Auktion: 540 / Evening Sale am 09.06.2023 in München Lot 25

 

25
Otto Dix
Stillende Mutter, 1932.
Öl auf massiver Holzplatte
Schätzung:
€ 150.000
Ergebnis:
€ 190.500

(inklusive Aufgeld)
Stillende Mutter. 1932.
Öl auf massiver Holzplatte.
Löffler 1932/12. Am Unterrand in der Darstellung monogrammiert und datiert. 80 x 60 cm (31,4 x 23,6 in).
[JS].

• In neusachlich reduziertem Stil inszeniert Dix in räumlicher Kargheit den Anfang des Lebens als vergänglichen Moment reiner Liebe.
• Dix` "Stillende Mutter" basiert auf der Tradition des Madonnenbildnisses und transportiert das Ideal eines unschuldigen, hoffnungsvollen Anfangs in die Moderne.
• Faszinierendes Zeugnis von Dix' meisterlichem Spiel mit der kunsthistorischen Tradition.
• Leben und Tod sind die zentralen Motivkomplexe in Dix' wechselvollem Œuvre.
• Ebenfalls 1932 vollendet Dix das berühmte, an mittelalterliche Altaraufbauten erinnernde und den Schrecken des Ersten Weltkrieges gewidmete Triptychon "Der Krieg" (Staatliche Kunstsammlungen, Dresden).
• Bedeutende Provenienz: Ehemals Teil der Moderne-Sammlung des Hollywood-Regiseurs Josef von Sternberg, anschließend Sammlung Serge Sabarsky, New York
.

PROVENIENZ: Sammlung Josef von Sternberg (spätestens 1935 bis mindestens 1949, wohl bis mindestens 1960).
Salander O'Reilly Galleries, New York.
Sammlung Serge Sabarsky (1912-1996), New York (1995 vom Vorgenannten erworben).
Nachlass Serge Sabarsky, New York (seit 1996).
Sammlung Vally Sabarsky (1902-2002), New York.
Vally Sabarsky Stiftung, New York (seit 2002).

AUSSTELLUNG: From the Collection of Josef von Sternberg, Los Angeles Museum of History, Science and Art, Los Angeles 15.6.-31.7.1935, Kat.-Nr. 6.
The Collection of Josef von Sternberg, Los Angeles County Museum, 1943, ohne Kat.-Nr., mit Abb.
Otto Dix, Museum Neue Galerie, New York, 11.3.-30.8.2010.

LITERATUR: Josef von Sternberg Collection of Modern Paintings/, Drawings, Modern African, Asiatic Sculptures, Parke-Bernet Galleries, New York, 22.11.1949, Los 83 (unverkauft).
Fritz Löffler, Otto Dix. Leben und Werk, Dresden/Wien, 1967, S. 80, SW-Abb. 137.
Heinz-Egon Kleine-Natrop/Fritz Löffler, Die Medizin im Werke von Otto Dix, in: Personal- und Vorlesungsverzeichnis der Medizinischen Akademie Carl Gustav Carus, Dresden 1968, S. 25, Abb 21.
Jung-Tee Kim, Frauenbilder von Otto Dix: Wirklichkeit und Selbstbekenntnis, Münster/Hamburg 1994, S. 99-100 u. 230, SW-Abb. 102.

"Am liebsten sehe ich die Urthemen der Menschheit mit meinen eigenen Augen neu."

Otto Dix, zit. nach: Rainer Beck, Otto Dix. Die kosmischen Bilder, Dresden 2003, S. 122.

Es sind die "Urthemen der Menschheit", Leben und Tod, die im Fokus von Otto Dix' faszinierend stilpluralistischem Œuvre stehen. Nach impressionistischen Anfängen findet der 21-jährige Dix spätesten 1912 mit seinem an mittelalterlichen Porträts orientierten "Selbstbildnis mit Nelke" (The Detroit Institute of Art, Michigan) eine Klarheit der Form und des Ausdrucks, die für sein weiteres Schaffen prägend sein wird: Seien es die in kubistisch-orphistischer Manier zerlegten Kriegsvisionen oder die in verstörend überzeichnetem kritischen Realismus eingefangenen Figurenbilder, in denen Dix gesellschaftliche Misstände, Armut und Not der einfachen Bevölkerung anprangert. Dix fasziniert immer durch die formale Klarheit seiner Malerei. Mit dem Motivkomplex Mutter mit Säugling, der in direkter Verbindung zum Thema Geburt und dem Anfang des Lebens steht, hat Dix sich erstmals 1921 in dem Gemälde "Frau mit Kind" (Staatliche Kunstsammlungen, Dresden) auseinandergesetzt. Dort ist es eine von Armut gezeichnete Frau, die mit ausgezehrtem Gesicht und tief eingegrabenen Augenhöhlen den Säugling auf ihrem Arm, als den hoffnungsvollen Beginn neuen Lebens, präsentiert. Es ist der Neuanfang, die Ursprünglichkeit und Reinheit des Lebens, die Dix an dieser Motivik reizt. Während etwa das berühmte Bildnis seiner Eltern oder seine weiblichen Akte von der Arbeit und dem Leben gezeichnete Gestalten in einer desillusionierten, überzeichneten Körperlichkeit zeigen, ist es allein das neugeborene Kind, dem für einen kurzen, anfänglichen Moment noch das Hoffen auf ein besseres, erfülltes Leben innewohnt. Mit der Geburt seiner eigenen drei Kinder Nelly, Ursus und Jan, die zwischen 1923 und 1928 zur Welt kommen, gewinnt diese Motivik für Dix' Schaffen nochmal an Bedeutung. Fasziniert von dieser Ursprünglichkeit des Anfangs malt Dix 1927 das in seiner Direktheit geradezu verstörende Gemälde "Neugeborener mit Nabelschnur auf Tuch (Ursus)" (Staatliche Kunstsammlungen, Dresden), auf dem sich der frisch geborene Säugling mit angstvoll verzerrtem, rot angelaufenem Gesicht ins Leben schreit. 1929 entsteht das Gemälde "Frau Martha Dix mit Jan" und in den Folgejahren mehrfach Darstellungen von Schwangeren, die, gequält von der Last ihrer mächtigen Körper, neues Leben in sich tragen. 1932 dann folgt unsere "Stillende Mutter", diein räumlicher Kargheit ihren sanft geneigten Kopf in voller Hingabe dem Kind zuwendet und trotz ihrer Einfachheit in ihrer Innigkeit und Verklärung an berühmte Marienbildnisse der Renaissance erinnert, wie etwa die lange Zeit Leonardo zugeschriebene, ebenfalls stillende "Madonna Litta" (Eremitage, St. Petersburg). Dix hat uns in diesem Gemälde eine der Sinnlichkeit und Reinheit des Lebensanfangs gewidmete Komposition von klassischer Schönheit hinterlassen. Einmal mehr zeigt sich hier, dass Dix' Schaffen um die existenziellen Themen Leben und Tod kreist und dass er ein Meister der künstlerichen Adaption und Transformation ist, der die kunsthistorische Bildtradition – wie in "Stillende Mutter" – immer wieder souverän für seine Zwecke zu bespielen weiß. Ebenfalls 1932 vollendet Dix sein berühmtes Triptychon "Der Krieg" (Staatliche Kunstsammlungen, Dresden), das sich in seiner formalen Vierteilung an mittelalterlichen Altaraufbauten orientiert. Es ist den Erfahrungen von Leid und Tod im Ersten Weltkrieg gewidmet und zählt heute zu den Schlüsselwerken des deutschen Realismus. Im Jahr 1932 also prallen diese beiden extremen Positionen von Leben und Tod in Dix' Œuvre unmittelbar aufeinander. 1933 wird der Künstler von den Nationalsozialisten aus seiner Professur an der Dresdener Kunstakademie entlassen. Und 1934 malt Dix sein heute leider zerstörtes "Selbstbildnis mit Ursus und Jan", das sich hinsichtlich des Landschaftsausblickes und der Motivik des auf den Schultern des Künstlers getragenen Knaben deutlich an mittelalterlichen Darstellungen des hl. Christophorus orientiert, der in seiner Funktion als Schutzpatron das Jesuskind und damit das neue Leben schützend auf seinen Schultern durch die Gefahren des Lebens trägt. [JS]



25
Otto Dix
Stillende Mutter, 1932.
Öl auf massiver Holzplatte
Schätzung:
€ 150.000
Ergebnis:
€ 190.500

(inklusive Aufgeld)