Auktion: 502 / Klassische Moderne II am 18.07.2020 in München Lot 421

 

421
Jacques Lipchitz
Nature morte aux instruments de musique, 1918/19.
Bronzerelief mit grünlich-brauner Patina
Schätzung:
€ 40.000
Ergebnis:
€ 50.000

(inkl. Käuferaufgeld)
Nature morte aux instruments de musique. 1918/19.
Bronzerelief mit grünlich-brauner Patina.
Vgl. Wilkinson 76. Links unten mit dem Monogramm des Künstlers sowie seitlich mit dem Daumenabdruck des Künstlers. Eines von 9 bekannten Exemplaren mit dieser Motivik. Jedes Exemplar basiert auf einem eigens angefertigten Wachsmodell. 55,8 x 70,3 x 3 cm (21,9 x 27,6 x 1,1 in).
Es handelt sich hierbei um einen Lebzeitguss, ca. 1960er Jahre, vermutlich gegossen bei Modern Art Foundry, New York. Weitere Exemplare dieser Motivik befinden sich bspw. im Kunstmuseum Basel und im Museum Boijmans van Beuningen, Rotterdam (Gips im Kröller-Müller-Museum, Otterlo, Steinrelief im Sprengel Museum, Hannover).
• Lebzeitguss
• Weitere Exemplare befinden sich in Europäischen Museen
• Der Austausch mit den Kubisten Georges Braque und Pablo Picasso führt zu Zeichnungen und Gouachen sowie ersten polychromen Steinreliefs, in denen Lipchitz die malerischen Prinzipien in die Dreidimensionalität zu überführen sucht
.

Mit einer Expertise von Prof. Dr. Kosme de Barañano, Valencia, der die Arbeit im Original begutachtet hat.

PROVENIENZ: Privatsammlung Paris.
Sammlung Marie-Claire Cotinaud, Paris.
Galerie Brusberg, Berlin.
Privatsammlung Niedersachsen (2008 vom Vorgenannten erworben).

AUSSTELLUNG: Kreuzfahrt 1900-2000. Bilder aus einem Jahrhundert, Galerie Brusberg, Berlin, 18.11.2000-27.1.2001, Kat.-Nr. 74.

LITERATUR: Haftpflichtverband der deutschen Industrie (Hrsg.), Kunst im HDI. Ein Seh- und Lesebuch in drei Kapiteln, Hannover 2002, S. 19 (mit Abb.).
"L’importance historique du relief reside dans son style reflet d’idées esthétiques des deux artistes, Lipchitz et Gris."
Prof. Dr. A. M. Hammacher, Kunsthistoriker und Verfasser der Monografie "Jacques Lipchitz. His Sculpture" über die hier vorliegende Arbeit, 2.2.1992.

Während des Ersten Weltkriegs verbringt Jacques Lipchitz zusammen mit dem spanischen Maler Juan Gris (1887-1927) den Frühling und Sommer in Beaulieu-lès-Loches, um sich dem Pariser Kriegsgeschehen zu entziehen und seiner künstlerischen Arbeit nachgehen können. In dem fruchtbaren Austausch mit dem neben Georges Braque und Pablo Picasso wichtigsten Vertreter des französischen Kubismus entstehen Zeichnungen und Gouachen sowie erste polychrome Steinreliefs, in denen Lipchitz die malerischen Prinzipien in die Dreidimensionalität zu überführen sucht. Eine erste motivische Studie zu unserem Relief lässt er nach der Rückkehr nach Paris Ende September 1918 von einem ihm von seinem Galeristen Léonce Rosenberg zur Verfügung gestellten Assistenten in Stein schneiden (präsentiert 1920 während seiner ersten Einzelausstellung in dessen Galerie L’Effort moderne, Paris; heute Sprengel Museum, Hannover). Nach der Trennung von Rosenberg kauft er seine Gipsmodelle zurück und beginnt, sich selbst um seine Güsse zu kümmern, die er bei C. Valsuani anfertigen lässt. Als mittlerweile anerkannter Künstler erhält er private Aufträge und die Nachfrage nach weiteren Exemplaren seiner Skulpturen steigt. Besonders die Reliefs mit Musikinstrumenten, ein beliebtes kubistisches Thema, stoßen international auf Begeisterung - so gibt der amerikanische Kunstsammler und Mäzen Albert C. Barnes für das Gebäude seiner gerade im Bau befindlichen Barnes Foundation bei Philadelphia ab 1922 mehrere solcher Reliefs in Stein in Auftrag und erwirbt zahlreiche Skulpturen von Lipchitz, was seinen Bekanntheitsgrad in den USA immens steigert (vgl. Kosme de Barañano, Jacques Lipchitz: The Paris Years, Ausst.-Kat. Marlborough Gallery, New York 2019, S. 3-4). Die letzten kubistischen Reliefs entstehen um 1924. Sein Arbeitsprozess gestaltet sich dabei folgendermaßen: Nach einem Tonmodell, orientiert an vorhergehenden Zeichnungen, teils aber auch in spontaner Entwicklung der Form, wird ein Gipsmodell erstellt (vgl. dazu eine Gipsversion unserer Motivik im Kröller-Müller-Museum Otterlo, vgl. Kosme de Barañano, Jacques Lipchitz. The Plasters. A catalogue raisonné 1911-1973, Bilbao 2009, S. 115, Nr. 43). Dieses Gipsmodell dient wiederum der Anfertigung eines Bronzegusses mithilfe des Verfahrens der verlorenen Form („cire perdue“). Das Verfahren bietet den Vorteil, dass für jeden Guss ein Wachsmodell produziert wird, welches vom Künstler noch in der Gießerei individuell bearbeitet werden kann, worauf Lipchitz großen Wert legt. Durch die Bearbeitung der Oberfläche und kleine Veränderungen bewirkt er, dass jede seiner Skulpturen ein einzigartiges, durch seine Hände gegangenes Werk darstellt - keine Reproduktion, sondern ein Unikat. In den USA, wo er sich 1946 in Hastings-on-Hudson bei New York niederlässt, entwickelt er während der engen Zusammenarbeit mit der Gießerei Modern Art Foundry eine zusätzliche Methode der Signatur: Er drückt seinen Daumen in ein Stück Wachs und bringt dieses vor dem Gussvorgang als Zeichen seiner eigenhändigen Beteiligung am Wachsmodell an. Vermutlich ab 1963 entstehen in New York erste Güsse der „Nature morte“, nachdem Lipchitz die restlichen noch in Paris verbliebenen Gipsmodelle seiner kubistischen Reliefs dorthin hatte schicken lassen - möglicherweise in Vorbereitung der zahlreichen ihm in den USA gewidmeten Retrospektiven der 1960er Jahre, die sich vor allem für die kubistischen Jahre interessieren. Als einer der wichtigsten Bildhauer des 20. Jahrhunderts befinden sich seine Arbeiten in großen internationalen Sammlungen wie dem Museum of Modern Art in New York, der National Gallery of Art in Washington sowie der Tate Gallery in London. Vor allem die wenigen Reliefs der kubistischen Phase beeindrucken durch die besondere künstlerische Ausdruckskraft der klaren Formen im Zusammenspiel mit der schweren Materialität des Bronzegusses. [KT]



421
Jacques Lipchitz
Nature morte aux instruments de musique, 1918/19.
Bronzerelief mit grünlich-brauner Patina
Schätzung:
€ 40.000
Ergebnis:
€ 50.000

(inkl. Käuferaufgeld)