Auktion: 522 / Klassische Moderne Teil II am 11.12.2021 in München Lot 441

 

441
Otto Mueller
Maschka (Mädchen in gelber Jacke, Zirkusmädchen), Um 1919.
Farbige Kreidezeichnung
Schätzung:
€ 40.000
Ergebnis:
€ 137.500

(inklusive Aufgeld)
Maschka (Mädchen in gelber Jacke, Zirkusmädchen). Um 1919.
Farbige Kreidezeichnung.
Von Lüttichau/Pirsig-Marshall P 1920/ 49 (600). Rechts unten signiert. Auf Zeichenpapier. 49,8 x 35 cm (19,6 x 13,7 in), blattgroß.

• Aus der hochbedeutenden Sammlung Dr. Ismar Littmann, Breslau.
• Spannendes und außergewöhnliches Spiel mit Geschlechteridentitäten.
• Emotionsstarke Vorarbeit für das bekannte Museumswerk "Maschka mit Maske"
.

Wir danken Dor Levi, Ramat Gan, John F. Littman, Houston, Cornelia Muggenthaler, München, und Anna Rubin, New York, für die freundliche Unterstützung und gute Zusammenarbeit. Wir danken Dr. Tanja Pirsig-Marshall, LWL-Museum für Kunst und Kultur, Münster/Westfalen, für die wissenschaftliche Beratung.

PROVENIENZ: Sammlung Dr. Ismar Littmann, Breslau (wohl direkt vom Künstler erworben, bis 1932).
Auktionshaus Paul Graupe, Berlin (im März 1932 in Kommission aus dem Eigentum des Vorgenannten, unverkauft).
Sammlung Dr. Ismar Littmann, Breslau (ab 1932).
Wohl Kunsthandel Schweiz (bis 1961: Kornfeld und Klipstein, 9./10.6.1961).
Privatsammlung (1961 vom Vorgenannten erworben, seither in Familienbesitz).

Das Werk ist frei von Restitutionsansprüchen. Das Angebot erfolgt in freundlichem Einvernehmen und bester Übereinstimmung mit den Erben nach Dr. Ismar Littmann.

LITERATUR: Sammlung Dr. Ismar Littmann, Breslau, Inventar der Grafik, Nr. 3466: "Mädchen in gelber Jacke".
Paul Graupe, Sammlung Rudolf Ibach, Barmen, und Beiträge aus der Sammlung Dr. Littmann, Breslau, sowie aus verschiedenem Besitz. Deutsche und ausländische Graphik des 19. und 20. Jahrhunderts, Auktion 21./22.3.1932, Los 477 (als "Knabe mit gelber Jacke", unverkauft).
Wenzel Nachbaur, Otto Mueller Werklisten, Archiv Roman Norbert Ketterer, Kirchner Museum, Davos 1950er Jahre (m. Abb.).
Galerie Kornfeld und Klipstein, Bern, Auktion 103, Moderne Kunst, 9./10.6.1961, Los 649, mit Abb. Tafel 90.

Für Otto Mueller beginnt nach den intensiven Erfahrungen im Ersten Weltkrieg mit dem Jahr 1919 eine neue, großartige Zeit: August Endell, deutscher Kunsttheoretiker, Designer und Architekt des Jugendstils, ruft den vormaligen "Brücke"-Künstler an die Breslauer Akademie. Er trifft dort auf alte Bekannte: etwa auf den Matisse-Schüler Oskar Moll, einen Vertreter für die französische Peinture, auf Carlo Mense und Alexander Kanoldt, Vermittler für die Neue Sachlichkeit, sowie auf Oskar Schlemmer, Georg Muche und Johannes Molzahn, Anwälte der Lehre am Bauhaus. Doch so gesichert die Zukunft des Künstlers hierdurch erscheinen mag, so unsicher wird sich die emotionale Situation Otto Muellers gestalten. Maria Meyerhofer, genannt Maschka, bereits seit 1905 mit dem Künstler verheiratet, zieht nicht mit nach Breslau und bleibt in Berlin. Dies hat auch strategische Gründe, denn Muellers Händler J. B. Neumann residiert in Berlin, und Ferdinand Moeller, den der Künstler noch während der Dresdner "Brücke"-Zeit als "Lehrling" in der Galerie Arnold kennengelernt hat, verlässt zur selben Zeit Breslau und eröffnet in Berlin seine eigene Galerie. Maschka, die von jeher den Kontakt zu den Händlern pflegt, besucht ihren Mann hin und wieder in Breslau und muss erfahren, dass der Lehrer Otto Mueller sich sogleich in eine Schülerin verliebt: Irene Altmann.

Schon in der Zeit, bevor sich Otto Mueller der Künstlergemeinschaft "Brücke" anschließt und sich auch malerisch dem Kreis der Dresdner Expressionisten nähert, ist das Porträt, vor allem das Selbstbildnis mit der jungen Maschka, ein zentrales Thema. Sie ist von Anbeginn an sein Modell, nimmt im Leben des Künstlers trotz vieler sich verändernder Lebensumstände bis zu seinem Tod im Jahr 1930 eine zentrale sowie einflussreiche Rolle ein. Als Modell beherrscht sie die Malerei des Künstlers, sie verkörpert die Urfrau und ist der Prototyp in der Porträtmalerei Otto Muellers. Unterstützt von ihrem modebewussten Haarschnitt der 1920er Jahre, dem "Bubikopf", kreiert Otto Mueller, wie dies in dem Gemälde "Maschka mit Maske" aus dem Jahr 1919 (heute: Museum Folkwang, Essen) trefflich zu sehen ist, einen anziehenden, temperamentvollen, für den Künstler idealen Frauentypus. Otto Mueller inszeniert sich selbst in diesem Gemälde, gemeinsam mit "seiner" Maschka, in Form einer Maske, gleichsam als Trophäe an der Wand.

Die vorliegende, farbstarke Kreidezeichnung - sicher eine Vorzeichnung zu "Maschka mit Maske" - wird bei einem Besuch Maschkas in Breslau entstanden sein: Modisch gekleidet mit einem gelbfarbigen, enganliegenden Oberteil und einer blauen Shorts, blickt sie keck, mit auffordernder Erotik über die Schulter zurück auf den hinter ihr stehenden Künstler. Für ihn ein vertrauter Moment; die Zeichnung ist ein schnelles Festhalten einer vergänglichen Bewegung, mit der Maschka sich von den Blicken ihres Mannes zu entfernen scheint. Sie weiß um ihre Anziehung auf den Künstler, dessen Blick sie verführerisch und kraftvoll aus ihren exotischen Augen erwidert. Somit ist diese Zeichnung mit dem Titel "Maschka (Mädchen in gelber Jacke, Zirkusmädchen)" ein wichtiges Dokument für die grundtiefe Verbindung dieser beiden Protagonisten: der Maler und sein Modell.

Die Provenienz
Otto Muellers "Maschka (Mädchen in gelber Jacke, Zirkusmädchen)" stammt aus einer der wichtigsten, umfangreichsten und progressivsten Sammlungen des deutschen Expressionismus: derjenigen des Breslauer Rechtsanwalts Dr. Ismar Littmann. Diese Provenienz teilt sich das Blatt mit Noldes ikonischem Gemälde "Buchsbaumgarten", das ebenfalls bei Ketterer Kunst angeboten wird (Evening Sale, 10.12.2021). Im Zentrum der viel gerühmten "Breslauer Künstlerbohème" stehend, pflegt Littmann enge persönliche Kontakte mit Otto Mueller, seinerseits Professor an der renommierten Breslauer Kunstakademie. Neben zwei Gemälden besitzt Ismar Littmann nicht weniger als 128 Papierarbeiten von Otto Mueller. Häufig ist der Künstler im "Haus Littmann" zu Gast, man kennt und schätzt einander. Mit großer Wahrscheinlichkeit erhält Littmann auch das Blatt "Maschka" vom Künstler selbst. Unter der Nummer 3466 trägt der Sammler das Werk schließlich in sein Inventar der Papierarbeiten ein: "Mädchen in gelber Jacke".
Wie viele andere auch durch die Weltwirtschaftskrise ab den späten 1920er Jahren unter Druck geraten, liefert Ismar Littmann 1932 ein größeres Konvolut aus seiner auf fast 6000 Kunstwerke angewachsenen Kollektion beim Auktionshaus Paul Graupe in Berlin ein. Auch "Maschka" ist darunter. Im Katalog wird die Dargestellte jedoch irrtümlich als "Knabe" identifiziert. Muellers subtiles und gerade im 21. Jahrhundert hochmodern anmutendes Spiel mit Geschlechteridentitäten findet hier einen aussagekräftigen Zeugen. Das Blatt wird, wie ein erhalten gebliebener Katalog mit handschriftlichen Anmerkungen belegt, 1932 nicht verkauft und gelangt so zurück zu Ismar Littmann.
Der Sammler spürt bereits zu dieser Zeit, noch vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten, das kommende Unheil. Als jüdischer Jurist zählt er zu einer früh und massiv verfolgten Personengruppe; Berufsverbot und NS-Verfolgung zerstören bald die Existenz der Familie. Aller Hoffnung beraubt, wird Dr. Ismar Littmann 1934 von den Nationalsozialisten in den Selbstmord getrieben. Wann und unter welchen Umständen Dr. Ismar Littmann oder seine Erben, denen mit Glück die Flucht ins Ausland gelingt, sich von "Maschka" trennen müssen, bleibt ungewiss. Erst 1961 taucht das Werk in der Schweiz wieder auf, wo es seitdem durchgängig in einer bedeutenden Privatsammlung verbleibt. Heute kann das so außergewöhnlich modern anmutende Blatt in bester Übereinstimmung mit den Erben nach Dr. Ismar Littmann angeboten werden. [MvL/ATh]



441
Otto Mueller
Maschka (Mädchen in gelber Jacke, Zirkusmädchen), Um 1919.
Farbige Kreidezeichnung
Schätzung:
€ 40.000
Ergebnis:
€ 137.500

(inklusive Aufgeld)