Auktion: 479 / Klassiker des 20. Jahrhunderts I am 08.12.2018 in München Lot 822


822
Emil Nolde
Herbstwolken, Friesland, 1929.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 1.200.000
Ergebnis:
€ 1.645.000

(inkl. Käuferaufgeld)
Herbstwolken, Friesland. 1929.
Öl auf Leinwand.
Urban 1085. Rechts unten signiert. 73,5 x 106,5 cm (28,9 x 41,9 in). [SM].

PROVENIENZ: Dr. Carl Henes, Hagen (1929 direkt vom Künstler erworben).
Bernhard Sprengel, Hannover (1941 durch Vermittlung der Kunsthändler Hans Trojanski und Günther Franke vom Vorgenannten erworben).
Privatsammlung Hessen (durch Familienschenkung vom Vorgenannten).

AUSSTELLUNG: Emil Nolde, Kunstverein Hamburg, 7.8.-21.9.1947, Nr. 18.
Emil Nolde, Kestner-Gesellschaft, Hannover, Oktober-November 1948, Nr. 19.
XXV. Biennale, Deutscher Pavillon Venedig 8.6.-15.10.1950, Nr. 125 (verso mit dem Etikett).
Emil Nolde, Kunsthalle Mannheim, 20.4.-21.5.1952, Nr. 8.
Emil Nolde, Kunsthalle Kiel, 22.6.-27.7.1952, Nr. 25.
Deutsche Kunst. Meisterwerke des 20. Jahrhunderts, Kunstmuseum Luzern, 4.7.-2.10.1953, Nr. 113.
Documenta 1, Fridericianum Kassel, 15.7.-18.9.1955, Nr. 498.
100 Years of German Painting. 1850-1950, Tate Gallery, London 25.4.-10.6.1956, Nr. 204.
Emil Nolde Gedächtnisausstellung (Memorial Exhibition), Kunstverein Hamburg, 27.4.-16.6.1957; Museum Folkwang, Essen 29.6.-1.9.1957; Haus der Kunst, München 24.9.-1.12.1957, Nr. 147.
Emil Nolde, Schloss Charlottenborg, Kopenhagen 18.4.-4.5.1958, Nr. 67.
Emil Nolde, Stedelijk Museum, Amsterdam 30.5.-7.7.1958, Nr. 48.
Emil Nolde, Kunstverein Frankfurt am Main, 1.8.-15.9.1958, Nr. 32.
Emil Nolde (1867-1956), Kunsthaus Zürich, 11.10.-9.11.1958, Nr. 53.
Emil Nolde - Ölgemälde-Aquarelle-Zeichnungen, Kunstverein Hannover, 16.7.-3.9.1961, Nr. 45.
Sammlung Sprengel, Kunstverein Hannover, Kestnergesellschaft Hannover, Niedersächsisches Landesmuseum, 10.10.-28.11.1965, Nr. 230.
Emil Nolde. Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen und Druckgraphik, Kunsthalle Köln, 10.2-20.4.1973, Nr. 95.
Emil Nolde und die Sammlung Sprengel 1937-1956. Geschichte einer Freundschaft, Sprengel Museum, Hannover 18.4.-22.8.1999.

LITERATUR: Hans Platte, Malerei. Reihe: Die Kunst des 20. Jahrhunderts, München, Hamburg 1957, S. 184 (Abb.).
Emil Nolde. Gedächtnisausstellung, Ausst.-Kat. Kunstverein Hamburg, 27.4.-16.6.1957, Nr. 147 (Abb.)
Kunstkalender. Inter Nationes, Stuttgart 1971 (mit Farbabb.).
Westermann texte deutsch. Neubearbeitung R7 (Schulbuch). Westermann, Braunschweig 1983 (mit Farbabb. S. 169).
Markus Heinzelmann, Emil Nolde und die Sammlung Sprengel 1937 bis 1956. Geschichte einer Freundschaft, Hannover 1999, S. 43f, 68, 81, 245, 285, mit Farbabb. S. 98.
Vanessa-Maria Voigt, Kunsthändler und Sammler der Moderne im Nationalsozialismus. Die Sammlung Sprengel 1934 bis 1945, Berlin 2007, S. 53, 175-177, mit Farbabb. Tafel 2.
Maike Steinkamp, Ute Haug (Hrsg.), Werke und Werte. Über das Handeln und Sammeln von Kunst im Nationalsozialismus. Reihe: Schriften der Forschungsstelle "Entartete Kunst", Band V. Berlin 2010, S. 140 mit Abb. S. 141.
„Schauend standen wir auf unserer Warft Seebüll, die ganze weite Himmelswölbung über uns, mehr noch als den Halbkreis rundend, denn seltsam ist es, wie sehr eine kleine Anhöhung in der flachen Ebene den Himmelsbogen vergrößert.“
Emil Nolde, zit. nach: Festschrift zur Ausstellungseröffnung 1957 im Hause Seebüll. Ada und Emil Nolde zum Gedächtnis, S. 31.
"Wir hätten zu dieser Zeit wohl auch in Kopenhagen, Zürich, Paris oder Florenz unsere Flügel senken können, Deutschland aber zog uns an, und auch wollte ich gern meinem lieben Schleswig-Holstein mit seiner – meiner – Natur treu bleiben. Auf langen Fußwanderungen und Fahrten längs der schleswig-holsteinischen Westküste und um Hamburg herum hatten wir nach einem Haus oder Platz gesucht. Wir fanden nichts. Unsere gar nicht großen, aber kleinen besonderen Ansprüche blieben unbefriedigt. Erst als wir gelegentlich eines Nachmittags auf der hohen, leeren Warft, die auf Peter Jensens Gemarkung lag, staunend standen, als ein junges Pferd um uns herumgaloppierend tollte und die Himmelswolken, über dem Wasser schwebend sich spiegelten, so herrlich waren, da schauten wir beide uns verstehend an, und meine Ada sagte: »Hier ist unser Platz!«"
Emil Nolde, zit. nach: Mein Leben, S. 410.

"Herbstwolken, Friesland": der Blick aus dem Fenster von Noldes Wohnhaus in Seebüll in das Hülltoffer Tief - und so viel mehr als das. In diesem Landschaftsgemälde ist Natur mystisch überhöht, sind die Farben vom Gegenstand gelöst, sind die Formen zu beziehungsreichen Kraftfeldern menschlicher Gefühle geworden. Der untere Bildbezirk zeigt sanftes Fließen kontrastierender Farbflächen. Grünes Marschland schmiegt sich an die orangefarbene Spiegelung der untergehenden Sonne im Wasser. In der Himmelszone dagegen toben wilde Naturgewalten: Über dem tiefen, schwefelgelb beregneten Horizont wirbeln in kraftvollen Pinselstrichen grelloranges Leuchten, schwarzgraue Wolkentürme und gleißendes Himmelsblau ineinander, sprühend und gewaltvoll in ihrem Assoziationsreichtum. Ahnt man hier nicht eine verlebendigte Natur, wie sie seit dem ausgehenden Mittelalter immer wieder in der Kunstgeschichte anzutreffen ist? Formen die Wolkengebilde nicht die Gesichter zweier urtümlicher, feuerspeiender Wesen? Und kann deren Kampf nicht die verunsicherte Umbruchszeit zwischen Blutmai und Schwarzem Freitag illustrieren, in der dieses Werk entsteht? Was auch immer der Betrachter in diesen Naturgewalten lesen mag, die mystische Naturauffassung Emil Noldes steht ihm hier unmittelbar vor Augen: "Alles Ur- und Urwesenhafte immer fesselte meine Sinne. Das große tosende Meer ist noch im Urzustand, der Wind, die Sonne, ja der Sternenhimmel wohl fast auch noch so, wie er vor fünfzigtausend Jahren war." (Emil Nolde, Mein Leben, Köln 2008, S. 225).
Auch ein ganz besonderer Sammler schätzt die Naturbilder Noldes: Bernhard Sprengel. Für den Gründungsvater des Hannoveraner Sprengel-Museums ist die Schmähausstellung „Entartete Kunst“ von 1937 nichts weniger als ein Erweckungserlebnis, bei dem er die explosiven Landschaften Noldes lieben lernt. Unter widrigsten Umständen und mehr als einmal mit wahrem Heldenmut trägt Sprengel eine herausragende Kollektion zusammen. Viele Meisterwerke seines Freundes und Lieblingsmalers Emil Nolde rettet er vor der sicheren Zerstörung durch die Nationalsozialisten. „Herbstwolken, Friesland“ wird 1941 Teil seiner Sammlung. Dem Kunsthändler Franke, der Sprengel das Werk aus Privatbesitz des evangelischen Chirurgen Carl Henes vermittelt, dankt der Sammler in einem Brief herzlich und fügt an: „ich bin der Überzeugung, dass ich viel Freude an dem Bild haben werde“ (Schreiben vom 18.12.1941).
Bis Kriegsende muss Sprengel „Herbstwolken, Friesland“ wie die anderen Werke seiner Sammlung im Geheimen verwahren. Doch dann, endlich, kann er seine Schätze zeigen. „Herbstwolken, Friesland“ ist bald auf zahlreichen wichtigen Ausstellungen zu sehen, darunter so epochale internationale Schauen wie die Venezianische Biennale von 1950, die erste Documenta (1955) oder „100 Years of German Painting“ in der Tate Gallery, London (1956) - Stationen eines befreiten Meisterwerks. [AT]



822
Emil Nolde
Herbstwolken, Friesland, 1929.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 1.200.000
Ergebnis:
€ 1.645.000

(inkl. Käuferaufgeld)