Auktion: 523 / Kunst des 19. Jahrhunderts am 11.12.2021 in München Lot 345

 

345
Max Liebermann
Dorfhäuser mit Sonnenblumen, 1890.
Öl auf Holz
Schätzung:
€ 70.000
Ergebnis:
€ 118.750

(inklusive Aufgeld)
Dorfhäuser mit Sonnenblumen. 1890.
Öl auf Holz.
Eberle 1890/16. Rechts unten signiert und datiert. 41 x 60 cm (16,1 x 23,6 in).
[JS].
• Frühe holländische Landschaft des großen deutschen Impressionisten.
• Mit impressionistischer Meisterschaft steigert Liebermann eine alltägliche Szenerie zu einer malerischen Delikatesse.
• Wunderbar sind die souverän gesetzten Lichtpunkte, die den bewegten und spontanen Farbauftrag rhythmisieren.
• Weitere holländische Landschaften Liebermanns befinden sich u. a. in der Alten Nationalgalerie, Berlin, der Kunsthalle Hamburg und dem Städel Museum, Frankfurt a. Main
.

Wir danken Dr. Imke Gielen, Berlin, für die freundliche Unterstützung und gute Zusammenarbeit.

PROVENIENZ: Georg Cohn, Breslau (mindestens seit 1914-1924).
Johanna Cohn, verwitwete Glücksmann, geb. Schäfer, Breslau (wohl seit 1924 durch Erbgang vom Vorgenannten).
Wohl Breslauer Paketfahrt-Gesellschaft (mindestens seit März 1939, eingelagert aus dem gemeinsamen Hausstand von Johanna Cohn und ihrer Tochter Fanny Cohn, Beschlagnahme am 30.9.1941).
Hermann Petschel, Breslau (30.9.1941-Juli 1942).
Schlesisches Museum für bildende Künste, Breslau (im Juli 1942 vom Vorgenannten erworben).
Galerie Norbert Nusser, München (nach 1954, vor 1977).
Privatsammlung Hessen.
Privatsammlung Aschaffenburg (mindestens 1990er Jahre -2011: Ketterer Kunst, 10.12.2011, Los 10).
Privatsammlung Österreich (2011 vom Vorgenannten erworben).
Gütliche Einigung mit den Erben nach Johanna Cohn (2021).

Das Werk ist frei von Restitutionsansprüchen. Das Angebot erfolgt in freundlichem Einvernehmen mit den Erben nach Johanna Cohn auf Grundlage einer fairen und gerechten Lösung.

LITERATUR: Zugangsbuch des Museums der Bildenden Künste zu Breslau, Juli 1942, Max Liebermann - Häuser, Nr. 28325 (Nachlass Grundmann, Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung, Marburg, DSHI-100 Grundmann).
Wilhelm Arntz Papers, Max Liebermann, Dorfhäuser mit Sonnenblumen, Karteikarte und Foto (The Getty Research Institute, Los Angeles, Special Collections, Box 55, Folder 3).
Erich Hancke, Max Liebermann. Sein Leben und seine Werke, Berlin 1914, Verzeichnis der Werke S. 535 (mit Abb. auf S. 256).
Erich Hancke, Max Liebermann. Sein Leben und seine Werke, 2. leicht veränderte Auflage, Berlin 1923 (mit Abb. auf S. 256).
Holly Prentiss Richardson, Landscape in the work of Max Liebermann, Phil. Diss. Brown University, Ann Arbor 1991, Vol. II, S. 67, Nr. 163.
Ketterer Kunst, München, Auktion 386, Moderne Kunst, 10.12.2011, Los 10 (mit Abb.).

Max Liebermann gilt als der Maler des deutschen Impressionismus. Unter den deutschen Künstlern ist kaum einer dem französischen Impressionismus näher gekommen als er. Zu seinen französischen Vorbildern zählt besonders Jean-François Millet, dessen Realismus in der Schilderung der Alltagswelt Liebermann in seine Bilderwelt einfließen lässt. Aber mehr noch ist Liebermann fasziniert von den holländischen Landschaften, Ortschaften und Städten und der modernen, sogenannten Haager Schule. Insbesondere mit deren wohl wichtigstem Vertreter, Jozef Israëls, verbindet Liebermann ab Anfang der 1880er Jahre eine tiefe Freundschaft; auch die Reise nach der Hochzeit Liebermanns mit Martha 1884 durch Holland unternehmen die Ehepaare gemeinsam. „Holländische“ Beobachtungen in zahlreichen Studien und Skizzen verarbeitet er anschließend zu Gemälden im Berliner Atelier am Pariser Platz, unmittelbar neben dem Brandenburger Tor. So entsteht wohl auch diese „bezaubernde Delikatesse“ (Matthias Eberle, Max Liebermann 1847-1935. Werkverzeichnis der Gemälde und Ölstudien, München 1995, Bd. 1, S. 370), an der sich auch Stil-Veränderungen, die der Maler in dieser Zeit um die 1890er Jahre vornimmt, wahrnehmen lassen: Die Palette hellt sich langsam auf, die Bilder erscheinen skizzenhafter, weg vom Naturalismus und hin zum Impressionismus. So zeigt Liebermanns intime Ansicht eines Gartens inmitten einer dörflichen Szene mit Blick auf einen Komposthaufen hinter einer Mauer, mit großgewachsenen Sonnenblumen, dem dahinter geduckten, riedgedeckten Haus, die herztiefe Bewunderung des Malers für das einfache Leben in seiner Wahlheimat. „Die Rolle, die dieses Land in seinem Leben spielt, die Wahlverwandtschaft, die ihn damit verbindet, ist ebenso rätselhaft, wie von elementarer Kraft. Sie lässt an die Wiederkunft aller Wesen denken und lockt uns mit Gedanken an ein früheres, als Holländer verlebtes Dasein“, bemerkt Erich Hancke, ein eher kritischer Begleiter Liebermanns, in seinem 1914 bei Bruno Cassirer erschienenen Buch über Leben und Werk des Künstlers (S. 113).
In bewegter und spontaner Pinselführung und einem eher pastosen Farbauftrag erreicht Liebermann in dieser Komposition eine besondere atmosphärische Wirkung. Hierfür reichen wenige helle Licht-Flecken, um die verschiedenen Ebenen der Rhythmisierung der Farbkontraste zu unterstützen. Auch Schattenbereiche sind keineswegs farblos, große Flächen wie die Dächer der Häuser und die Wiese im Vordergrund belebt der Künstler mit feiner, schnell aufgetragener Farbmodulation; allein mit der abgewandten Frau in holländischer Tracht vermag Liebermann die typische Szenerie eines Hinterhofes zu zentrieren und dieses bäuerliche Sujet mit dem kleinfigurigen Genre, eine sozialromantische Utopie der einfachen Leute, mit großer Malerei festzuhalten.

Das so friedlich und stimmungsvoll anmutende Gemälde blickt auf eine bewegte Geschichte zurück, die erst durch eine mehrjährige Recherche des Auktionshauses Ketterer Kunst aufgedeckt werden konnte. Spätestens seit 1914 befindet sich das Bild in der Breslauer Sammlung von Georg Cohn, als Direktor des Schlesischen Bankvereins eine gesellschaftliche Größe der Stadt. Als Georg Cohn verstirbt, bleibt das Gemälde offenbar bei seiner Tochter, der unverheirateten Medizinerin Fanny, die sich mit ihrer nun verwitweten Mutter Johanna eine Wohnung in Breslau teilt. Doch die nationalsozialistische Verfolgung vertreibt die Familie aus ihrer Heimatstadt. Nur Sophie, Johannas Tochter aus erster Ehe, bleibt zurück. Mit viel Glück entgeht sie nach fast zweijährigem Martyrium in Theresienstadt dem sicheren Tod. Johanna und Fanny Cohn, auch der Bruder Fritz mit seiner Familie fliehen 1939 in die Niederlande, wo Johanna kaum ein Jahr später verstirbt. Fritz Cohn wähnt sich mit Frau und Kind sicher. Alle drei werden in Auschwitz ermordet. Allein Fanny kann sich retten. Ihr gelingt die Flucht nach Glasgow, wo sie fortan als Ärztin tätig ist. Das Liebermann-Gemälde mit den Sonnenblumen soll sie nie vergessen. Noch heute erinnert sich eine hochbetagte Freundin an Gespräche über das Bild, das Fanny seit ihrer Flucht nie mehr gesehen hat. Denn die gesamte Einrichtung der Breslauer Wohnung, Möbel, Bilder, Kunstgegenstände, müssen Fanny und ihre Mutter 1939 zurücklassen. Die Gestapo beschlagnahmt das Umzugsgut 1941 und übergibt es dem Versteigerer Petschel zur weiteren „Verwertung“. Aus seinen Händen erhält das Museum für bildende Künste in Breslau wenig später das Werk „Häuser“ von Max Liebermann, um es bald darauf weiterzuverkaufen.
Heute findet die bewegte Geschichte von „Dorfhäuser mit Sonnenblumen“ ein gutes Ende: Das Gemälde wird in bestem Einvernehmen mit den Erben der Familie Cohn auf Grundlage einer „fairen und gerechten Lösung“ im Sinne der Washingtoner Prinzipien angeboten. [MvL/AT]



345
Max Liebermann
Dorfhäuser mit Sonnenblumen, 1890.
Öl auf Holz
Schätzung:
€ 70.000
Ergebnis:
€ 118.750

(inklusive Aufgeld)