Auktion: 590 / Evening Sale am 06.06.2025 in München
Lot 124001482


124001482
Lyonel Feininger
Auf der Brücke, 1913.
Öl auf Leinwand
Schätzpreis: € 600.000 - 800.000
Informationen zu Aufgeld, Steuern und Folgerechtsvergütung sind ab vier Wochen vor Auktion verfügbar.
Auf der Brücke. 1913.
Öl auf Leinwand.
Links unten signiert und datiert. 60,5 x 62,5 cm (23,8 x 24,6 in).
[AR].
• Zwischen formaler Strenge und erzählerischer Poesie: "Auf der Brücke" steht sinnbildlich für Feiningers radikalen Stilwandel in der Entstehungszeit.
• Der Künstler selbst beschreibt die Phase in einem Brief als "die erste Reifeperiode in meinem Künstlerdasein".
• Die Brücke in Oberweimar ist von 1912 bis 1919 ein zentrales Motiv seines Schaffens; insgesamt sieben, stark variierende Gemälde widmet er dem historischen Bauwerk.
• Etwa zeitgleich beginnt Feininger im Jahr 1913 mit dem berühmten Gemäldezyklus "Gelmeroda I–III".
• Noch im selben Jahr nimmt er auf Einladung von Franz Marc am "Ersten Deutschen Herbstsalon" von Herwarth Walden teil, dessen Galerie "Der Sturm" 1917 seine erste Einzelausstellung ausrichtet.
• Weitere Variationen der Brücke in Oberweimar befinden sich in renommierten Museumssammlungen wie etwa im Museum Ludwig, Köln, im Kirchner Museum, Davos, sowie im Philadelphia Museum of Art.
• Zuletzt mehrfach museal ausgestellt, unter anderem in der vielbeachteten Retrospektive des Künstlers in der Schirn Kunsthalle in Frankfurt am Main.
• Aus der gesuchten Zeit der frühen 1910er Jahre: Feiningers figurative Gemälde dieser Jahre zählen auf dem internationalen Auktionsmarkt zu den gefragtesten Arbeiten des Künstlers (Quelle: artprice.com).
PROVENIENZ: Sammlung Dr. Wilhelm Fulda, Lauta-Werk, Lauta/Lausitz (bis 1950, wohl von der Galerie Ferdinand Möller, Berlin, erworben).
Hedwig Fulda, Sangershausen (1950 durch Erbschaft vom Vorgenannten).
Wigbert Langguth, München/Lohof (aus vorgenanntem Familienbesitz, bis 1965).
Sammlung Hans Ravenborg, Hamburg (1965 über Roman Norbert Ketterer, Campione d'Italia, vom Vorgenannten erworben, bis 2001).
Privatsammlung Deutschland (2001 vom Vorgenannten über Christie's erworben, bis 2007).
Privatsammlung.
Privatsammlung Nordrhein-Westfalen.
AUSSTELLUNG: Lyonel Feininger 1871-1956: Gedächtnisausstellung, Kunstverein Hamburg, 21.1.-5.3.1961; Museum Folkwang, Essen, 15.3.-7.5.1961; Staatliche Kunsthalle, Baden-Baden, 14.5.-26.6.1961, Kat.-Nr. 6 (m. Farbabb.).
L'Espressionismo: Pittura, scultura, architettura, Palazzo Strozzi, Florenz, Mai-Juni 1964, Kat.-Nr. 86, S. 67.
Die Feiningers: Ein Familienbild am Bauhaus, Lyonel Feininger Galerie, Quedlinburg, 25.5.-2.9.2019.
A Collector's Choice - Picasso, Miró, Schlemmer & Co., Kunstmuseum Pablo Picasso, Münster, 4.2.-14.5.2023, Kat.-Nr. 52 (m. Farbabb. S. 99).
Lyonel Feininger. Retrospektive, Schirn Kunsthalle, Frankfurt a. Main, 27.10.2023-18.2.2024, o. Kat.-Nr. (m. Farbabb. S. 48).
Courage. Lehmbruck und die Avantgarde, Lehmbruck Museum, Duisburg, 16.6.-6.10.2024 (m. Farbabb. S. 92).
LITERATUR: Achim Moeller, Auf der Brücke (On the Bridge), 1913 (Moeller 121), in: Lyonel Feininger: The Catalogue Raisonné of Paintings, http://feiningerproject.org (aufgerufen am 27.1.2025).
Hans Hess, Lyonel Feininger. Mit einem Œuvre-Katalog von Julia Feininger, London 1961, WVZ-Nr. 111 (m. Abb. S. 257).
Hans Hess, Lyonel Feininger. Mit einem Œuvre-Katalog von Julia Feininger, Stuttgart 1959, WVZ-Nr. 111.
- -
Roman Norbert Ketterer, L. Feininger. Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen, Graphik, Campione d'Italia 1965, Kat.-Nr. 2 (m. Farbabb. S. 6).
Roman Norbert Ketterer, Moderne Kunst II. Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen, Lagerkatalog, Stuttgart 1965, Nr. 32 (m. Farbabb. S. 45).
ARCHIVALIEN:
Korrespondenz zwischen der Galerie Ferdinand Möller und Dr. Wilhelm Fulda sowie seinen Brüdern Otto und Dr. Ernst Fulda, 1948-1952, Nachlass Ferdinand Möller, Berlinische Galerie, Berlin, BG-KA-N/F.Möller-206-M76,1-33, fol. 25.
"Nur durch die Kunst kann ich wieder Mensch werden, und bin ich jetzt wieder Mensch geworden [..] Dies ist wohl die erste Reifeperiode in meinem Künstlerdasein."
Lyonel Feininger in einem Brief an Julia Feininger, Weimar, 18.5.1913.
Öl auf Leinwand.
Links unten signiert und datiert. 60,5 x 62,5 cm (23,8 x 24,6 in).
[AR].
• Zwischen formaler Strenge und erzählerischer Poesie: "Auf der Brücke" steht sinnbildlich für Feiningers radikalen Stilwandel in der Entstehungszeit.
• Der Künstler selbst beschreibt die Phase in einem Brief als "die erste Reifeperiode in meinem Künstlerdasein".
• Die Brücke in Oberweimar ist von 1912 bis 1919 ein zentrales Motiv seines Schaffens; insgesamt sieben, stark variierende Gemälde widmet er dem historischen Bauwerk.
• Etwa zeitgleich beginnt Feininger im Jahr 1913 mit dem berühmten Gemäldezyklus "Gelmeroda I–III".
• Noch im selben Jahr nimmt er auf Einladung von Franz Marc am "Ersten Deutschen Herbstsalon" von Herwarth Walden teil, dessen Galerie "Der Sturm" 1917 seine erste Einzelausstellung ausrichtet.
• Weitere Variationen der Brücke in Oberweimar befinden sich in renommierten Museumssammlungen wie etwa im Museum Ludwig, Köln, im Kirchner Museum, Davos, sowie im Philadelphia Museum of Art.
• Zuletzt mehrfach museal ausgestellt, unter anderem in der vielbeachteten Retrospektive des Künstlers in der Schirn Kunsthalle in Frankfurt am Main.
• Aus der gesuchten Zeit der frühen 1910er Jahre: Feiningers figurative Gemälde dieser Jahre zählen auf dem internationalen Auktionsmarkt zu den gefragtesten Arbeiten des Künstlers (Quelle: artprice.com).
PROVENIENZ: Sammlung Dr. Wilhelm Fulda, Lauta-Werk, Lauta/Lausitz (bis 1950, wohl von der Galerie Ferdinand Möller, Berlin, erworben).
Hedwig Fulda, Sangershausen (1950 durch Erbschaft vom Vorgenannten).
Wigbert Langguth, München/Lohof (aus vorgenanntem Familienbesitz, bis 1965).
Sammlung Hans Ravenborg, Hamburg (1965 über Roman Norbert Ketterer, Campione d'Italia, vom Vorgenannten erworben, bis 2001).
Privatsammlung Deutschland (2001 vom Vorgenannten über Christie's erworben, bis 2007).
Privatsammlung.
Privatsammlung Nordrhein-Westfalen.
AUSSTELLUNG: Lyonel Feininger 1871-1956: Gedächtnisausstellung, Kunstverein Hamburg, 21.1.-5.3.1961; Museum Folkwang, Essen, 15.3.-7.5.1961; Staatliche Kunsthalle, Baden-Baden, 14.5.-26.6.1961, Kat.-Nr. 6 (m. Farbabb.).
L'Espressionismo: Pittura, scultura, architettura, Palazzo Strozzi, Florenz, Mai-Juni 1964, Kat.-Nr. 86, S. 67.
Die Feiningers: Ein Familienbild am Bauhaus, Lyonel Feininger Galerie, Quedlinburg, 25.5.-2.9.2019.
A Collector's Choice - Picasso, Miró, Schlemmer & Co., Kunstmuseum Pablo Picasso, Münster, 4.2.-14.5.2023, Kat.-Nr. 52 (m. Farbabb. S. 99).
Lyonel Feininger. Retrospektive, Schirn Kunsthalle, Frankfurt a. Main, 27.10.2023-18.2.2024, o. Kat.-Nr. (m. Farbabb. S. 48).
Courage. Lehmbruck und die Avantgarde, Lehmbruck Museum, Duisburg, 16.6.-6.10.2024 (m. Farbabb. S. 92).
LITERATUR: Achim Moeller, Auf der Brücke (On the Bridge), 1913 (Moeller 121), in: Lyonel Feininger: The Catalogue Raisonné of Paintings, http://feiningerproject.org (aufgerufen am 27.1.2025).
Hans Hess, Lyonel Feininger. Mit einem Œuvre-Katalog von Julia Feininger, London 1961, WVZ-Nr. 111 (m. Abb. S. 257).
Hans Hess, Lyonel Feininger. Mit einem Œuvre-Katalog von Julia Feininger, Stuttgart 1959, WVZ-Nr. 111.
- -
Roman Norbert Ketterer, L. Feininger. Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen, Graphik, Campione d'Italia 1965, Kat.-Nr. 2 (m. Farbabb. S. 6).
Roman Norbert Ketterer, Moderne Kunst II. Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen, Lagerkatalog, Stuttgart 1965, Nr. 32 (m. Farbabb. S. 45).
ARCHIVALIEN:
Korrespondenz zwischen der Galerie Ferdinand Möller und Dr. Wilhelm Fulda sowie seinen Brüdern Otto und Dr. Ernst Fulda, 1948-1952, Nachlass Ferdinand Möller, Berlinische Galerie, Berlin, BG-KA-N/F.Möller-206-M76,1-33, fol. 25.
"Nur durch die Kunst kann ich wieder Mensch werden, und bin ich jetzt wieder Mensch geworden [..] Dies ist wohl die erste Reifeperiode in meinem Künstlerdasein."
Lyonel Feininger in einem Brief an Julia Feininger, Weimar, 18.5.1913.
Lyonel Feininger und die Brücke in Oberweimar
Im Februar 1906 reist Lyonel Feininger zum ersten Mal nach Weimar. Anlass ist ein Besuch bei Julia Berg, die er ein Jahr zuvor im Zug Richtung Ostsee kennengelernt hatte und für die er wenig später seine erste Ehefrau, die Pianistin Clara Fürst, verlässt. Julia Berg hält sich seit Januar in Weimar zu Studienzwecken auf und entdeckt in der Klassikstadt ein historisches Bauwerk, dass Lyonel Feininger zu zahlreichen Arbeiten inspirieren wird. Schon kurz nach ihrer Ankunft muss sie ihm in einem Brief von der eindrucksvollen Architektur der massiven Vierbogen-Steinbrücke über die Ilm in Oberweimar berichtet haben, denn am 17. Januar 1906 antwortet ihr Lyonel Feininger: "[..] wie ich mich auf die Brücke freue kann ich dir gar nicht sagen [..]" (zit. nach: Roland März (Hrsg.), Lyonel Feininger. Von Gelmeroda nach Manhattan, Berlin 1998, S. 60). Einen Monat später, als Lyonel Feininger selbst in Weimar ankommt und die Brücke besichtigt, wird die Vorfreude nicht enttäuscht, wie unter anderem aus weiteren Briefen überliefert ist und sich letztlich auch an seinem Schaffen ablesen lässt.
Denn wie so häufig in seinem Schaffen begeistert sich Lyonel Feininger nicht nur sofort für das Bauwerk, sondern greift das Motiv auch noch mehr als zehn Jahre später in seinen Werken auf. Neben einer Vielzahl von Zeichnungen entstehen von der Brücke zwischen 1912 und 1919 insgesamt sieben Gemälde, die sich mit dem Motiv in stark variierender Ausführung auseinandersetzen und dabei seinen künstlerischen Gestaltungsdrang immer wieder aufs Neue herausfordern. Das erste Gemälde aus dem Jahr 1912 trägt den Titel "Brücke 0" und ist noch stark von Lyonel Feiningers figürlichem Stil seiner Anfangszeit als Maler geprägt. Doch zeigen sich hier bereits erste Tendenzen zur Auseinandersetzung mit dem Kubismus. Ein Jahr zuvor, während einer Paris-Reise im Jahr 1911, war Lyonel Feininger erstmals mit kubistischen Werken und Arbeiten von Robert Delaunay in Kontakt gekommen – Eindrücke, die seinen eigenen Stil in den Folgejahren nachhaltig prägen sollten und sich in dieser ersten Brücken- Darstellung andeuten.
Bereits 1913 folgen zwei weitere Gemälde, in denen er sich mit der Brücke in Oberweimar auseinandersetzt: "Brücke I" und die hier angebotene Arbeit "Auf der Brücke". Obwohl die beiden Arbeiten das Bauwerk aus unterschiedlichen Perspektiven zeigen, ähneln sie sich in der kühlen Farbwahl, zeigen einen höheren Grad der Abstrahierung und einen zunehmenden Einsatz geometrisch reduzierter Formen. Sie entstehen während eines erneuten mehrmonatigen Aufenthalts in Weimar. Mittlerweile haben Julia und Lyonel geheiratet und leben mit ihren drei Söhnen Andreas, Laurence und Theodore in Berlin. Für den Künstler ist die Zeit in Weimar im Jahr 1913 eine Phase der künstlerischen Freiheit und stilistischen Neufindung, die letztlich einen wichtigen Stilwandel in seinem Schaffen einleiten wird.
"Auf der Brücke": Sinnbild für den stilistischen Wandel um 1913
Unter den Eindrücken seines Paris-Aufenthalts und des sich dort verbreitenden Kubismus entfernt sich Feininger immer mehr von seinen figürlichen, noch von der Karikatur beeinflussten Kompositionen. In einem Brief an Julia schreibt er im April 1913: "Ich fange an gut und froh zu arbeiten; was ich mache ist sehr natürlich, nicht mehr nur Problem. Ich will kein Wort darüber verraten, nur dass ich mit jedem Tag jetzt wieder weiter komme und klarer werde, mich selbst finde. Wenn ich aus dem Hause trete ins Freie, freue ich mich, es ist nichts von Einsamkeit hier für mich!" (Lyonel Feininger in einem Brief an Julia Feininger, Weimar, 7.4.1913) Obwohl er deutlich vom Kubismus beeinflusst ist, verschreibt er sich dabei jedoch nicht vollständig dem fremden Stil, sondern findet, wie für seinen künstlerischen Werdegang so charakteristisch, eigene Wege, um seinem inneren künstlerischen Streben trotz äußerer Impulse weiterhin Gestalt zu verleihen.
Zwar sind Feiningers charakteristische Figuren auch in "Auf der Brücke" nach wie vor ins Zentrum der Darstellung gerückt. Bekleidet mit dem für Feininger so typischen hohen Hut und langen, zackigen Mänteln ist jedoch auch an ihnen eine fortschreitende, formale Reduzierung deutlich abzulesen. Als anonyme Wesen mit eher düsteren, mystischen Anklängen überlassen sie die große Bühne dabei jedoch immer mehr der Architektur und dem Naturschauspiel. Dabei halten sie nach wie vor die Balance zwischen der formalen, geometrischen Strenge der Komposition und einem angedeuteten poetischen Erzählstrang, der an die Romane von Victor Hugo oder Honoré de Balzac denken lässt, für die sich Feininger in dieser Zeit begeistert.
So stellt die Arbeit "Auf der Brücke" nicht nur motivisch einen Transfer zwischen den zwei Uferseiten der Ilm in Oberweimar dar, sondern kann auch sinnbildlich für einen Übergang von Feiningers figürlicher Malerei hin zu seinen geometrisch-kubistischen Arbeiten der Folgejahre verstanden werden, aus denen letztlich seine wegweisenden, kristallin-prismatischen Arbeiten hervorgehen werden. Noch im selben Jahr beginnt Feininger mit dem berühmten Gemäldezyklus "Gelmeroda I–III", der sich ebenfalls in die Gruppe der berühmten Architekturdarstellungen einordnen lässt und ein weiteres Indiz für die Weiterentwicklung im Schaffen des Künstlers darstellt. Noch im Herbst desselben Jahres nimmt er auf Einladung von Franz Marc am "Ersten Deutschen Herbstsalon" von Herwarth Walden teil, der die damalige künstlerische Avantgarde in einer Gruppenausstellung versammelt und dessen Galerie "Der Sturm" 1917 schließlich Lyonel Feiningers erste Einzelausstellung ausrichten wird.
"Auf der Brücke" steht somit sowohl stilistisch als auch im Hinblick auf die öffentliche Wahrnehmung beispielhaft für einen Entwicklungssprung im Schaffen des Künstlers, den er selbst in einem Brief an Julia am 18. Mai 1913 als "[..] die erste Reifeperiode in meinem Künstlerdasein" bezeichnet (Lyonel Feininger in einem Brief an Julia Feininger, Weimar, 18.5.1913). In den letzten Jahren hat die Arbeit durch mehrere Ausstellungsbeteiligungen neue, museale Aufmerksamkeit erhalten und war unter anderem in der vielbeachteten Retrospektive Lyonel Feiningers in der Schirn Kunsthalle in Frankfurt am Main zu sehen. Eine längst überfällige Würdigung dieses für den Werdegang Lyonel Feiningers so aussagekräftigen Werks auf seinem Weg zu einem der wichtigsten Künstler der klassischen Moderne. Dessen große Lebensleistung beschrieb Alfred Hentzen einst mit den schönen Worten: "Feiningers Werk vereint in wunderbarer Weise strenge, kristallische Klarheit mit reiner, romantischer Poesie" (Alfred Hentzen, zit. nach Ausst.-Kat. Gedächtnisausstellung Hamburg/Essen/Baden-Baden 1961, Vorwort).
[AR]
Im Februar 1906 reist Lyonel Feininger zum ersten Mal nach Weimar. Anlass ist ein Besuch bei Julia Berg, die er ein Jahr zuvor im Zug Richtung Ostsee kennengelernt hatte und für die er wenig später seine erste Ehefrau, die Pianistin Clara Fürst, verlässt. Julia Berg hält sich seit Januar in Weimar zu Studienzwecken auf und entdeckt in der Klassikstadt ein historisches Bauwerk, dass Lyonel Feininger zu zahlreichen Arbeiten inspirieren wird. Schon kurz nach ihrer Ankunft muss sie ihm in einem Brief von der eindrucksvollen Architektur der massiven Vierbogen-Steinbrücke über die Ilm in Oberweimar berichtet haben, denn am 17. Januar 1906 antwortet ihr Lyonel Feininger: "[..] wie ich mich auf die Brücke freue kann ich dir gar nicht sagen [..]" (zit. nach: Roland März (Hrsg.), Lyonel Feininger. Von Gelmeroda nach Manhattan, Berlin 1998, S. 60). Einen Monat später, als Lyonel Feininger selbst in Weimar ankommt und die Brücke besichtigt, wird die Vorfreude nicht enttäuscht, wie unter anderem aus weiteren Briefen überliefert ist und sich letztlich auch an seinem Schaffen ablesen lässt.
Denn wie so häufig in seinem Schaffen begeistert sich Lyonel Feininger nicht nur sofort für das Bauwerk, sondern greift das Motiv auch noch mehr als zehn Jahre später in seinen Werken auf. Neben einer Vielzahl von Zeichnungen entstehen von der Brücke zwischen 1912 und 1919 insgesamt sieben Gemälde, die sich mit dem Motiv in stark variierender Ausführung auseinandersetzen und dabei seinen künstlerischen Gestaltungsdrang immer wieder aufs Neue herausfordern. Das erste Gemälde aus dem Jahr 1912 trägt den Titel "Brücke 0" und ist noch stark von Lyonel Feiningers figürlichem Stil seiner Anfangszeit als Maler geprägt. Doch zeigen sich hier bereits erste Tendenzen zur Auseinandersetzung mit dem Kubismus. Ein Jahr zuvor, während einer Paris-Reise im Jahr 1911, war Lyonel Feininger erstmals mit kubistischen Werken und Arbeiten von Robert Delaunay in Kontakt gekommen – Eindrücke, die seinen eigenen Stil in den Folgejahren nachhaltig prägen sollten und sich in dieser ersten Brücken- Darstellung andeuten.
Bereits 1913 folgen zwei weitere Gemälde, in denen er sich mit der Brücke in Oberweimar auseinandersetzt: "Brücke I" und die hier angebotene Arbeit "Auf der Brücke". Obwohl die beiden Arbeiten das Bauwerk aus unterschiedlichen Perspektiven zeigen, ähneln sie sich in der kühlen Farbwahl, zeigen einen höheren Grad der Abstrahierung und einen zunehmenden Einsatz geometrisch reduzierter Formen. Sie entstehen während eines erneuten mehrmonatigen Aufenthalts in Weimar. Mittlerweile haben Julia und Lyonel geheiratet und leben mit ihren drei Söhnen Andreas, Laurence und Theodore in Berlin. Für den Künstler ist die Zeit in Weimar im Jahr 1913 eine Phase der künstlerischen Freiheit und stilistischen Neufindung, die letztlich einen wichtigen Stilwandel in seinem Schaffen einleiten wird.
"Auf der Brücke": Sinnbild für den stilistischen Wandel um 1913
Unter den Eindrücken seines Paris-Aufenthalts und des sich dort verbreitenden Kubismus entfernt sich Feininger immer mehr von seinen figürlichen, noch von der Karikatur beeinflussten Kompositionen. In einem Brief an Julia schreibt er im April 1913: "Ich fange an gut und froh zu arbeiten; was ich mache ist sehr natürlich, nicht mehr nur Problem. Ich will kein Wort darüber verraten, nur dass ich mit jedem Tag jetzt wieder weiter komme und klarer werde, mich selbst finde. Wenn ich aus dem Hause trete ins Freie, freue ich mich, es ist nichts von Einsamkeit hier für mich!" (Lyonel Feininger in einem Brief an Julia Feininger, Weimar, 7.4.1913) Obwohl er deutlich vom Kubismus beeinflusst ist, verschreibt er sich dabei jedoch nicht vollständig dem fremden Stil, sondern findet, wie für seinen künstlerischen Werdegang so charakteristisch, eigene Wege, um seinem inneren künstlerischen Streben trotz äußerer Impulse weiterhin Gestalt zu verleihen.
Zwar sind Feiningers charakteristische Figuren auch in "Auf der Brücke" nach wie vor ins Zentrum der Darstellung gerückt. Bekleidet mit dem für Feininger so typischen hohen Hut und langen, zackigen Mänteln ist jedoch auch an ihnen eine fortschreitende, formale Reduzierung deutlich abzulesen. Als anonyme Wesen mit eher düsteren, mystischen Anklängen überlassen sie die große Bühne dabei jedoch immer mehr der Architektur und dem Naturschauspiel. Dabei halten sie nach wie vor die Balance zwischen der formalen, geometrischen Strenge der Komposition und einem angedeuteten poetischen Erzählstrang, der an die Romane von Victor Hugo oder Honoré de Balzac denken lässt, für die sich Feininger in dieser Zeit begeistert.
So stellt die Arbeit "Auf der Brücke" nicht nur motivisch einen Transfer zwischen den zwei Uferseiten der Ilm in Oberweimar dar, sondern kann auch sinnbildlich für einen Übergang von Feiningers figürlicher Malerei hin zu seinen geometrisch-kubistischen Arbeiten der Folgejahre verstanden werden, aus denen letztlich seine wegweisenden, kristallin-prismatischen Arbeiten hervorgehen werden. Noch im selben Jahr beginnt Feininger mit dem berühmten Gemäldezyklus "Gelmeroda I–III", der sich ebenfalls in die Gruppe der berühmten Architekturdarstellungen einordnen lässt und ein weiteres Indiz für die Weiterentwicklung im Schaffen des Künstlers darstellt. Noch im Herbst desselben Jahres nimmt er auf Einladung von Franz Marc am "Ersten Deutschen Herbstsalon" von Herwarth Walden teil, der die damalige künstlerische Avantgarde in einer Gruppenausstellung versammelt und dessen Galerie "Der Sturm" 1917 schließlich Lyonel Feiningers erste Einzelausstellung ausrichten wird.
"Auf der Brücke" steht somit sowohl stilistisch als auch im Hinblick auf die öffentliche Wahrnehmung beispielhaft für einen Entwicklungssprung im Schaffen des Künstlers, den er selbst in einem Brief an Julia am 18. Mai 1913 als "[..] die erste Reifeperiode in meinem Künstlerdasein" bezeichnet (Lyonel Feininger in einem Brief an Julia Feininger, Weimar, 18.5.1913). In den letzten Jahren hat die Arbeit durch mehrere Ausstellungsbeteiligungen neue, museale Aufmerksamkeit erhalten und war unter anderem in der vielbeachteten Retrospektive Lyonel Feiningers in der Schirn Kunsthalle in Frankfurt am Main zu sehen. Eine längst überfällige Würdigung dieses für den Werdegang Lyonel Feiningers so aussagekräftigen Werks auf seinem Weg zu einem der wichtigsten Künstler der klassischen Moderne. Dessen große Lebensleistung beschrieb Alfred Hentzen einst mit den schönen Worten: "Feiningers Werk vereint in wunderbarer Weise strenge, kristallische Klarheit mit reiner, romantischer Poesie" (Alfred Hentzen, zit. nach Ausst.-Kat. Gedächtnisausstellung Hamburg/Essen/Baden-Baden 1961, Vorwort).
[AR]
124001482
Lyonel Feininger
Auf der Brücke, 1913.
Öl auf Leinwand
Schätzpreis: € 600.000 - 800.000
Informationen zu Aufgeld, Steuern und Folgerechtsvergütung sind ab vier Wochen vor Auktion verfügbar.
Hauptsitz
Joseph-Wild-Str. 18
81829 München
Tel.: +49 (0)89 55 244-0
Fax: +49 (0)89 55 244-177
info@kettererkunst.de
Louisa von Saucken / Christoph Calaminus
Holstenwall 5
20355 Hamburg
Tel.: +49 (0)40 37 49 61-0
Fax: +49 (0)40 37 49 61-66
infohamburg@kettererkunst.de
Dr. Simone Wiechers
Fasanenstr. 70
10719 Berlin
Tel.: +49 (0)30 88 67 53-63
Fax: +49 (0)30 88 67 56-43
infoberlin@kettererkunst.de
Cordula Lichtenberg
Gertrudenstraße 24-28
50667 Köln
Tel.: +49 (0)221 510 908-15
infokoeln@kettererkunst.de
Hessen
Rheinland-Pfalz
Miriam Heß
Tel.: +49 (0)62 21 58 80-038
Fax: +49 (0)62 21 58 80-595
infoheidelberg@kettererkunst.de
Nico Kassel, M.A.
Tel.: +49 (0)89 55244-164
Mobil: +49 (0)171 8618661
n.kassel@kettererkunst.de
Wir informieren Sie rechtzeitig.