried Gohr, Paintings Don’t Come With Guarantees, in Flash Art 26/1993, Heft 171, S. 67-72). Für Baselitz geht es um eine Dekodierung von tradierten Menschen-, Rollen- und Gesellschaftsbildern. Dies beginnt sicher mit den neuen Typen, den "Hirten-" und "Helden-Bildern" und deren historischen Transformationen. Die Auseinandersetzung mit Otto Dix ist deshalb so direkt, expressiv, provokativ und basiert auf herausfordernden konzeptuellen Überlegungen, basiert ähnlich auf einer höchst individuellen Ästhetik, mit der einst Dix und jetzt Baselitz über Kunst und Gesellschaft reflektiert. Und das verbindet beide nachhaltig. [MvL]
1957 wird Otto Dix mit einer Ausstellung im Osten Berlins geehrt. Der Student Baselitz besucht die Ausstellung und Dix gehört seitdem zu den erklärten Vorbildern des angehenden Malers. Es sind wohl jene Tragik und Gebrochenheit, die sich den Menschen einschreiben, bildprägende Elemente im Werk beider Künstler, die sie in den Erfahrungen der jeweiligen Erlebnisse im Ersten, respektive Zweiten Weltkriegs verbinden. Otto Dix, der ‚beißende‘,, zynische Realist, wird für Baselitz nicht das erste Mal zu einer der zentralen Inspirationsquellen für sein eigenes Werk. Hier handelt es sich um Dix' Gemälde "Mädchen vor dem Spiegel" von 1921, Öl auf Leinwand, der Verbleib ist unbekannt. Verfügbar ist eine Paraphrase des Themas in Form einer Lithografie "Mädchen vor dem Spiegel" aus demselben Jahr. Mit unruhig-herber Pinselführung, mit hartem, verfremdetem Farbeinsatz, mit erklärtem Willen zur Hässlichkeit übernimmt Baselitz die Intention des Dresdners: eine übersteigerte Szene aus dem Prostituiertenmilieu. Dabei ist die stilistische Anspielung auf Otto Dix dem eigenen Duktus untergeordnet. "Eine Adaption des Frau-im-Spiegel-Bilds von Dix. Ein angstmachendes, fürchterliches, hässliches Bild. Eine Fratze. Ich habe es daher extra schlecht gemalt, extra unintelligent. Sehen Sie nur, die Farben. Wie ein Plakat-Maler, auf schwarz", so Georg Baselitz in einem Interview mit Marc Fischer anlässlich der Ausstellung "Dr. Freud und andere Musik" 2009 bei Contemporary Fine Arts, Berlin.
Marc Fischer beschreibt die Situation des Interviews im Atelierraum am Ammersee: "Dix vergisst man nicht. Bekleckste Fotokopien seiner Bilder liegen auf dem Atelierboden herum. Er ist seit jeher präsent in Baselitz' Werk, fast leitmotivistisch, seit Baselitz in den späten Fünfzigern Die sieben Todsünden sah", so Fischer beflissentlich. Und an Baselitz gerichtet, warum es immer wieder Dix sei, antwortet dieser: "Es ist vor allem seine Vorliebe für die Hässlichkeit, mit der ich so einverstanden bin bei ihm. Auch ich habe mich jahrzehntelang, ja praktisch immer, mit der Hässlichkeit beschäftigt; mit dem Fratzenhaften, den Grimassen. Nehmen Sie die Russenbilder, nehmen Sie Die große Nacht, auch die Skulpturen – es ist ja vor allem ein großer sezierender Abscheu, der da bildlich geäußert wird. Dazu teilen wir wohl auch Kindheitserlebnisse, Kriegserfahrung, Außenseiterposition, etc." (ebd.).
Otto Dix und seine Modelle
Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges drängt es Otto Dix wieder nach Dresden, in die Stadt und zu seinen Künstlerfreunden. Neben der Vielzahl bedeutender Gemälde, die Otto Dix nach dem Ersten Weltkrieg zunächst in Dresden und dann von 1922 bis 1925 in Düsseldorf malt, sind es vor allem diese seine Epoche beschreibenden Aquarelle und Zeichnungen, die zu den produktivsten Jahren seines Lebens beitragen. Zwei Themen faszinieren den Künstler in dieser Zeit: der Krieg und die Hure. Seine persönlichen Kriegserfahrungen, den Schrecken des Todes, die Opfer der Zivilbevölkerung und die Grausamkeiten der verrohten Soldaten bewältigt Dix in zahlreichen Bleistift-, Kreide- und Kohlezeichnungen, die er an der Front in den Gräben fertigt und die schließlich in seinem grafischen Hauptwerk, dem Zyklus "Der Krieg" in 50 Radierungen noch brutaler, direkter und schonungsloser wiedergegeben, kulminieren. Das Todesmotiv konfrontiert Dix auch mit dem Eros, dem Leben der Dirne. Die Dirne verkörpert Vitalität, sie ist lebensbejahend, aber nicht romantisch oder naiv, sondern ähnlich brutal realistisch und antibürgerlich, um nicht zu sagen "sachlich". Der erste Biograf des Künstlers, der Dresdner Fritz Löffler, prägte dafür die Formel von der "Desillusionierung des Eros". Dix notiert damals, was er sieht, als er 1919 am Ende der Ziegelgasse im Bordell-Viertel der Dresdener Altstadt wohnt und sich im Milieu herumtreibt wie einst Henri de Toulouse-Lautrec auf dem Montmartre, Heinrich Zille im Berliner Wedding oder Ernst Ludwig Kirchner am Potsdamer Platz. "Meine Bilder brauchen wir nicht zu diskutieren, die sehen wir doch. Ich gehe vom Geschauten aus. Ich will keine neuen Themen erfinden, nicht arrangieren […]. Am liebsten sehe ich die Urthemen der Menschheit mit meinen eigenen Augen neu. Das Äußere der Dinge ist mir wichtig, denn mit der Wiedergabe äußerer Gestalt fängt man auch das Innere ein", so Otto Dix Jahre später 1958, aber immer noch zutreffend für das eigene Vorgehen in der Entstehung seiner Malerei (zit. nach: Diether Schmidt, Otto Dix im Selbstbildnis, Berlin 1978, S. 222).
"Mädchen vor dem Spiegel". Eine Provokation
Das nur noch in einer Schwarz-Weiß-Fotografie überlieferte Gemälde von Dix zeigt uns eine scheinbar junge Frau in Unterwäsche vor einem Standspiegel. Wir sehen die Dargestellte im Dreiviertelprofil von hinten; das Spiegelbild gibt sie indes als gealterte, ausgezerrte, sich schminkende Frau zu erkennen. Dix greift hier mit dem Spiegel ein altes Vergänglichkeitsmotiv auf: Schönheit ist vergänglich! Doch hebt er diese aus der Tradition bekannte Aussage auf eine höhere kunsttheoretische Bedeutungsebene: Der Spiegel ist nicht mehr nur Attribut wie in den Vanitas-Darstellungen, sondern das von ihm wiedergegebene Bild ist das Hauptmotiv des Gemäldes. "Ich war immer für Typen. Die Gassen, die Cafés – da fand man alles […]. Das Triste, das Alltägliche hat mich gereizt." (Otto Dix, Selbstzeugnisse, zit. nach: Susanne Pfäffle, Otto Dix, Stuttgart 1991)
Im Oktober 1922 wird das Gemälde "Mädchen vor dem Spiegel" aus einer Juryfreien Kunstschau am Lehrter Bahnhof beschlagnahmt und ist Gegenstand eines Prozesses vor dem Landgericht Berlin wegen "Unzüchtigkeit". Gutachter sind u. a. Max Slevogt und Karl Hofer; Dix wird 1923 freigesprochen, erhält das Gemälde wohl nicht zurück. Zehn Jahre später, im Herbst 1933, erfolgt eine erste öffentliche Diffamierung als "entarteter" Künstler durch die erste Feme-Ausstellung im Lichthof des Dresdener Rathauses. Mit den Säuberungsaktionen 1937 werden ca. 260 Werke aus deutschen Museen beschlagnahmt und ein Teil davon steht im Zentrum der Wanderausstellung "Entartete Kunst" in München. "Auch ich habe mich jahrzehntelang, ja praktisch immer, mit der Hässlichkeit beschäftigt; mit dem Fratzenhaften, den Grimassen", so noch einmal Baselitz‘ Legitimation für die Umsetzung dieses berühmten Dix'schen Motives.
Und welche Rolle spielt Goya?
Georg Baselitz malt 1982 "Nacht mit Hund". Für dieses Motiv und für eine Serie mit Radierungen zu schlafenden Hunden, die 1998 und 1999 entstehen, fühlt sich Baselitz angeregt von Francisco de Goyas sehnsüchtig blickendem Hund aus dessen Freskenzyklus der "Pinturas Negras", entstanden in den Jahren 1820 bis 1823, gemalt in einem Lebensabschnitt tiefster Depression. Mit Schmerz und Verzweiflung blickt Goya in eine immer dunklere, gewaltartige Kehrseite der Welt hinter den Kulissen des sozialen Gefüges, so dass es den Betrachter dauert und er unversehens an dem armen, unendlich traurigen Hund in stiller Klage hängenbleibt. Nur dessen Kopf reckt sich über den Rand eines Erdwalls.
Die Grundwerte von Schwarz, Gelb und Weiß fahren bei Baselitz auf der Leinwand ineinander. Ein gelber Balken markiert den oberen Bildrand, setzt eine Horizontlinie. Unter dem gelben Streifen liegt eine schwarze Schicht, die wohl einmal das ganze Bild grundierte, dann aber weiß übergangen wurde. Ein geschwärzter Mann hängt bis zu den Knien im gelben Horizont steckend kopfüber herab, hat im stummen Schrei den Mund geöffnet und schaut aus großen leeren Augen. Rechts neben ihm in einem Geflecht aus breiten gelbschwarzen Pinselstrichen ragt der schwarze Hund nur bis zum Hals sichtbar heraus – wie der Goyas. Ein Bild im Bild, rechteckig gerahmt von der Horizontlinie und dem beherrschenden Weiß der restlichen Bildfläche. Mensch und Hund schreien um dieselbe Sache, sind selber die Nacht und das Dunkel mitten am helllichten Tag. Tief stecken sie in einer desolaten Befindlichkeit und Verwirrung.
Nicht nur Dix und Goya oder auch Courbet sind in der Bilderwelt des Künstlers fest verankert, gehören zu seiner geistigen Vorbildsammlung ebenso wie auch die grafischen Arbeiten aus der Zeit des Manierismus, die Baselitz für sich entdeckt und sammelt und damit eine "Maniera Baselitz – Das Nonkonforme als Quelle der Phantasie" begründet, so mit einer Ausstellung des Kupferstich-Kabinetts 2018 in Dresden thematisiert: "[..] wie sich Georg Baselitz zu Beginn der 1960er-Jahre bewusst von der ungegenständlichen abstrakten Malerei abgrenzte. Nicht nur mit den gewählten Bildthemen stellte er sich gegen den damals vorherrschenden künstlerischen Zeitgeist" (zit. nach:
https://kupferstich-kabinett.skd.museum/ausstellungen/maniera-baselitz/).
"Ich bin ein deutscher Künstler und was ich mache, ist in der deutschen Tradition verwurzelt. Es ist hässlich und expressiv", sagt Georg Baselitz selbst (zit. nach: Siegfried Gohr, Paintings Don’t Come With Guarantees, in Flash Art 26/1993, Heft 171, S. 67-72). Für Baselitz geht es um eine Dekodierung von tradierten Menschen-, Rollen- und Gesellschaftsbildern. Dies beginnt sicher mit den neuen Typen, den "Hirten-" und "Helden-Bildern" und deren historischen Transformationen. Die Auseinandersetzung mit Otto Dix ist deshalb so direkt, expressiv, provokativ und basiert auf herausfordernden konzeptuellen Überlegungen, basiert ähnlich auf einer höchst individuellen Ästhetik, mit der einst Dix und jetzt Baselitz über Kunst und Gesellschaft reflektiert. Und das verbindet beide nachhaltig. [MvL]
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Dix besucht Goya, 2008.
Öl auf Leinwand
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