Auktion: 520 / Evening Sale am 18.06.2021 in München Lot 332

 

332
Emil Nolde
Landschaft mit Mutterpferd, 1925.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 600.000
Ergebnis:
€ 745.000

(inkl. Käuferaufgeld)
Landschaft mit Mutterpferd. 1925.
Öl auf Leinwand.
Urban 1018. Links unten signiert. Auf dem Keilrahmen nochmals signiert sowie betitelt. 73 x 88 cm (28,7 x 34,6 in).

• Ein Werk mit bewegter Geschichte - es ist nur drei Tage öffentlich zu sehen, bevor die Ausstellung geschlossen wird und Nolde das Werk bis zum Ende des 2. Weltkriegs in einer Scheune versteckt.
• Lückenlose Provenienz - bis jetzt nur zwei Besitzer nach Nolde selbst.
• Das Gemälde "Junge Pferde" mit einem ähnlichen Motiv befindet sich in der Sammlung des Guggenheim Museums, New York.
• Geheimnisvolle Veränderung von "Landschaft mit weißem Mutterpferd" in eine "Landschaft mit 'blauem' Mutterpferd"
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PROVENIENZ: Christian Thomsen, Husum (seit 1950, direkt vom Künstler -1984, Sotheby’s, London, 4.12.1984).
Privatsammlung (1984 vom Vorgenannten erworben).

AUSSTELLUNG: Emil Nolde. Gemälde und Aquarelle, Das Kunsthaus, Rudolf Probst, Mannheim, 1937.

LITERATUR: Sotheby’s, London, 4.12.1984, Los 37.

"Hier gehen die Herbstwinde übers Haus von Meer zu Meer."
Emil Nolde am 25. Oktober 1925 an seinen Freund und Sammler, den Museumsdirektor Max Sauerland.
"Unsere Landschaft ist bescheiden, allem Berauschenden, Üppigen fern, das wissen wir, aber sie gibt dem intimen Beobachter für seine Liebe zu ihr unendlich viel an stiller, inniger Schönheit, an herber Größe und auch an stürmisch wildem Leben."
Emil Nolde, Reisen, Ächtung, Befreiung. 1919-1946, hg. von der Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde, 3. Aufl., Köln 1978, S. 9.


Das alte Haus nahe der Westküste

Wohl 1913, vor der Reise in die Südsee, erwerben Ada und Emil Nolde "Utenwarf", ein altes, verlassenes, renovierungsbedürftiges Bauernhaus, mit etwas Grund an der Wiedau in der Nähe von Tønder. Zu diesem Stück Land entwickelt das Ehepaar eine tiefe Verbundenheit, auch wenn der Anfang sich etwas holprig gestaltet. Der Krieg und ihre finanzielle Situation nach der Rückkehr von der Expedition aus Asien im Jahre 1914 verhindern einen Neubau ebenso wie eine Renovierung. „Mit unserem ‚Utenwarf’ konnten wir nichts anfangen“, so Nolde in seiner Biografie "Mein Leben". „Das alte Haus war unbewohnbar, ein neues durften wir während der Kriegszeit nicht bauen. Es zog uns aber unwiderstehlich nach dort. Wir packten ein paar Koffer und zogen hinüber. Das alte Boot, zum Haus gehörend, lag unserer wartend. Die Neuguinea-Ausrüstung und die Feldbetten taten wieder Dienste. Unsere Reiselust und der Tatendrang waren wieder in Bewegung. Wir beschafften uns Spaten und Sense. Wir fischten, wir rodeten den Fahrgraben, und wir arbeiteten im Garten, wo alles eine wüste Wildnis war. Wir flickten am Haus und lebten, wie Zigeuner leben. [..] Zwar arbeitete ich während dieser Wochen auf Utenwarf künstlerisch nichts. Aber dafür hatte ich vordem während fast zwei Jahren ununterbrochen gezeichnet und gemalt, und viele kleine Notizen und Skizzen vom Landleben, den grasenden Tieren, den jungen Pferden und den Wolken darüber waren als Vorarbeiten für Bilder entstanden. Mit Wolken und Stimmungen der heimatlichen Gegend war ich wie verwachsen, besonderes Schönes verblieb dem Gedächtnis für immer.“ (Emil Nolde, Mein Leben, Köln 1976/1993, S. 308)
Nach diesen Skizzen entstehen fünf Landschaftsbilder mit verschiedenen Darstellungen von Pferden auf der Weide. Im Jahr 1925 während des Sommeraufenthalts auf Utenwarf nimmt er das Thema wieder auf und es entsteht „Landschaft mit Mutterpferd“. Erst 1916 können Ada und Emil Nolde Utenwarf nach ihren Wünschen um- und ausbauen und ihren weithin berühmten Garten anlegen. Damit beginnt für Nolde eine neue künstlerische Phase. „Es war herrlich, wenn um uns in meilenweiter Sicht alles nur Wasser war, wenn der hohe Himmel sich spiegelte, oder wenn in der Nacht der Mond mit seinem kalten Glanz ein Silbermärchenland bildete. Wir hatten es auch gern, wenn der Weg vom alten Deich bis zu uns hinüber mit Reisern abgesteckt war, und wenn unser Pferd so hoch, wie seine Beine waren, durch das Wasser den Wagen ziehen mußte. Und schön war es, wenn der Wind in langen Streifen die Wellen peitschte, oder die farbigen Morgen- und Abendwolken sich in der Wasserfläche verdoppelten. Viel Romantik und viel Ungemach, aber die Schönheit vermochte alles andere zu ersetzen“, so Nolde begeistert über die neue Landschaft (ebd., S. 321). Die „Landschaft mit Mutterpferd“ könnte ein Abschiedsgruß an sein geliebtes Utenwarf sein. Im selben Zeitraum, in dem das Gemälde entsteht - im Sommer 1925 -, sieht sich das Ehepaar Nolde gezwungen das Gehöft aufzugeben. Die dänische Regierung plant die Wiedau-Niederung zu entwässern und zu kultivieren; damit geht der ursprüngliche Charakter der Landschaft verloren. Ein für Nolde nicht zu akzeptierendes Faktum. Nicht weit entfernt von Utenwarf finden Noldes auf der deutschen Seite eine leer stehendes Gehöft auf einer Warft. In Seebüll entsteht 1927 das Haus mit Atelier nach Noldes eigenen Entwürfen, womit ein neuer Abschnitt seines Lebens beginnt.

"Mit Wolken und Stimmungen der heimatlichen Gegend war ich wie verwachsen"

Und seine Empfindung für diesen tief geliebten Landstrich teilt sich uns mit bei der Betrachtung der Landschaft mit dem blauen Mutterpferd und der im Kontrast voll rot leuchtenden Mähne. Es hat vor Kurzem geworfen, steht hinter dem rotbraun gefärbten Fohlen, um es vor dem bisweilen scharfen Wind zu schützen, am Rande eines schmalen Kanals mit Schleuse, der das weite Grasland entwässernd durchschneidet. Die Wolken hängen tief, sind prall gefüllt mit Regen, ihre Ränder reflektieren das dottergelbe Licht der untergehenden Sonne. Über das weite, tiefgrüne Weideland mit der schemenhaften Silhouette eines Hofes weit im Hintergrund bricht langsam die Dunkelheit der Nacht herein. Nolde ist sichtbar beeindruckt von der Schönheit der herben Landschaft und dem Naturschauspiel von Wolken, Wasser und stetig wechselnden Lichtverhältnissen. Zugleich findet er hier die gesuchte Ursprünglichkeit, die ein Eintauchen und Einswerden mit der Natur während seiner intensiven Malprozesse möglich macht. Der dramatische bildbeherrschende Himmel über weiter Landschaft wird zum Markenzeichen von Noldes Kunst. Hier hat er seine schönsten und beeindruckendsten Kompositionen entwickelt. Zeit seines Lebens bleibt Nolde mit der Natur verbunden. Oft legt er den Fokus entweder auf alleinige Landschaftsdarstellung oder detailgenaue Tierbeobachtungen, wie sie unter anderem im Berliner Zoo entstehen. In „Landschaft mit Mutterpferd“ haben wir eine besondere Kombination von beidem. Sie erzählt von der tiefen Verbundenheit Noldes mit seiner friesischen Heimat, mit dem Land zwischen den Meeren - an diesen flachen, ursprünglichen Landstrich, den wohl viele als langweilig bezeichnen würden. Diese vermeintlich unspannende Marsch setzt Nolde schwelgerisch in Szene. Den Horizont setzt er tief, um dem Himmel und seinen Phänomenen größtmöglichen Raum und Wirkung zu geben. Je nach Jahreszeit, Wetterlage und Tageszeit fängt er die Besonderheiten des Naturschauspiels ein. Die Elemente, die Natur und ihre Kreaturen bilden eine untrennbare Einheit. Diese Magie fängt Nolde in seinen Werken ein. Wie kein Zweiter vermag Nolde es, sein empathisches Naturempfinden auf die Leinwand zu bannen.

Die unerzählte Geschichte hinter dem Bild

Wie üblich vermerkt der Künstler auf dem Keilrahmen mit Tuschpinsel seinen Namen und schließt den Titel an: in diesem Fall „Landschaft“. Den Titel ergänzt der Künstler mit blauer Kreide in Klammern „(mit weißem Mutterpferd)“. Diesen Titel finden wir in dem vom Künstler angelegten Verzeichnis der Gemälde unter dem Jahr „1930: ‚1925 Landschaft (mit weißem Mutterpferd)‘“. Nachdem Nolde das ehedem weiße Pferd mit Blau übermalt, korrigiert er den Titel und streicht „weißem“ mit Bleistift durch. Wann Nolde die Farbe des Pferdes verändert, ist ungewiss. Prof. Manfred Reuther, langjähriger Leiter der Ada und Emil Nolde-Stiftung und versierter Kenner, vermutet den Zeitraum zwischen 1930 und 1937, vielleicht im Zusammenhang mit der Vorbereitung der Mannheimer Ausstellung. Im August 1937 plant der Kunsthändler Rudolf Probst in seinem Mannheimer „Das Kunsthaus“ zum siebzigsten Geburtstag des Malers eine Ausstellung mit immerhin 92 Gemälden und Aquarellen. Nach drei Tagen wird diese durch den Präsidenten der Reichskunstkammer Ziegler, der mit drei Herren angereist ist, geschlossen und der Verkauf der Bilder verboten. In der chronologisch geordneten Bilderliste vom 4. Oktober 1937 nennt Rudolf Probst neben der "Landschaft (mit rotem Mutterpferd)" (Urban 1017) auch das Gemälde "Landschaft (mit Mutterpferd)" (Urban 1018) von 1925, das sich inzwischen gegenüber seinen Ursprüngen geändert haben wird. Die Ausstellung im Kunsthaus Probst läuft parallel zur berüchtigten Münchner Ausstellung „Entartete Kunst“. Anfangs wird die Ausstellung laut Probst gut besucht, doch muss die Parallele zur Münchner Ausstellung letztendlich zu der schließlich eintretenden Zwangsschließung führen. Die dort ausgestellten 92 Bilder, darunter „Landschaft mit Mutterpferd“, verbleiben zunächst in Mannheim und werden erst im Herbst 1939 nach Ausbruch des Krieges aus dem gefährdeten Mannheim evakuiert. Sie werden an einen sicheren, unbekannten Ort auf dem Lande gebracht. Sein Komplize hierbei ist Studienrat Alfred Heuer, der neben Nolde auch mit Ernst Barlach befreundet ist. Sie schmieden den Plan, die 14 Bilderkisten auf einem Bauernhof in Seestermühe bei Elmshorn einzulagern. Der Bauer ist ein kleiner örtlicher Funktionär der NS-Partei, bei dem niemand die Kisten mit verfemter deutscher Avantgarde-Kunst vermuten würde. Der monatliche Mietzins von 100 Reichsmark lässt ihn wohl über den Inhalt der Kisten nicht weiter nachdenken. Und in der Tat - das Versteck, wie von Heuer und Nolde erhofft, schützt die Gemälde vor neuerlichen Zugriffen der Kommission um Ziegler. Der Plan geht auf: Im Mai 1947 kommen die Gemälde ohne Schäden nach Seebüll zurück. Im Jahr 1948 können wir das Bild noch bei Nolde verorten. Im Bildersaal in Seebüll präsentiert er unter anderem „Landschaft mit Mutterpferd“ einem Journalisten. 1950 geht das Werk in den Besitz von Christian Thomsen in Husum über.

Ein blaues Pferd

Auf den ersten Blick könnte man Emil Nolde vorsichtig unterstellen, er zitiere ein blaues Pferd von Franz Marc. Diese Annahme ist gar nicht so von der Hand zu weisen, denn Nolde ist die Idee des "Blauen Reiters", sind die typischen blauen Pferdebilder und deren Ausstellungen in der von Herwarth Walden 1912 in Berlin eröffneten Sturm-Galerie vertraut. Er registriert sehr wohl Marcs Tod 1916 bei Verdun mit Trauer und er kennt den „Turm der blauen Pferde“, den Marc 1913 im oberbayerischen Sindelsdorf malt. Im Juli 1919 erwirbt Ludwig Justi, Direktor der Nationalgalerie Berlin, das Werk von Marcs Witwe Maria Marc und hängt das zum Symbol werdende expressionistische Werk an hervorragender Stelle in das Kronprinzenpalais, die neue Abteilung für zeitgenössische Kunst in der Nationalgalerie. Justi trifft seit Beginn der Einrichtung des Kronprinzenpalais auch Emil Nolde, um mit ihm Ankäufe und Leihgaben für einen eigenen Künstlerraum zu besprechen und Zug um Zug zu realisieren. Nolde nimmt die Übermalung des weißen Pferds zum blauen Pferd wohl zwischen 1930 und 1937 vor. Inspiration hierfür könnten zwei aufeinander bezogene, retrospektiv angelegte Gedächtnisausstellungen sein, die Anfang Mai 1936 zum 20. Todestag für Franz Marc in den Berliner Galerien von der Heyde und Nierendorf eröffnet wurden. Und nicht zuletzt veröffentlicht Alois Schardt aus diesem Anlass ein erstes Werkverzeichnis für Franz Marc in Berlin. Drei Jahre zuvor überarbeitet Schardt in der Nachfolge von Ludwig Justi als Direktor der Nationalgalerie mit Nolde die Zusammenstellung seiner Werke im Kronprinzenpalais, um eine politisch weniger provokative Hängung zu inszenieren. Ob Nolde tatsächlich das blaue Pferd von Marc zitiert oder ob ihn künstlerisch ästhetische Ansprüche geleitet haben, bleibt spekulativ. Mit dem blauen Pferd aber gelingt es Nolde auf wunderbare Weise, die unheimliche Suggestion der nordischen Landschaft unter bewegtem Himmel zu beflügeln. [MvL/SM]



332
Emil Nolde
Landschaft mit Mutterpferd, 1925.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 600.000
Ergebnis:
€ 745.000

(inkl. Käuferaufgeld)