Auktion: 550 / Evening Sale am 07.06.2024 in München Lot 121002576


121002576
Heinrich Campendonk
Landschaft mit Tieren, Um 1913.
Öl auf Malpappe, auf Hartfaserplatte aufgelegt ...
Schätzpreis: € 600.000 - 800.000
Informationen zu Aufgeld, Steuern und Folgerechtsvergütung sind ab vier Wochen vor Auktion verfügbar.
Landschaft mit Tieren. Um 1913.
Öl auf Malpappe, auf Hartfaserplatte aufgelegt und auf Keilrahmen montiert.
Verso auf der Leinwand mit Galerieetikett Aenne Abels, Köln, typografisch bezeichnet "Campendonck / Tiere an der Tränke Gemälde / I.N. 1360", darunter Etikett "Niere[ ?]", sowie Stempel "Hauptzollamt Köln Rheinau". Verso auf dem Keilrahmen mit Galerieetikett Alfred Flechtheim, handschriftlich bezeichnet "Nr. 501 / Campendonk Seeshaupt / Landschaft mit Tieren", sowie mehrfach mit dem Zollstempel Köln-Rheinau. 70 x 120 cm (27,5 x 47,2 in).
[KT].

• Aus der innovativsten Schaffenszeit des Künstlers: Er stellt 1911 und 1913 in den wichtigen Ausstellungen des "Blauen Reiter" und Rheinischen Expressionismus aus.
• Campendonk entwickelt im Dialog mit Franz Marc eine eigene, tiefgründige Bildsprache.
• Diese Arbeit ist in den bedeutenden Ausstellungen bei den wichtigen Galerien dieser Zeit (Walden und Flechtheim) ausgestellt.
• Museale Qualität in dieser Größe von großer Seltenheit
.

Wir danken Ev Raue, Berlin, für die freundliche wissenschaftliche Beratung.

PROVENIENZ: Galerie Alfred Flechtheim, Düsseldorf (Pfingsten 1920, verso mit dem Etikett).
Galerie Nierendorf Köln - Neue Kunst (um 1920/24, möglicherweise 1923. Verso mit dem fragmentarischen Etikett).
Kunstgalerie Aenne Abels alter und neuer Meister, Köln-Lindenthal (spätestens 10.5.1954 – mindestens 10.1955).
Privatsammlung.
Privatsammlung Nordrhein-Westfalen (Anfang der 1970er Jahre als Schenkung des Vorgenannten).

AUSSTELLUNG: 66. Ausstellung: Heinrich Campendonk, Walter Dexel, Galerie Der Sturm, Berlin, 1918, Nr. 7.
Heinrich Campendonk - Josef Eberz, Galerie Flechtheim, Düsseldorf, Pfingsten -12.6.1920, S. 6, Nr. 9 (m. d. Etikett).
Heinrich Campendonk, Museum Haus Lange, Krefeld, 25.5.-17.7.1960, S. 78, Nr. 11 (m. Abb.).

LITERATUR: Andrea Firmenich, Heinrich Campendonk 1889-1957, Leben und expressionistisches Werk, mit Werkkatalog des malerischen Œuvres Recklinghausen 1989, WVZ-Nr. 372 (m. SW-Abb.).
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Weltkunst, Jg. 24, Nr. 22, Nov. 1954, S. 4 (Abb.).
Aenne Abels - Kunstgalerie alter und neuer Meister, Köln (Oktober 1955), o.O. 1955, SW-Abb.
Gregor Langfeld, Duitse kunst in Nederland - verzamelen, tentoonstellen, kritieken. 1919-1964, Zwolle 2004, S. 271, Anm. 366.

ARCHIVALIEN
Brief von Aenne Abels an Herta Hesse-Freilinghaus, 10.05.1954, Osthaus Museum Hagen, Dokumentation, Akte I. Ankäufe.
Brief von Aenne Abels an Erich Wiese, 01.07.1954, Archiv Hessisches Landesmuseum, Allgemeiner Schriftverkehr 1953-55 (Akte 1), heute: Hessisches Staatsarchiv Darmstadt.

In Oberbayern gelingt es Heinrich Campendonk, seine künstlerische Entwicklung voranzutreiben, es entsteht eine ihm eigene Bildsprache und tiefgründige, rätselhafte Bilderwelt. Campendonk wird eingeladen, an der ersten Ausstellung des "Blauen Reiters" in München teilzunehmen, zudem ist er 1913 vertreten mit Werken in den Ausstellungen "Rheinische Expressionisten" in Bonn und beim "Ersten Deutschen Herbstsalon" in Herwarth Waldens Galerie "Der Sturm" in Berlin, alles maßgebliche Ausstellungen zur klassischen Moderne vor dem Ersten Weltkrieg. Es entstehen in dieser Zeit grundlegende Arbeiten in allen Techniken, wofür dieses herausragende und großformatige Gemälde "Landschaft mit Tieren" beispielhaft steht.
Der junge Heinrich Campendonk, Student von Jan Thorn-Prikker an der Fachhochschule für Textilkunde in Krefeld, gewinnt auf Empfehlung Wassily Kandinskys den Kunsthändler, Sammler, Publizisten und Verleger Alfred Flechtheim, einen der wichtigsten Förderer avantgardistischer Kunst, ab 1911 als Mäzen. Flechtheim erwirbt erste Werke und unterstützt die künstlerisch wegweisende Reise nach Sindelsdorf in Oberbayern: Dort lebt Franz Marc. Wie intensiv und prägend, persönlich und künstlerisch sich der Kontakt zu den Redakteuren des "Blauen Reiters", Wassily Kandinsky und Franz Marc, seinerzeit entwickelt, lässt unter anderem eine Briefnotiz ahnen, die Campendonk am 7. Oktober 1911 kurz nach seiner Ankunft an seine Freundin Adda Deichmann schreibt: "In München traf ich morgens um sieben Uhr ein, traf eine Stunde später mit [Helmuth] Macke zusammen. Nachmittags waren wir bei Kandinsky, wo wir großartige Dinge sahen und neben einigen anderen Herrn auch Herrn Kuno Amiet kennen lernten. Montag waren wir im Salon Thannhauser und in der Pinakothek, lernten auch noch Erbslöh kennen. Abends fuhren wir mit Mackes Vetter [August] nach Penzberg, wo Herr Marc uns im Wagen abholte, und es ging im Trab nach eigenwillige Sindelsdorf.“ (zit. nach: Andrea Firmenich, Heinrich Campendonk, Recklinghausen 1989, S. 25). Auf dem Balkon von Kandinskys Stadtwohnung entsteht ein erstes gemeinsames Gruppenbild (Abb. 1), ein Dokument für die Zeit intensiver Diskussionen und Planungen um die Herausgabe des Almanachs "Der Blaue Reiter".
Campendonks Studienfreund Helmuth Macke und dessen Vetter August hatten ihm diese Begegnung vermittelt, und ab Herbst 1911 lebt er mit seiner späteren Frau Adda in unmittelbarer Nachbarschaft von Franz und Maria Marc in Sindelsdorf. Nachdem Marc im März 1916 im Krieg gefallen war, zieht Campendonk im Mai darauf um nach Seeshaupt am südlichen Kopf des Starnberger Sees. Die Jahre seiner künstlerischen Entwicklung sind also geprägt von einer engen lebens- und werkgeschichtlichen Verbindung zu den Künstlern um den "Blauen Reiter", ebenso seinen intensiven Bezug zur oberbayerischen Landschaft um Sindelsdorf und Seeshaupt sowie später um das etwas weiter südlich gelegene Bergbaustädtchen Penzberg.
In diesen ersten Jahren im bayerischen Oberland steht das Werk Campendonks zweifellos unter dem Einfluss von Franz Marc: Es sind diese bizarren, ins Märchenhafte umgewandelten Tier- und Landschaftsszenen, jene ländlichen Idyllen, eingetaucht in eine traumhafte, kontemplative Einsamkeit in leuchtenden Farbfacetten, die beide Künstler in sehr unterschiedlicher Weise hervorbringen. "Die Gegend um Sindelsdorf war wellig, Erhebungen wechselten ab mit Bodensenkungen", weiß Maria Marc zu berichten. "Da waren diese hügeligen Weiden mit interessanten Überschneidungen im Terrain. Das darauf weidende Vieh, Pferde und Rinder, bot dem Beobachter immer wechselnde lebendige Szenen." (Zit. nach: Maria Marc, Mein Leben mit Franz Marc, München 2016, S. 116). Bereits seine ersten Arbeiten, mit denen der junge Campendonk in der ersten Ausstellung des "Blauen Reiters" in der Galerie Heinrich Thannhauser im Dezember 1911 vertreten ist, "Springendes Pferd" (Abb. 2) und "Frau mit Reh" (Abb. 3), zeigen dessen ganz eigenen Stil: Versatzstückhaft angeordnete Bildinhalte stehen kompositorisch in einem festen und zugleich losen Zusammenhang, Bildinhalte verweigern sich jeglichem Narrativ. Tiere sind bei Campendonk Individuen, existieren eingebettet in ein imaginäres Geflecht aus Landschaftsebenen, Landschaftslinien, die sich bisweilen jedoch in ihrer malerischen Auffassung und ihrem eigentlichen Formwillen gezielt und inszeniert widersprechen. Campendonks Malweise um diese Zeit ist also von einer Art malerischer Aneinanderreihung landschaftlicher Ebenen bestimmt, einer Aufteilung der Bildfläche in aufgelöste, kubisch anmutende ‚Böden‘, zusammengefasst aus ganz unterschiedlichen 'Vorbildern‘. Zahlreiche Tiere bewegen sich darin in einer Welt von eingezäunten Begrenzungen, eingehausten himmlischen Gärten vielleicht, die sich über die Leinwand hinziehen und die Komposition in gewisser Weise strukturieren und zugleich zusammenfügen. Ein stringentes Narrativ wird vermieden. Campendonk reiht die Dinge mehr aneinander, als dass er sie verbindet, alles ist in einem gewissen Fließen beschrieben. Es entsteht eine Illusion, ein Schweben zwischen lyrischer Abstraktion und naturgebundener Gegenständlichkeit, die sich weder in der einen noch in der anderen Weise interpretieren lässt. Es sind gemalte Rätsel, die in ihrer Gesamtheit erfasst und auch so gesehen werden sollen. Hierin unterscheidet sich Campendonk deutlich von der Bilderwelt eines Franz Marc.
Der Beginn des Ersten Weltkrieges jedoch entzweit die Künstler im Umfeld des "Blauen Reiters", dessen Idee nur mehr durch das Engagement des Berliner Galeristen und Verlegers Herwarth Walden weiter in die Welt getragen wird. Franz Marc wie auch August und Helmuth Macke melden sich als Freiwillige, Wassily Kandinsky und Alexej von Jawlensky müssen als russische Staatsbürger Deutschland verlassen. Ersterer geht zurück nach Moskau, Letzterer sucht Asyl in der Schweiz. Campendonk lehnt den Kriegsdienst ab, wird dennoch gemustert und bereits kurz nach der Rekrutierung im Frühjahr 1915 krankheitsbedingt entlassen. August Macke fällt im September 1914, Franz Marc im März 1916; der Verlust der beiden Freunde und künstlerischen Förderer trifft Campendonk besonders stark. Er siedelt daraufhin in ein Bauernhaus nach Seeshaupt am Starnberger See über, wo er sehr zurückgezogen lebt und die Schrecken des Krieges zu verdrängen sucht. Hier emanzipiert er sich künstlerisch in entscheidender Weise vom Stil des "Blauen Reiters" und findet zu seiner eigenen Bildsprache.
Im Jahr 1920 unternimmt Campendonk eine Italienreise und Flechtheim, der den Maler seit 1914 in Gruppenausstellungen fördert, widmet ihm eine Einzelausstellung. 1923 zieht der Künstler nach Krefeld zurück, wird Professor an der Kunstgewerbeschule in Essen und erhält 1926 einen Ruf an die Kunstakademie Düsseldorf. Die Nationalsozialisten setzen Campendonk nach der Machtergreifung ab, doch erhält er 1935 eine Professur an der Rijksakademie in Amsterdam. 1937 wird er durch die Hetzschrift "Säuberung des Kunsttempels" diskreditiert, außerdem zeigt man seine Werke in der Ausstellung "Entartete Kunst". Im Jahr 1944 kann sich Campendonk vor der deutschen Besatzungsmacht verstecken, nach dem Krieg setzt er seine Lehrtätigkeit fort. Der Künstler stirbt am 9. Mai 1957 in Amsterdam. [MvL]



121002576
Heinrich Campendonk
Landschaft mit Tieren, Um 1913.
Öl auf Malpappe, auf Hartfaserplatte aufgelegt ...
Schätzpreis: € 600.000 - 800.000
Informationen zu Aufgeld, Steuern und Folgerechtsvergütung sind ab vier Wochen vor Auktion verfügbar.