Auktion: 545 / Evening Sale am 08.12.2023 in München Lot 122000085

 
abbildung folgt


122000085
Max Beckmann
Bergbahn in Colorado, 1937/1949.
Öl auf Leinwand
Schätzpreis: € 700.000 - 900.000
Informationen zu Aufgeld, Steuern und Folgerechtsvergütung sind ab vier Wochen vor Auktion verfügbar.
Bergbahn in Colorado. 1937/1949.
Öl auf Leinwand.
MB-G 790. Rechts oben signiert. Verso auf dem Keilrahmen betitelt "Bergbahn". 80,5 x 50,5 cm (31,6 x 19,8 in). [CH].
Im Januar 2024 wird das Kunstmuseum Den Haag eine umfangreiche Ausstellung über Max Beckmann und seine Behandlung von Raum und Perspektive eröffnen. Es besteht Interesse, mit dem Käufer in Kontakt zu treten, um das Werk als Leihgabe für die Ausstellung zu gewinnen.
• Bereits 1938 in den Beckmann-Ausstellungen in Winterthur, Bern, Zürich und Basel ausgestellt.
• Seit 50 Jahren in deutschem Privatbesitz.
• Im Exil in Amerika überarbeitet Beckmann das in Deutschland entstandene Gemälde und führt in dieser letztendlichen komplexen Bildkomposition seine Vergangenheit in Deutschland und seine Gegenwart in den USA zusammen.
• Beckmann transzendiert seine Erinnerung an Baden-Baden aus dem Jahr 1937 in seine neue Gegenwart in St. Louis 1949.
• Max Beckmann wählt einen für seine Malerei inzwischen typisch gewordene Nahsicht und zugleich extremen Blickwinkel für seine Schilderung einer Bahnfahrt.
• Es ist das letzte Gemälde, das Max Beckmann vor seinem Verlassen Deutschlands in das niederländische Exil noch in Berlin 1937 malen wird.
• Ein werkimmanentes Erfinden Beckmanns, das sich gleichsam als Finden herausstellt und dessen künstlerische Kreativität sich dabei stets mit dem Autobiographischen mischt
.

PROVENIENZ: Mathilde "Quappi" Beckmann (1904-1986), New York (die Ehefrau des Künstlers, 1950 durch Erbschaft vom Künstler erhalten).
Buchholz Gallery - Curt Valentin, New York (in Kommission, auf d. Keilrahmen m. d. typografisch bezeichneten Galerieetikett).
Catherine Viviano Gallery, New York (auf d. Keilrahmen m. d. handschriftl. bezeichneten Galerieetikett).
Helen Serger (Galerie La Boétie, Inc.), New York (1972 erworben)
Galerie Thomas, München (1973 erworben, auf d. Keilrahmen m. d. handschriftl. bezeichneten Galerieetikett).
Privatsammlung Nordrhein-Westfalen.
Seitdem in Familienbesitz.

AUSSTELLUNG: Max Beckmann, Kunsthalle Bern, 19.2.-20.3.1938, Kat.-Nr. 38, S. 5 (m. d. Titel "Bergbahn").
Max Beckmann, Kunstmuseum Winterthur, 3.4.-8.5.1938, Kat.-Nr. 38, S. 20 (m. d. Titel "Bergbahn").
Max Beckmann, Galerie Aktuaryus, Zürich u. Galerie Betty Thommen, Basel, 1938.
Max Beckmann. Recent work, Buchholz Gallery - Carl Valentin, New York,
18.10.-5.11.1949, Kat.-Nr. 2 (m. d. Titel "Cable Car").
Max Beckmann, Chicago Art Center, Chicago, 3.3.-1.4.1955.
Beckmann. Exhibition of Paintings, Catherine Viviano Gallery, New York, 1.11.-26.11.1955.
Max Beckmann. Exhibition of Paintings 1925-1950, Catherine Viviano Gallery, New York,
9.1.-27.1.1962, Kat.-Nr. 6 (m. ganzs. Abb. u. m. d. Titel "Cable Car").

LITERATUR: Benno Reifenberg u. Wilhelm Hausenstein, Max Beckmann, München 1949, Kat.-Nr. 380 (m. d. Titel "Drahtseilbahn bei Baden-Baden").
Barbara Göpel und Eberhard Göpel, Max Beckmann. Katalog der Gemälde, Bd. 1 u. 2, Bern 1976, Kat.-Nr. 790.
Erhard Göpel (Hrsg.), Max Beckmann, Tagebücher 1940-1950 (zusammengest. von Mathilde Q. Beckmann, München 1984, S. 332 (2.6., 4.6., u. 5.6.1949).
Stephan von Wiese, Max Beckmann. Briefe 1925-1937, Bd. II, München/Zürich 1994, S. 456, Anm. Nr. 657.
Uwe M. Schneede, Konstruktion einer 'neuen Realität'. Max Beckmanns Bildmittel,
in: Ausst.-Kat. Max Beckmann. Landschaft als Fremde, Hamburger Kunsthalle, Hamburg 1998, S. 19-26.
Ausst.-Kat. Max Beckmann in Baden-Baden, Museum Frieder Burda, Baden-Baden 2005, S. 74 (m. Abb., S. 75).
Françoise Forster-Hahn, Max Beckmann in Kalifornien. Exil, Erinnerung und Erneuerung, Berlin 2007, S. 17ff. (m. Abb., S. 18).
Stefana Sabin, "Und bin damit gewissermassen schon halber Amerikaner". Beckmann zwischen ideeller Anpassung und realer Isolation, in: Ausst.-Kat. Beckmann & Amerika, Städel Museum, Frankfurt am Main 2011/2012, S. 58 u. S. 184 (m. Abb., Nr. 110, S. 184).
Anja Tiedemann (Hrsg.), Max Beckmann. Die Gemälde, Bd. 2, Ahlen 2021, Kat.-Nr. 790, S. 465 (m. Abb.).
Erhard u. Barbara Göpel / Anja Tiedemann: Max Beckmann. Catalogue Raisonné der Gemälde - www.beckmann-gemaelde.org [letzter Zugriff: 13.09.2023].
Françoise Forster-Hahn, Unterwegs-Sein zwischen Zeiten und Orten. Max Beckmann, "Heimatgefühl im Kosmos" und die Dialektik des Exils, in: Ausst.-Kat. Max Beckmann. Departure, Pinakothek der Moderne, München 2022, S. 90.
Oliver Kase, Fenster, in: Ausst.-Kat. Max Beckmann. Departure, Pinakothek der Moderne, München 2022, S. 105-109.

"Tiger [Max Beckmann] Nachmittag wieder arbeiten, ich holte ihn ab, hat ein neues Bild fertig, "Bergbahn" von früher neu umgearbeitet."
Mathilde Q. Beckmann, Tagebucheintrag vom 5.6.1949, zit. nach: Barbara Göpel und Eberhard Göpel (Hrsg. Hans Martin von Erffa), Max Beckmann. Die Gemälde (Katalog und Dokumentation), München 2021, Bd. II, S. 465.

Max Beckmann ist Zeit seines Lebens ein Reisender und viele der besuchten Orte werden zu Motiven seiner Malerei. Das Kunstmuseum Den Haag zeigt 2024 eine Ausstellung, die sich der bildnerischen Gestaltung des Raums bei Beckmann widmet. Bildraum, so die These, ist bei ihm vor allem "Raum der Vorstellungskraft“. Inwiefern ist dieser Gedanke für das Werk "Bergbahn in Colorado" relevant?

Mayen Beckmann, Kunsthistorikerin, Galeristin, Restauratorin und einzige Enkelin des Malers Max Beckmann:
Max Beckmann malt dieses Bild nach seinem letzten Aufenthalt zur Kur in Baden-Baden bei dennoch schlechtem Allgemeinzustand im Atelier in Berlin. Es geht ihm körperlich und auch seelisch nicht gut, denn das internationale Publikum ist eher finanzstark gewordenen Größen des dritten Reichs gewichen und die Zukunft ungewiss. In Baden-Baden fährt seit 1913 die Merkur-Bergbahn, eine der längsten (knapp 1,2 km) und steilsten (größte Steigung bei 54 %) Standseilbahnen Deutschlands. Max Beckmann nimmt in seinem Gemälde die schrägen Ebenen der Seilbahn auf und malt aus der Mitte der Kabine gesehen wohl zwei Personen und, heute noch im Hintergrund sichtbar, die Tannen des Schwarzwaldes. Es ist wohl die letzte der Baden-Baden-Landschaften, die er ab 1935 gemalt hat. Man weiß nicht, wie das Bild ehemals ausgesehen haben mag, da kein Foto bekannt ist. In der Farbigkeit wird es wohl mit "Waldweg im Schwarzwald“ von 1936 (G.440) und "Waldwiese im Schwarzwald" von 1936 (G.443) vergleichbar gewesen sein. Zwölf Jahre später steht eine erste Sommerreise durch die USA bevor, in die Rocky Mountains, von denen Beckmann schon Großes gehört hat. Es ist gefühlt eine Welt später, nach Krieg, Exil, Umsiedelung und anderen Brüchen. Das Angebot: Summer School in Colorado, wieder Berge. Er stellt es sich vor - viel höher, weiter, exotischer. Vor seiner Abfahrt dorthin nimmt er sich das alte Bild vor und übermalt es mit seiner Vorstellung: Unbelaubte, eher urwaldartige Bäume, deren gespenstisch weiße Stämme aus unbekannter Quelle ein kaltes Schlaglicht bekommen. Die beiden Menschen, die vielleicht schon in Baden-Baden Seilbahn fuhren, und der steile Felsen werden in warmes Sonnenuntergangslicht getaucht, das aus der Richtung des Betrachters kommt. Die Frau schließt träumend oder geblendet die Augen, er ist fast unsichtbar in ihrem Schatten versteckt, streng. Weit hinten im Fensterausschnitt ragt ein steiler, wahrscheinlich neu hinzugekommener Berg in romantischem Hellblau in den bunten Himmel und die Sonne, die wirkt, als ginge sie eben auf, kriecht über seine Schulter. Ein paar kalligrafisch gesetzte Vögel und die schwungvoll schwarze Umrandung des Berges geben dem Himmel Tiefe. Ein Bild auf der Kippe zwischen Erinnerung und Erwartung, zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang, zwischen Vergangenheit und der Hoffnung, dass nun wirklich ein neues, entspannteres Leben anfängt! Die Realität sieht anders aus. Auch in Colorado wachsen am Berg nur Kiefern. Zwar findet dort eine große, sehr modern gestaltete Ausstellung seiner Bilder statt, die viele Menschen begeistert. Doch die Studenten sind nur mittelmäßig begabt, die Lehre mühsam, der Verdienst gering und die große Höhe anstrengend. Die Natur in den Rocky Mountains wird für ihn jedoch bei den Wanderungen und Autotouren durch die Berge zur überwältigenden Erfahrung und inspiriert ihn zu großformatigen Zeichnungen, die die Nibelungen zum Thema haben.

Baden-Baden 1937
"Mein liebes Herzchen, etwas kalt ist es noch sonst bin ich immerhin der 4. Kurgast und Dr. Dengler war schon jetzt so mit mir zufrieden, dass ich eigentlich gleich wieder abfahren kann. Blutdruck 140 (vor 3 Jahren 160) bei Anfang. Tadeloses Herz und Leberanschwellung zurückgegangen. (müssen solide gelebt haben (murmelte er beifällig)). Na trotzdem ist's recht gut, die erste Nacht bereits ohne Adalin geschlafen - also was soll man tun um anständig krank zu seien", schreibt Max Beckmann an seine Frau Mathilde am 16. März 1937 aus Baden-Baden nach Amsterdam (Max Beckmann, Briefe, Bd. II, 1925-1937, München 1995, Nr. 651). Während Max Beckmann das fünfte Mal seit 1923 in Baden-Baden weilt, verbringt seine Frau die Tage bei ihrer Schwester Hedda in Amsterdam. Diese ist mit dem Musiker Jan Schoonderbeek verheiratet und wird bei der Emigration der Beckmanns eine tragende Rolle spielen. Nur 1928 ist Mathilde mit in dem mondäner werdenden Kurort. Die Aufenthalte 1935, 1936 und eben vom 15. März bis 8. April 1937 verbringt Beckmann die Tage allein in der Klinik Dr. Franz Dengler, seit 1890 Rehaklinik für Orthopädie, Psychosomatik und Innere Medizin/Kardiologie. Vor allem in den Jahren 1935 bis 1937 sollte die Kur dem Gefühl zunehmender Isolierung und persönlicher Bedrohung entgegenwirken. Seit die Nationalsozialisten seinen Lehrauftrag an der Frankfurter Städelschule 1933 gekündigt hatten, ist das Misstrauen gewachsen, wiegen die Gedanken an seine künstlerische Zukunft schwer. Beckmann zieht (wieder) nach Berlin in die Hohenzollern Straße und wählt ein zurückgezogenes Dasein. Seinen Münchener Galeristen Günther Franke bittet er, eine für den 12. Februar 1934 angekündigte Ausstellung "möglichst zu unterlassen oder nur ein paar sehr diskret ausgewählte Sachen auszustellen. [...] Ich übersehe eben den Stand der Dinge genauer und bin sehr guten Mutes und sehr informiert. Aber wie gesagt. Keine Ausstellung machen, die unnötigen Lärm verursacht." (Max Beckmann, Briefe, Nr. 622). Sein von Ludwig Justi, dem Direktor der Berliner Nationalgalerie im Kronprinzenpalais eingerichteter 'Beckmann-Saal' ist nach dessen Entlassung bereits abgehängt. Beckmanns letzte Ausstellung vor seiner Emigration findet denn auch im Oktober 1936 in den privaten Räumen des damaligen Leiters des Hamburger Kunstvereins Dr. Hildebrand Gurlitt statt.

"Hier haust der Osterlindwurm mit all seinem Greul von 1000. v. Menschen die alle mit winzigen Autos herbeigerast sind, als ob hier das Paradies wäre", schildert Beckmann auch am zweiten Osterfeiertag 1937 seinen Kuralltag nach Amsterdam. "Ich flüchte in die Wälder, wo es immerhin noch Stellen gibt, wo man allein sein kann. - Die kurzen Afterdejeuners u. Dinners sind mit mittelmäßigem Genöl ganz angenehm ausgefüllt." (Max Beckmann, Briefe, Nr. 656) Beckmann schildert so etwas wie ein Baden-Baden-Gefühl, geht spazieren auch im Regen mit gekauftem Regenschirm, macht Ausflüge, besucht Kurkonzerte, geht in die Spielbank, notiert sich Motive, die er zurück noch in Berlin malen wird: "Stourdza-Kapelle?, "Golfplatz" und "Bergbahn". "Von hier ist nicht viel zu berichten und ansonsten sind viele Dinge schwer zu beschreiben", schildert Beckmann am 25. März 1937 noch den kurbedingten Müßiggang. Keine vier Monate später wird das Ehepaar Beckmann am 19. Juli 1937 - am Tag nach der Rede Hitlers bei der Eröffnung des "Hauses der Deutschen Kunst" in München und am Tag der Eröffnung der Ausstellung "Entartete Kunst" in den Hofgartenarkaden der Münchner Residenz, wo seine Werke, Gemälde und Grafik an den Pranger gestellt sind - Deutschland für immer verlassen. Mit dem Umzugsgut nach Amsterdam gelangen auch die drei eben benannten Gemälde nach Holland, die auf den letzten Aufenthalt Beckmanns in Baden-Baden zurückgehen und noch in Berlin ausgeführt sind. Neben dem "Golfplatz" und einer zweiten Version der "Stourdza-Kapelle" zwischen dunklen Zypressen und gelb blühenden Forsythien gehört dazu das Gemälde "Drahtseilbahn bei Baden-Baden", das nach einer späteren Überarbeitung in Saint Louis 1949 den Titel "Bergbahn in Colorado" erhalten wird. Vom Baden- Badener Hausberg Merkur hatte Beckmann 1936 eine Ansichtskarte an seine Frau geschickt. Dieses Gemälde wurde ein Jahr später noch auf der retrospektiven Ausstellung 1938 in Bern gezeigt. Mit der späteren Überarbeitung vermischt der Maler seinen letzten Aufenthalt in Baden-Baden mit der Berglandschaft in Boulder/Colorado, wo er sich im Sommer 1949 für einige Wochen aufhält und lehrt.


Drahtseilbahn bei Baden-Baden
Seit ihrer Eröffnung im Jahr 1913 bringt die Merkur-Bergbahn täglich zahlreiche Ausflügler, Wanderer und Naturliebhaber im Nu auf den 668 Meter hohen Gipfel des Baden-Badener Hausbergs. Dabei zählt sie mit Steigungen zwischen 23 und 58 Prozent zu den längsten und steilsten Standseilbahnen in Deutschland. Beckmann wählt eine für seine Malerei inzwischen typisch gewordene Nahsicht und einen zugleich extremen Blickwinkel für seine Schilderung der Bahnfahrt, indem er die schräge, treppenartige Bauweise des Waggons perspektivisch berücksichtigt. Von einem leicht erhöhten Standpunkt im Inneren des schmalen Waggons spiegelt Beckmann den Blick nach draußen in einen dichten Wald mit kahlen, mächtigen Bäumen und vom Wind zerzausten Kronen. Oberhalb der Baumwipfel zitiert der Künstler eine Landschaft, die sich schwer im Baden-Badener Umkreis und auch nicht im nahegelegenen Schwarzwald lokalisieren lässt. Auch das helle, mystisch wirkende Licht um das kantig gestufte Bergmassiv, die auffallend dichten, in dunklem Blau gehaltenen Wolken lassen die Szene wie eine Landschaft von einer 'anderen' Welt erscheinen, wie ein Bild im Bild, an dem die Bahn vorbeizieht, um ihr hiesiges Ziel unweit des Kurortes zu erreichen. Nicht im Zentrum des Fensters mit dem Blick auf die imposante Baumreihe, sondern am rechten unteren Bildrand gleichsam ins Bild gerutscht wie 'eingeklemmt' zitiert Beckmann ein Gesicht einer unbekannten (?), weiblichen Person mit mützenartiger Kopfbedeckung, die ebenfalls für ihren Ausflug auf den Baden-Badener Hausberg die Drahtseilbahn wählt. Die Augen im rundlichen Gesicht sind fest geschlossen, als konzentriere sie sich auf die Bewegung, als lausche sie den gleichmäßigen Geräuschen, welche die Bahn auf ihrem steilen Weg auf den Merkur begleiten. Max Beckmann war mehrfach während seiner Aufenthalte in Baden-Baden auf dem Merkur. Es existiert eine an seine Frau gerichtete Ansichtskarte mit einem Motiv des Merkur-Hotels und dessen auffälligem Turm, die er auf der Bildseite beschriftet und mit einer Skizze erweitert. Von dort aus unternimmt er eine größere Tour, die beide zuvor bereits einmal gemeinsam 1928 gewandert sind. Und jetzt, im Jahr 1937, wirkt die Szene wie eine verwunschene Idee, ein verklärter Traum, den der Künstler in Berlin in memoriam seiner Erlebnisse in Baden-Baden nachwirken lässt.

Provenienz I
Die Identifizierung des vorliegenden Gemäldes mit "Drahtseilbahn bei Baden-Baden, 1937" erfolgt nach einer Mitteilung von Mathilde 'Quappi' Beckmann an Barbara und Erhard Göpel, die Verfasser des ersten Werkverzeichnisses der Gemälde: "Das 1937 entstandene Bild wurde 1938 von Max Beckmann als abgeschlossen angesehen; es war in der Ausstellung Bern 1938 für 1205 Fr. verkäuflich". (Barbara und Erhard Göpel, Max Beckmann, Bern 1976, S. 479)
Diese Ausstellung in Bern organisiert Käthe Rapoport von Porada. Die Modejournalistin Käthe von Porada, geb. Magnus (Berlin 1891(?) - Antibes 1985), wächst in Berlin auf und erhält als junge Frau Kontakt zu Theater- und Literatenkreisen, etwa zu Hugo von Hofmannsthal, Gerhart Hauptmann und Arthur Schnitzler. 1911 heiratet sie den vermögenden Wiener Grundbesitzer Dr. Alfred Rapoport Edler von Porada und lebt mit ihm in Wien. Nach ihrer Trennung wechselt sie zwischen Wien und Frankfurt am Main, wo sie 1924 schließlich eine Wohnung am Untermainkai 21 findet, gegenüber von Beckmanns anfänglicher Bleibe bei dem befreundeten Ehepaar Battenberg auf der anderen Seite des Mains, und schreibt für die Frankfurter Zeitung Modeberichte. Sie erhält Zugang zum Kreis des Herausgebers Heinrich Simons, darunter Thomas Mann und Max Beckmann. Wo und wann genau sich Beckmann und Porada erstmals begegnet sind, ist unterschiedlich überliefert. Poradas Erinnerungen zufolge ist sie anwesend, als Beckmann in Wien im Hause der Familie Motesiczky seiner späteren Frau Mathilde von Kaulbach begegnet. (Marie-Louise von Motesiczky wird Meisterschülerin Beckmanns Mitte der 1920er Jahre.) Käthe von Porada übernimmt eine wichtige, gleichsam schwärmerische Rolle im Leben des Künstlers. 1928 zieht sie nach Paris, um für den Ullstein-Verlag und die Frankfurter Zeitung über die dortige Mode zu berichten. Für den jetzt regelmäßig in Paris weilenden Beckmann ist sie sehr nützlich: Sie besorgt ihm für seine halbjährlichen Aufenthalte Wohnung und Atelier, ist bei der Organisation des täglichen Lebens behilflich und stellt ihm 1930 den einflussreichen Dichter und Schriftsteller Philippe Soupault vor, der anlässlich der Ausstellung in der Galerie de la Renaissance im Gegensatz zur höchst kritischen Presse in Frankreich einen positiven Aufsatz über Max Beckmann schreibt. In Zeiten der Verfolgung und des Exils ist von Porada Beckmann eine verlässliche, loyale Freundin und hilft dem Ehepaar Beckmann 1937 bei der Vorbereitung ihres Umzugs ins Amsterdamer Exil. Gemeinsam mit dem amerikanischen Sammler, Autor und Freund des Künstlers Stephan Lackner organisiert von Porada eine umfangreiche Ausstellung von Beckmanns Werken 1938 in Bern, die im Anschluss in Winterthur, Zürich und Basel gezeigt wird. Sie steht in Kontakt mit Verlegern und Händlern des Künstlers, mit I. B. Neumann in Berlin und Günther Franke in München. Als 1939 eine geplante Beckmann-Schau in der Pariser Galerie Alfred Poyet aus politischen Gründen kurz vor der Eröffnung abgesagt wird, zeigt Porada kurzerhand Aquarelle des Malers in ihrer Privatwohnung in der Rue de la Pompe. Und Käthe von Porada ist Leihgeberin mit einem Gemälde von Max Beckmann für die Ausstellung "Twentieth Century German Art" in den Londoner New Burlington Galleries. Mit dieser kulturpolitisch höchst motivierten Ausstellung protestieren englische, französische und deutsche Künstler und Kunstfreunde gegen die Diffamierung deutscher Kunst durch das NS-Regime in München 1937. Damals einflussreiche Persönlichkeiten wie Herbert Read, Schriftsteller, Philosoph und Herausgeber von The Burlington Magazine, die in Zürich geborene Malerin und Kunsthändlerin Irmgard Burchard sowie der damals nach Paris emigrierte Schriftsteller, Sammler und Kunstkritiker Paul Westheim stehen für die Organisation der vom 7. Juli bis 27. August 1938 gezeigten Ausstellung mit rund 300 Werken. Etwa die Hälfte der Ausstellungsstücke stammte von deutschen Emigranten und von den Nationalsozialisten als "entartet" bezeichneten Künstlern. Um die Künstler nicht zu gefährden, wurden Leihgaben vornehmlich aus Museen und Privatsammlungen gezeigt. Am 21. Juli 1938 hält Max Beckmann seinen berühmt gewordenen Vortrag "Meine Theorie der Malerei".


Bergbahn in Colorado
Das Gemälde "Drahtseilbahn bei Baden-Baden" bleibt unverkauft und kehrt nach der Ausstellungs-Tournee in Beckmanns Atelier zurück, nunmehr in Amsterdam. Amsterdam sollte nur eine Zwischenstation auf dem Weg in die Vereinigten Staaten sein; sich erneut nach 1930 in Paris niederzulassen hatte sich mit dem Einmarsch der Deutschen in Frankreich zerschlagen. Sein Bemühen um eine Passage wird bald zehn Jahre andauern und erst 1947, vom 29. August bis 8. September, gelingt es Beckmann und seiner Frau mit der 'Westerdam' Europa von Rotterdam aus nach New York zu verlassen. Er folgt der Einladung, den amerikanischen Expressionisten Philip Guston für ein akademisches Jahr an der Art School der Washington University in St. Louis ab Ende September bis Juni 1948 zu vertreten. Anschließend reisen Beckmanns zurück nach Amsterdam; ihre Wohnung im Rokin 85 haben sie 'vorsichtshalber' behalten. Mitte September 1948 erfolgt sodann die erneute, endgültige Passage nach New York und die Weiterfahrt nach St. Louis, wo sie bis Mitte Juni 1949 verbleiben. Von der University of Colorado, Fine Art Department in Boulder erhält Beckmann einen Lehrauftrag, um sich dann schließlich ab September 1949 in New York niederzulassen und eine Professur für Malen und Zeichnen an der Art School des Brooklyn Museums in New York anzunehmen.
Dem Tagebuch zufolge wurde das Bild "Drahtseilbahn bei Baden-Baden" in St. Louis überarbeitet, als Vorbereitungen für die Reise nach Boulder getroffen werden. Boulder liegt hoch im Gebirge, am Fuß der Rocky Mountains. "Hier in Boulder oder in Garmisch-Partenkirchen zu sein, ist kein großer Unterschied, nur außerordentlich schöne u. andere Blumen gibt es hier. Aber das Leben in so einer Gebirgsuniversität ist ganz amüsant [...] und belehre wöchentlich 3 mal 36 malbedürftige Amerikaner u. Amerikanerinnen, das ist alles ganz ausruhend. Ich habe irrsinnig gearbeitet in St. L. und verschnaufe hier gewissermaßen und werde auch noch dafür bezahlt", berichtet Beckmann an den Verleger Reinhard Pieper nach München am 19. Juni 1949 (Max Beckmann, Briefe, Nr. 932).
Welche Partien, welche Details hat Beckmann verändert, übermalt, hinzugefügt? Die kühle 'Hochgebirgslandschaft' im Hintergrund ist zweifelsfrei hinzugefügt, eine vorweggenommene Hommage an die touristisch bekannten Flatiron Rocks. Ebenso scheint das Weiß auf den kräftigen Baumstämmen dort in St. Louis aufgetragen worden zu sein, um die Schneekälte der Rocky Mountains im Bild zu intensivieren. Auch die womöglich hinzugefügte oder veränderte mützenartige Kopfbedeckung der Passagierin möchte zumindest in dieser Form auf eine kühle Fahrt der dortigen Seilbahnen hinweisen. Beckmann schweigt hierüber und erwähnt die überarbeitete Fassung in seiner Bilderliste trocken: "St. Louis 1949 15 Bergbahn in Colo. 23 4 Juni". Laut Tagebuch hat sich Beckmann am 3., 4. und 5. Juni 1949 mit der "Drahtseilbahn bei Baden-Baden" in St. Louis beschäftigt. Barbara und Erhard Göpel zufolge, habe "Max Beckmann in Boulder nur gezeichnet, nicht mit Ölfarben gemalt" (Max Beckmann, Bern 1976, S. 301). Max Beckmann wählt schon in Baden-Baden eine für seine Malerei inzwischen typisch gewordene Nahsicht und einen zugleich extremen Blickwinkel für seine Schilderung einer Bahnfahrt in Baden-Baden. Mit den Veränderungen in St. Louis stellt sich ein werkimmanentes Erfinden gleichsam als Finden heraus, und die künstlerische Kreativität mischt sich dabei stets mit dem Autobiografischen.


Provenienz II
"Bergbahn in Colorado" befindet sich nach Beckmanns Tod am 27. Dezember 1950 in New York in dessen Nachlass. Bevor das von Beckmann in Berlin und dann in St. Louis geheimnisvoll veränderte Gemälde Anfang der 1970er Jahre nach 25 Jahren wieder nach Deutschland kommt, übergibt Mathilde Beckmann das Werk dem seit 1937 in New York arbeitenden 'Beckmann-Galeristen' Curt Valentin (Buchholz Gallery) in Kommission. In einer weiteren New Yorker Galerie, der sich ebenfalls für Beckmann einsetzenden Galerie von Catherine Vivano, sie besteht von 1950 bis 1970, lässt sich das Gemälde wohl erstmals 1955 anlässlich einer Ausstellung nachweisen, bevor die 1901 in Schlesien geborene Helen Serger die "Bergbahn" 1972 in ihre Galerie in der Upper East Side übernimmt. Helen Serger vertrat vor allem Künstler der klassischen Moderne aus Frankreich und Deutschland. [MvL]



122000085
Max Beckmann
Bergbahn in Colorado, 1937/1949.
Öl auf Leinwand
Schätzpreis: € 700.000 - 900.000
Informationen zu Aufgeld, Steuern und Folgerechtsvergütung sind ab vier Wochen vor Auktion verfügbar.