Auktion: 530 / Evening Sale / Sammlung Hermann Gerlinger am 10.06.2022 in München Lot 78

 

78
Konrad Lueg
Fußballer, 1964.
Kasein auf Leinwand
Schätzung:
€ 180.000
Ergebnis:
€ 262.500

(inklusive Aufgeld)
Fußballer. 1964.
Kasein auf Leinwand.
Verso auf der Leinwand signiert und datiert. 145 x 100 cm (57 x 39,3 in). [EH/JK].

• Erstmals auf dem internationalen Auktionsmarkt angeboten.
• Gemälde von Konrad Lueg werden außerordentlich selten auf dem Kunstmarkt angeboten.
• Dieses "Signature Piece" ist 1967 auf der maßgeblichen Schau "Figurationen" im Kunstgebäude am Schlossplatz in Stuttgart zu sehen.
• Konrad Lueg ist als Konrad Fischer einer der wichtigsten und einflussreichsten Galeristen für die Kunst der 1970er und 1980er Jahre.
• Über viele Jahre im Besitz der Sammlung Gustav A. und Stella Baum, Wuppertal.
• Im Städel Museum in Frankfurt a. M. befindet sich ein mehrfiguriges Fußballer-Bild von Konrad Lueg
.

PROVENIENZ:
Sammlung Gustav A. und Stella Baum, Wuppertal (seit 1964 über Galerie Parnass direkt vom Künstler erworben).
Privatsammlung Deutschland (durch Erbschaft vom Vorgenannten erhalten).
Privatsammlung Deutschland (vom Vorgenannten erworben).

AUSSTELLUNG:
Neue Realisten. Konrad Lueg, Sigmar Polke, Gerd Richter, Galerie Parnass, Wuppertal, 20.11.-30.12.1964.
Figurationen, Württembergischer Kunstverein, Kunstgebäude am Schlossplatz, Stuttgart, 29.7.-10.9.1967, Kat.-Nr. 99 (auf dem Keilrahmen mit einem Etikett).
Aufbrüche: Manifeste, Manifestationen: Positionen in der bildenden Kunst zu Beginn der 60er Jahre in Berlin, Düsseldorf und München, Städtische Kunsthalle, Düsseldorf, 12.10.-25.11.1984, Kat. - Nr. 34 (m. Abb. S. 105)
Ich nenne mich als Maler Konrad Lueg, PS 1 Contemporary Art Center Long Island City, New York / Kunsthalle Bielefeld / Stedelijk Museum voor Actuele Kunst, Gent, 12.9.1999-2.4.2000, Kat.-Nr. 35 (auf dem Keilrahmen mit einem Etikett).
Faszination Fussball, Museum Pfalzgalerie, Kaiserslautern, 6.5.-9.7.2006 m. Abb. im Begleitheft Kunst & Kicken.
Privat. Wuppertaler Sammler der Gegenwart im Von der Heydt-Museum, Von der Heydt-Museum, Wuppertal, 8.3.-24.5.2009.
Dauerleihgabe an das Von der Heydt-Museum, Wuppertal, bis 2020.

LITERATUR:
Günter Herzog, Ganz am Anfang / How it all began. Richter, Polke, Lueg & Kuttner, in: Sediment. Mitteilungen zur Geschichte des Kunsthandels, Heft 7, 2004 S. 18 ff. u. 85.
Ann-Katrin Günzel, Privat. Wuppertaler Sammler der Gegenwart, in: Kunstforum Bd. 179, S. 348ff.

1957 hatte Konrad Adenauer mit dem einfachen Slogan „Keine Experimente“ Wahlkampf gemacht und es war für die meisten Menschen in der jungen Bundesrepublik nicht ganz klar, was genau damit gemeint war. Die documenta II rief 1959 die Abstraktion – oder was man dem Zeitgeist entsprechend dafür hielt – gerade zur „Weltsprache“ aus, als sich in London und auch auf der anderen Seite des Atlantiks eine ganze Reihe junger Künstlerinnen und Künstler dafür interessierten, was der „schönen neuen Welt“ an neuen Bildern abzutrotzen war. Appetitanregende Vorlagen der Werbewelt, seien es Kühlschänke, flotte Schreibmaschinen oder trichterförmige Büstenhalter, wurden unter dem Motto „Look and Feel“, unter dem Zauberwort POP adaptiert. Für junge Künstler:innen war POP ein unausweichliches Phänomen geworden. Paris war das europäische Kunst-Zentrum der 1950er Jahre und auch in Düsseldorf waren die Voraussetzungen vergleichsweise günstig. Künstler wie Yves Klein hatten sogar „Le vide“ nach Krefeld gebracht, Objekte der „Nouveaux Réalistes“ kannte man vom Hörensagen und Alfred Schmela war die beste Adresse unter den progressiven Galerien im Rheinland. Als junger Künstler konnte man Pirat sein, endlich Bratwürste malen, Schwimmtiere, Starfighter oder eben Boxer und Fußballspieler. Während die Kritiker noch um Bezeichnungen ringen, kreieren die Künstler – so die Legende – im Mai 1963 als Teil einer wilden Aufzählung von Möglichkeiten den Begriff „Imperialistischer Realismus“, dem wenig später dann der noch schickere „Kapitalistische Realismus“ folgen sollte. „Poke in the eye“, damit hatten Sigmar Polke, Konrad Lueg, Manfred Kuttner und Gerhard Richter für ihre „Zweckgemeinschaft“ und „ein Leben mit Pop“ ein Label gefunden, unter dem sie bald auch international auftreten konnten: Als unauffällige, kurzhaarige Agenten des Pop, mit Anzug und Krawatte, gern auch mit cooler Sonnenbrille, „betont schüchtern“ in der Selbsteinschätzung, aber arrogant bis zur Schmerzgrenze, wenn es um das Voranbringen der eigenen Sache ging.

Konrad Lueg wollte Künstler werden. An der Hochschule in Düsseldorf studierte er bei Bruno Goller und K. O. Götz. Mit Richter, Polke und Kuttner, Klapheck und Brüning war das passende Umfeld gefunden. Lueg heißt eigentlich Konrad Fischer, so wie Gerhard Richter sich damals noch Gerd Richter nennt. Identitäten und zukünftige Karrieren werden mit verschiedensten Strategien höchst spielerisch angesteuert. Motivisch passen da Boxer und Fußballer ganz gut, sind sie doch die neuen „Helden“, die selbstverständlich keine sein dürfen, auch wenn sie längst die Lücke im System mit Understatement und „Volksnähe“ auszufüllen bereit sind. „Und im Hintergrund müsste Rahn schießen, und Rahn schießt … Tor! Tor! Tor!“ Eine zweideutig eindeutige Formulierung, die in der Konsequenz 1963 die erste Saison der Bundesliga bedeutet.

Bei Alfred Schmela hat der 25-jährige Lueg 1964 seine erste Einzelausstellung. Er zeigt Bilder von Fußballern und Boxern, unter anderem zwei isolierte Abwehrspieler (einer mit Rückennummer 4) als „Die Verlierer“. Ihren ersten Auftritt hatten sie im Stadion, dann als schwarz-weißes Zeitungsfoto und im dritten Anlauf als trauriges 115 auf 149 Zentimeter großes Bild in Plakafarben. Diese vergleichsweise günstige Kaseinfarbe für „angewandte Graphik“ trocknet schnell, garantiert das „flache“ Erscheinungsbild. Das ist unbedingt erwünscht, kann doch nach den „Matière première“-Schlachten des Informel, eine neue Kunst nur im überdeutlich sichtbaren Gegenteil bestehen. Unser Bild „Fußballer“, 1964, ist als das Spitzenbild der Serie schnell ausgemacht und bereits kurze Zeit später in Rudolf Jährlings Galerie Parnass zu sehen, ebenfalls eine Topadresse für die ganz heiße Kunst der Gegenwart. Der „Zweier“, ein Abwehrspieler, der „Zehner“ noch heute der Spielmacher. Die Avantgarde von hinten. Ein Spiel ohne Ball. Der Blick „straight“ in die Weite gerichtet. Der Süden ist blau, das Spielfeld seltsam weiß. Januar, Februar 1964 – Rasen im Schnee? Soviel Illusion muss sein. Das Bild, umgehend erworben vom äußerst progressiv agierenden Sammlerpaar Stella und Gustav Adolf Baum aus Wuppertal, wird schnell zum „Signature Piece“. Konrad Lueg ist umtriebig, viel unterwegs, kennt viele, sieht mehr als andere und gilt bald als gesetzt, wenn es um Nachwuchstalente im Rheinland geht. Die Fußballer werden für die Ausstellung „Figurationen“ im Württembergischen Kunstverein 1967 ausgewählt – die maßgebliche Schau für die aktuelle Kunst in Deutschland – und wird damit zu genau dem Bild, das die anderen Künstlerinnen und Künstler mit Lueg verbinden. Eine neue Generation. Alles ist möglich, alles ist offen.

Als Martina Weinhart und Max Hollein 2014 mit der Ausstellung „German Pop“ in der Frankfurter Schirn Kunsthalle eine „deutsche Pop-Art“ als eigenwillige Spielvariante eines inzwischen als „internationales Phänomen“ erkannten Stilpluralismus in die Kunstgeschichte einschreiben, sind es die Boxer von Konrad Lueg, die den Plafond für die Typografie des Covers bilden.
Konrad Lueg „als Maler“ war nicht angetreten, um unreflektierten Optimismus zu produzieren. Sein künstlerisches Werk war von Beginn an konzeptuell in der Anlage. Es „endet“ mit einer Patentanmeldung für Schattenbilder von Besuchern einer Ausstellung – nur für Minuten sichtbar, dann verloren. Dass Konrad Lueg als Konrad Fischer einer der wichtigsten und einflussreichsten Galeristen für die Kunst der 1970er und 1980er Jahre werden sollte, ist eine andere Geschichte. [AH]



78
Konrad Lueg
Fußballer, 1964.
Kasein auf Leinwand
Schätzung:
€ 180.000
Ergebnis:
€ 262.500

(inklusive Aufgeld)