Auktion: 545 / Evening Sale am 08.12.2023 in München Lot 50


50
Oskar Schlemmer
Sinnender, 1931.
Aquarell über Bleistift auf Maschinenbütten
Schätzung:
€ 180.000
Ergebnis:
€ 495.300

(inklusive Aufgeld)
Sinnender. 1931.
Aquarell über Bleistift auf Maschinenbütten.
Von Maur A 462. 55,2 x 40,9 cm (21,7 x 16,1 in), Blattgröße. [JS].

• Aus der besten Schaffenszeit: Schlemmers Breslauer-Zeit (1929–1932) gilt als Höhepunkt seines Œuvres.
• "Sinnender" ist ein Jahr vor Schlemmers berühmtem Gemälde "Bauhaustreppe" (1932, Museum of Modern Art, New York) entstanden.
• "Sinnender": Rückgriff auf eine bis zu Dürers "Melencolia I" zurückreichende Motivik in Anbetracht zunehmender politischer Diffamierung.
• 1930 sind Schlemmers Arbeiten Teil der XVII. Biennale in Venedig, 1931 ist er an der großen Überblicksschau "Modern German Painting and Sculpture" im Museum of Modern Art, New York, vertreten.
• Malerisch ausgeführte Aquarelle dieser Qualität sind auf dem internationalen Auktionsmarkt von größter Seltenheit.
• Aus der Sammlung Deutsche Bank
.

PROVENIENZ: Schlossmuseum Breslau, Kunstsammlungen der Stadt (1932-27.9.1937, verso mit den handschriftlichen Inventar-Einträgen).
Staatsbesitz (27.9.1937 im Zuge der Aktion „Entartete Kunst“ vom Vorgenannten beschlagnahmt, EK-Nr. 7910).
Karl Stroeher, Darmstadt (um 1952).
Galerie Valentien, Stuttgart.
Sammlung Richard Franke, Murrhardt.
Andreas Franke, Bad Homburg
Sammlung Deutsche Bank, Frankfurt (1989 vom Vorgenannten erworben).

AUSSTELLUNG: Hamburg/Berlin 1931, Liste o. Nr. (vgl. von Maur)
Kunst des 20. Jahrhunderts. Begegnungen mit einer Privatsammlung, Ravensburg 1970, Nr. 104 (o. Kat.).

LITERATUR: Karin von Maur, Oskar Schlemmer. Bd. 2, Oeuvrekatalog der Gemälde, Aquarelle, Pastelle und Plastiken, München 1979, S. 315f., WVZ-Nr. A 462 (m. Abb.).
Hans Hildebrandt, Oskar Schlemmer, München 1952, S. 146, WVZ-Nr. 655.
www.geschkult.fu-berlin.de/e/db_entart_kunst/datenbank (EK-Nr. 7910).

Schlemmers "Sinnender" von 1931 basiert in seiner Anlage auf dem gleichnamigen Gemälde aus dem Jahr 1925, welches 1937 in der Staatsgalerie Stuttgart von der Reichskammer der Bildenden Künste für die Ausstellung "Entartete Kunst" in München beschlagnahmt wurde und seither als verschollen gilt. Das Gemälde entstand vermutlich als das letzte vor einer dreijährigen Pause, in der Schlemmer überlegt, die Malerei vollkommen zugunsten der Bühnenarbeit aufzugeben. Seit 1925 leitet der Schöpfer des aufgrund seiner visionären Progressivität schnell weltberühmten "Triadischen Balletts" (1922) die Bauhausbühne in Dessau. Nach dieser Pause beginnt Schlemmer erst 1928, sich wieder malerisch mit seinem zentralen Thema der Figur im Raum auseinanderzusetzen, und gelangt ab 1929 nach seiner Berufung an die Staatliche Akademie für Kunst und Kunstgewerbe in Breslau zu einer besonders malerischen Licht-Schatten-Modellierung. Unser Aquarell "Sinnender" zeichnet sich ebenfalls durch diese besonders sanft durchmodellierte Lichtwirkung und Plastizität der Figur aus, die Schlemmer in dieser Version souverän ins Fomat setzt. Der angeschnittene Ellbogen schafft eine starke Betonung der Horizontalen, welche den Körper des Denkers neben der durch das Tischbein definierten Vertikalen und der Diagonalen von Kopf und Oberkörper fest im Raum verortet. Schlemmers Malerei lebt von diesem spannungsvollen Anschneiden der Figuren, ein Stilmittel, das er in dem ein Jahr später entstandenen Gemälde "Bauhaustreppe" (Museum of Modern Art, New York) in herausragender Weise umgesetzt hat. Im Gegensatz zur "Bauhaustreppe" aber ist Schlemmers "Sinnender" eines der seltenen Beispiele, in welchem der Künstler sich nicht allein seinem zentralen Thema der Figur im Raum widmet, sondern sich darüber hinaus mit der langen kunsthistorischen Tradition der Motivik des Denkers auseinandersetzt. Der Bauhaus-Künstler Schlemmer findet eine vollkommen neuartige Formsprache für diese kunsthistorisch so bedeutende Ikonografie, die in Dürers berühmtem Kupferstich der "Melencolia I (Melancholie)" (1514) ihre Anfänge hat und unter anderem in der Pose von Rodins berühmter Plastik des "Denkers" (1880/1882) aufgegriffen wird. Dürers hochkomplexe Darstellung der "Melencolia I (Melancholie)", die ihren Kopf aufstützt und ihren Blick dabei sinnend nach unten wendet, gilt als ein allegorisches Selbstportät des Künstlers und als eine der ersten Darstellungen des künstlerischen Genies. Auch Schlemmer hat der Motivik des "Sinnenden" eine besondere Bedeutung beigemessen, wenn er mit Blick auf das heute verschollene Gemälde bereits 1928 in seinem Tagebuch festhält, dass er den "Sinnenden" zu den vier Gemälden rechnet, die er in einer Nachlassausstellung keinesfalls missen möchte (vgl. Tagebuch, 18.1.1928). Auch dass Schlemmer diese Motivik 1931 in unserem malerisch ausgeführten, großformatigen Aquarell noch einmal aufgreift und kompositionell weiterentwickelt, unterstreicht die herausragende Bedeutung, welche diese Arbeit in Schlemmers Œuvre innehat. Vermutlich hat diese melancholisch-resignative Motivik für Schlemmer auf dem Höhepunkt seines Schaffens in Anbetracht der zunehmenden Diffamierung seiner Kunst durch die Nationalsozialisten 1931 wieder an Bedeutung gewonnen. [JS]



50
Oskar Schlemmer
Sinnender, 1931.
Aquarell über Bleistift auf Maschinenbütten
Schätzung:
€ 180.000
Ergebnis:
€ 495.300

(inklusive Aufgeld)