Auktion: 540 / Evening Sale am 09.06.2023 in München Lot 22

 

22
Karl Hofer
Die Geschwister, 1927.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 100.000
Ergebnis:
€ 127.000

(inklusive Aufgeld)
Die Geschwister. 1927.
Öl auf Leinwand.
Wohlert 748. Rechts unten monogrammiert. Auf dem Keilrahmen mit einem alten Etikett, dort handschriftlich bezeichnet "Karl Hofer / Zwei Kinder / 3". 100 x 65 cm (39,3 x 25,5 in). [JS].

• Qualitativ herausragendes Figurenbildnis aus der besten Schaffenszeit.
• "Die Geschwister" – innig verbunden und zugleich faszinierend entrückt.
• Radikal moderne Ästhetik: klar-reduzierte Komposition in flächig-leuchtender Farbgebung.
• Bereits 1928/29 mehrfach ausgestellt: auf den bedeutenden frühen Hofer-Ausstellungen der Kunsthalle Mannheim (1928) und des Kunsthauses Zürich (1929) sowie auf den Ausstellungen der Berliner und der Badischen Secession.
• Wiederentdeckung: Seit fast 100 Jahren Teil einer württembergischen Privatsammlung.
• Bereits 1949 kauft das Museum of Modern Art, New York, das vergleichbare Gemälde "Jüngling mit Melone" (1926/1933) für seine Sammlung an
.

PROVENIENZ: Hermann Baumgarten, Stuttgart (1928).
Sammlung Wilhelm Laaff, Wiesbaden (wahrscheinlich vom Vorgenannten erworben, seit über 90 Jahren in Familienbesitz).

AUSSTELLUNG: Zweite Ausstellung Badische Secession / Fünfte Ausstellung Stuttgarter Secession, Neues Ausstellungsgebäude im Schlossgarten, Stuttgart, 28.4-10.6.1928, S. 9, Kat.-Nr. 68 (m. Abb. S. 25).
Karl Hofer. Das gesammelte Werk, Städtische Kunsthalle, Mannheim, 9.9.-21.10.1928, S. 13, Kat.-Nr. 101.
Kollektivausstellung Karl Hofer, Katalog der 55. Ausstellung der Berliner Secession, in Gemeinschaft mit der Galerie Flechtheim, Berlin, Nov./Dez. 1928, S. 17, Kat.-Nr. 62.
Karl Hofer, Kunsthaus Zürich, 24.1.-23.2.1929, S. 11, Kat.-Nr. 48.

LITERATUR: K. Martin, Kunsthalle Mannheim: Karl Hofer, in: Kunst und Künstler, 27.1929, S. 76.

"Nie habe ich eine Figuration nach der äußeren Natur des Zufälligen geschaffen. Der Impressionismus vermochte mich darum nicht zu berühren. Die Extasen des Expressionismus lagen mir nicht. Der Mensch und das Menschliche war und ist das Objekt meiner Darstellungen."

Karl Hofer, zit. nach: Karl Hofer. Von Lebensspuk und stiller Schönheit, Ausst.-Kat. Kunsthalle Emden 2012, S. 14.

Karl Hofer ist der Meister des Figurenbildes, ein Meister der Stille und des sinnenden Blicks. Seine Figuren sind regungslos und gedankenverloren. In den 1920er Jahren findet Hofer, der 1921 an der Berliner Hochschule der bildenden Künste zum Professor ernannt wird, zu seinem charakteristischen Stil, der für sein malerisches Œuvre fortan prägend sein wird. Obwohl ihre historische Verankerung in der Zwischenkriegszeit für die melancholische Grundstimmung dieser Arbeiten prägend ist, faszinieren sie durch die Zeitlosigkeit ihres Audrucks.

Eine echte Wiederentdeckung aus dieser besten Schaffenszeit Hofers ist unser Gemälde "Die Geschwister", das sich aufgrund der reduzierten Komposition und der flächigen Farbgebung durch eine radikal moderne Ästhetik auszeichnet. Im 2007 erschienenen Werkverzeichnis von Karl Bernhard Wohlert ist die Arbeit noch mit dem Vermerk "Verbleib unbekannt" verzeichnet. Fast seit einem Jahrhundert aber war Hofers eindrucksvolle Schöpfung in einer württembergischen Privatsammlung verborgen. Die Arbeit ist über mehrere Generationen in Familienbesitz verblieben und wurde ursprünglich wahrscheinlich um 1930 von dem Stuttgarter Kunsthändler Hermann Baumgarten erworben. Dieser ist durch den Katalog der Karl-Hofer-Ausstellung in der Berliner Secession im Jahr 1928, auf der das Gemälde bereits ein Jahr nach Entstehung ausgestellt war, als der damalige Besitzer der Arbeit belegt. 1928 war die Arbeit nicht nur in der Berliner Secession, sondern auch in der Badischen Secession ausgestellt und darüber hinaus auf den bedeutenden Hofer-Ausstellungen in der Kunsthalle Mannheim (1928) und im Kunsthaus Zürich (1929) vertreten. Anschließend blieb das Gemälde für fast einhundert Jahre der Öffentlichkeit verborgen, bevor es nun in unserer Auktion zur Versteigerung gelangt.

Innig und doch fremd präsentiert uns Hofer den Jüngling und seine kleine Schwester im leuchtend roten Kleidchen, deren Blicke sich weder einander zu noch voneinander abwenden. Sie sind in geschwisterlicher Liebe eng umschlungen und doch zugleich seltsam beziehungslos, zueinander, aber auch zur Außenwelt, denn ihre Blicke entziehen sich auch den Betrachtenden. Und so zeigt uns Hofer in diesem wunderbaren Geschwisterbild zwar Kinder, aber doch zugleich auch in sich gewandte, melancholische Gestalten. Hofers Figurengemälde zeigen keine Handlung, sie zeigen Menschen, die regungslos in die Leere blicken. Wie unser frühes und qualitativ herausragendes Gemälde "Geschwister" zeigt, geht es Hofer also meist nicht um Porträthaftigkeit der Dargestellten, sondern seine Figuren sind vielmehr entindividualisierte Repräsentanten des Menschlichen. Genau das ist der Grund für den besonderen, zeitlos-modernen Charakter, der in besonderer Weise Hofers faszinierende Schöpfungen der 1920er Jahre auszeichnet. In der Zeit des Nationalsozialismus galt Hofers wegweisendes Œuvre als "entartet" und Hofer wird im Sommer 1934 aus seinem Amt an der Berliner Hochschule für die Bildenden Künste entlassen. [JS]



22
Karl Hofer
Die Geschwister, 1927.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 100.000
Ergebnis:
€ 127.000

(inklusive Aufgeld)