Auktion: 548 / Contemporary Art Day Sale am 08.12.2023 in München Lot 145


145
Karl Hartung
Große Baumsäule I, 1965/66.
Bronze, poliert
Schätzung:
€ 30.000
Ergebnis:
€ 48.260

(inklusive Aufgeld)
Große Baumsäule I. 1965/66.
Bronze, poliert.
Seitlich am unteren Rand mit dem Künstlersignet und dem Gießerstempel der Bildgießerei Hermann Noack, Berlin. Aus einer Auflage von 6 + 1 Exemplaren. Höhe: 57 cm (22,4 in).
Lebzeitguss.
Derzeit sind einige Werke Karl Hartungs in der Ausstellung "Herausragend: das Relief von Rodin bis Taeuber-Arp" (bis 25. Februar 2024) in der Hamburger Kunsthalle zu sehen. [CH].

• Lebzeitguss.
• Aufgrund der klaren Formensprache und der glatten, glänzenden Oberfläche von besonders sinnlicher Ästhetik und reizvoller Ausdruckskraft.
• Bei größtmöglicher Abstraktion bewahrt Hartung eine gewisse Nähe zur Natur und zum vegetativen Ausgangsmotiv.
• Erstmals wird ein Exemplar dieser Bronze auf dem internationalen Auktionsmarkt angeboten.
• Ein weiteres Exemplar befindet sich in der Museumssammlung der Städtischen Galerie Wolfsburg.
• Bis zum 17. Dezember 2023 ist ein weiteres Exemplar in der Einzelausstellung "Reine Formsache. Hommage an Karl Hartung" in der Gerisch Stiftung und im Gerisch Skulpturenpark in Neumünster zu sehen
.

Wir danken dem Nachlass Karl Hartung für die freundliche wissenschaftliche Beratung.

PROVENIENZ: Aus dem Nachlass des Künstlers.

AUSSTELLUNG: Karl Hartung 1908-1967. Eine Werkübersicht zum 80. Geburtstag, Galerie Pels-Leusden, Berlin, 3.9.-29.10.1988, Kat.-Nr. 84 (m. Abb.)
Ausst.-Kat. Karl Hartung. Werke und Dokumente, Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg 1998, S. 77.

LITERATUR: Markus Krause, Karl Hartung 1908–1967. Metamorphosen von Mensch und Natur (Monographie und Werkverzeichnis), München 1998, S. 269, S. 164-166, WVZ.-Nr. 792 (m. SW-Abb.).
Ausst.-Kat. Karl Hartung. Werke und Dokumente, Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg 1998, S. 77.

In der Plastik mit dem sprechenden Titel "Große Baumsäule I" überführt Karl Hartung eine auf den ersten Blick aus der Natur erschlossene Form eines Baumstammes in eine neue, abstrahierte Gestaltung einer vollplastischen Säule. Die unmittelbare Nähe zur Naturästhetik wird jedoch durch die Wahl der golden glänzenden, polierten Bronze künstlerisch gebrochen. Es handelt sich bei diesem Exemplar um einen Guss zu Lebzeiten des Künstlers, - dieser hätte auch eine braune Patina für die Ausführung seiner Baumsäule als Bronzeguss wählen können, er hat jedoch bewusst eine polierte Bronze gewählt, deren Materialästhetik einen reizvollen Kontrast zur naturnahen Form eines Baumstammes darstellt. Dies führt zu einer ganz besonderen ästhetischen Wirkung, die die Form noch betont.

Karl Hartung hat genau vor 100 Jahren, im Jahr 1923, eine Lehre zum Holzbildhauer begonnen. Auch in den 30er Jahren hat er sich teils aus Materialnot, teils aus purer Besessenheit heraus mit Bäumen, Holzarten und Stammformen künstlerisch beschäftigt. Seine Tochter Hanne berichtet, dass kein Spaziergang und keine Reise zeitlebens möglich war, ohne dass ihr Vater Stöckchen, Äste und Zweige, die besonders interessant geformt waren, mit nach Hause brachte. Dies kulminierte 1950 in einem besonderen Ereignis: Er schleppte sogar den Stamm einer großen Buche in sein Atelier, der ihn zu einem seiner bekanntesten und bedeutendsten Hauptwerke inspirierte, dem Torso Schreiten, welcher sich heute in Museumssammlungen auf der ganzen Welt befindet und ein Mischwesen zwischen Baum und Mensch verkörpert. Dieses Phänomen entspricht auch Hartungs werkübergreifender Intention, nie die Natur mimetisch nachzubilden, sondern ihr in ihrer Gestaltung ebenbürtig zu werden.

Die "Baumsäulen" stellen sogar eine eigene Werkgruppe innerhalb des Werkkomplexes der vielgestaltigen Säulen in seinem Spätwerk dar.

Es wirkt zugleich tragisch und bezeichnend, dass Hartung so kurz vor seinem Tod zu einer Gestaltungsform und einem Thema findet, welches konkret auf die Säule als Verbindung zwischen Himmel und Erde und den Stamm eines Baumes referiert, da er zu diesem Zeitpunkt schon schwerkrank war (Asthma) und die Säulen ein noch überschaubares Maß an bildhauerischer Gestaltung und Arbeit mit sich brachten, wofür seine schwindenden Kräfte noch reichten. Kurz zuvor hatte er noch einen Großauftrag für eine Säule vollendet: Die ca. 4 m hohe Säule aus römischem Travertinstein, Columna, die ein Wahrzeichen des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg ist und bis heute dort im Innenhof steht. Der Baum war aber seit jeher ein, wenn nicht sogar das Symbol des Lebens schlechthin. Er steht für Wandel, Resilienz, Unerschütterlichkeit. Die Liebe zum Werkstoff Holz und die Faszination für Bäume sind bis zu seinem Lebensende geblieben. Vielleicht steht bei seiner Werkreihe der Baumsäulen der Denkmalcharakter an die Natur und das Leben an sich im Vordergrund. Die Baumsäule kann in jedem Fall als ein Symbol für ein "Denkmal der Vegetation" (Zitat K.H.) und als Mischform zwischen Baum und Säule zwei seiner sinnbildlichen Lebensthemen vereinend gesehen werden.
[Anna Hartung]



145
Karl Hartung
Große Baumsäule I, 1965/66.
Bronze, poliert
Schätzung:
€ 30.000
Ergebnis:
€ 48.260

(inklusive Aufgeld)